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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Sie haben Recht, wenn sie, von uns redend, sich des Ausdrucks bedienen:
Adschallak Nusrani -- mit Verlaub zu sagen, ein Christ!

Die Geistlichkeit, welche in den verschiedenen Abