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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Landesvertretung zustanden. Was soll dies heißen? Wird damit auch das
Recht zur Ablehnung gebilligt in dem Maße, daß ein nicht bestätigter Präsiden
nicht als solcher fungiren soll? Es scheint nicht so. Warum aber denn nicht
lieber die Verfassung von 1831?¬

Höchst eigenthümlich ist der Streit zwischen der Regierung und den Stan
den um den §. 55. Während jedes Kammermitglied schwört, nur nach eng'
nem besten Wissen ohne alle sonstigen Rücksichten das Wohl des Landesherr"
und des Landes zu vertreten, sollen die Bevollmächtigten der Prinzen des
Kurhauses und der Standesherrn an den Auftrag ihrer Vollmachtgeber ge¬
bunden und wenn dieser mit ihrer eigenen Ueberzeugung nicht übereinstimmt,
verpflichtet sein, ihr Mandat niederzulegen! Ebenso mißt die Regierung den
Standesherrn und den Prinzen des Kurhauses das Recht bei, das Mandat
beliebig zu widerrufen (§> 60)! Damit würde man freilich einige Begleiter
durch Dick und Dünn bekommen! Natürlich wußte die Verfassung von 1^
nichts von einem solchen Unterschied. Der Ausschuß mißbilligt denselben M'
Wesentlichen.

Bei §. 58 begegnen wir einer merkwürdigen Erscheinung: die Regierung
will eine Vorschrift der Verfassung von 1831 hereinziehen und die Stände
sind dagegen. Dieselbe lautet dahin, daß die Abgeordneten eines Standes
oder eines von den Hauptlanden entlegenen oder abgesonderten Bezirks, wenn
sie einhellig den betreffenden Stand in seinen Rechten oder den betreffenden
Bezirk in seinen Interessen durch den Beschluß der Majorität beschwert el"
achten, sich über eine Separatstimme vereinigen dürsen. Die Negierung vervoll¬
kommnet diesen Satz noch dadurch, daß sie den Abgeordneten jeder ProvMi
solche Separatvota zugesteht. Paßt dies alles zum jetzt beliebten Zweikammer¬
system noch wie zum Einkammersystem? hat die Regierung noch nicht genug
an diesen zwei Kammern? Muß die Landesvertretung noch mehr in Theile
und Splitter gehen? In der That, sie würde damit zersplittern! -- Der Aus¬
schußbericht findet gegen die Bestimmung "welche der Verfassung von
entnommen und nach Angabe der kurhessischen Negierung seither bewährt gefunden
worden ist," nichts zu erinnern. So wird ein wichtiger Punkt abgehandelt
und nicht einmal die Veränderung des Paragraphen der alten Verfassung
erwähnt!

Zu §. 60 begehren die Stände bestimmte Zeiten für die Vornahme dn
Wahlen (Wahlges. v. 1831 §. 3); man wolle gedenken, wie oft darüber ge¬
klagt worden ist, daß die Wahlen zu spät angeordnet wurden und wie dadM )
Vorberathungen vereitelt, reifliche Erwägungen über die wichtige Handlung
verhindert werden! Die Regierung hat nichts für sich, als daß der bestimmte
Termin "bei in Mitte liegenden Hindernissen für die Regierung äußerst unaM
genehm werden könnte und jedenfalls durch die derselben obliegende versal


Landesvertretung zustanden. Was soll dies heißen? Wird damit auch das
Recht zur Ablehnung gebilligt in dem Maße, daß ein nicht bestätigter Präsiden
nicht als solcher fungiren soll? Es scheint nicht so. Warum aber denn nicht
lieber die Verfassung von 1831?¬

Höchst eigenthümlich ist der Streit zwischen der Regierung und den Stan
den um den §. 55. Während jedes Kammermitglied schwört, nur nach eng'
nem besten Wissen ohne alle sonstigen Rücksichten das Wohl des Landesherr»
und des Landes zu vertreten, sollen die Bevollmächtigten der Prinzen des
Kurhauses und der Standesherrn an den Auftrag ihrer Vollmachtgeber ge¬
bunden und wenn dieser mit ihrer eigenen Ueberzeugung nicht übereinstimmt,
verpflichtet sein, ihr Mandat niederzulegen! Ebenso mißt die Regierung den
Standesherrn und den Prinzen des Kurhauses das Recht bei, das Mandat
beliebig zu widerrufen (§> 60)! Damit würde man freilich einige Begleiter
durch Dick und Dünn bekommen! Natürlich wußte die Verfassung von 1^
nichts von einem solchen Unterschied. Der Ausschuß mißbilligt denselben M'
Wesentlichen.

Bei §. 58 begegnen wir einer merkwürdigen Erscheinung: die Regierung
will eine Vorschrift der Verfassung von 1831 hereinziehen und die Stände
sind dagegen. Dieselbe lautet dahin, daß die Abgeordneten eines Standes
oder eines von den Hauptlanden entlegenen oder abgesonderten Bezirks, wenn
sie einhellig den betreffenden Stand in seinen Rechten oder den betreffenden
Bezirk in seinen Interessen durch den Beschluß der Majorität beschwert el"
achten, sich über eine Separatstimme vereinigen dürsen. Die Negierung vervoll¬
kommnet diesen Satz noch dadurch, daß sie den Abgeordneten jeder ProvMi
solche Separatvota zugesteht. Paßt dies alles zum jetzt beliebten Zweikammer¬
system noch wie zum Einkammersystem? hat die Regierung noch nicht genug
an diesen zwei Kammern? Muß die Landesvertretung noch mehr in Theile
und Splitter gehen? In der That, sie würde damit zersplittern! — Der Aus¬
schußbericht findet gegen die Bestimmung „welche der Verfassung von
entnommen und nach Angabe der kurhessischen Negierung seither bewährt gefunden
worden ist," nichts zu erinnern. So wird ein wichtiger Punkt abgehandelt
und nicht einmal die Veränderung des Paragraphen der alten Verfassung
erwähnt!

Zu §. 60 begehren die Stände bestimmte Zeiten für die Vornahme dn
Wahlen (Wahlges. v. 1831 §. 3); man wolle gedenken, wie oft darüber ge¬
klagt worden ist, daß die Wahlen zu spät angeordnet wurden und wie dadM )
Vorberathungen vereitelt, reifliche Erwägungen über die wichtige Handlung
verhindert werden! Die Regierung hat nichts für sich, als daß der bestimmte
Termin „bei in Mitte liegenden Hindernissen für die Regierung äußerst unaM
genehm werden könnte und jedenfalls durch die derselben obliegende versal


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[0426] Landesvertretung zustanden. Was soll dies heißen? Wird damit auch das Recht zur Ablehnung gebilligt in dem Maße, daß ein nicht bestätigter Präsiden nicht als solcher fungiren soll? Es scheint nicht so. Warum aber denn nicht lieber die Verfassung von 1831?¬ Höchst eigenthümlich ist der Streit zwischen der Regierung und den Stan den um den §. 55. Während jedes Kammermitglied schwört, nur nach eng' nem besten Wissen ohne alle sonstigen Rücksichten das Wohl des Landesherr» und des Landes zu vertreten, sollen die Bevollmächtigten der Prinzen des Kurhauses und der Standesherrn an den Auftrag ihrer Vollmachtgeber ge¬ bunden und wenn dieser mit ihrer eigenen Ueberzeugung nicht übereinstimmt, verpflichtet sein, ihr Mandat niederzulegen! Ebenso mißt die Regierung den Standesherrn und den Prinzen des Kurhauses das Recht bei, das Mandat beliebig zu widerrufen (§> 60)! Damit würde man freilich einige Begleiter durch Dick und Dünn bekommen! Natürlich wußte die Verfassung von 1^ nichts von einem solchen Unterschied. Der Ausschuß mißbilligt denselben M' Wesentlichen. Bei §. 58 begegnen wir einer merkwürdigen Erscheinung: die Regierung will eine Vorschrift der Verfassung von 1831 hereinziehen und die Stände sind dagegen. Dieselbe lautet dahin, daß die Abgeordneten eines Standes oder eines von den Hauptlanden entlegenen oder abgesonderten Bezirks, wenn sie einhellig den betreffenden Stand in seinen Rechten oder den betreffenden Bezirk in seinen Interessen durch den Beschluß der Majorität beschwert el" achten, sich über eine Separatstimme vereinigen dürsen. Die Negierung vervoll¬ kommnet diesen Satz noch dadurch, daß sie den Abgeordneten jeder ProvMi solche Separatvota zugesteht. Paßt dies alles zum jetzt beliebten Zweikammer¬ system noch wie zum Einkammersystem? hat die Regierung noch nicht genug an diesen zwei Kammern? Muß die Landesvertretung noch mehr in Theile und Splitter gehen? In der That, sie würde damit zersplittern! — Der Aus¬ schußbericht findet gegen die Bestimmung „welche der Verfassung von entnommen und nach Angabe der kurhessischen Negierung seither bewährt gefunden worden ist," nichts zu erinnern. So wird ein wichtiger Punkt abgehandelt und nicht einmal die Veränderung des Paragraphen der alten Verfassung erwähnt! Zu §. 60 begehren die Stände bestimmte Zeiten für die Vornahme dn Wahlen (Wahlges. v. 1831 §. 3); man wolle gedenken, wie oft darüber ge¬ klagt worden ist, daß die Wahlen zu spät angeordnet wurden und wie dadM ) Vorberathungen vereitelt, reifliche Erwägungen über die wichtige Handlung verhindert werden! Die Regierung hat nichts für sich, als daß der bestimmte Termin „bei in Mitte liegenden Hindernissen für die Regierung äußerst unaM genehm werden könnte und jedenfalls durch die derselben obliegende versal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/426>, abgerufen am 23.07.2024.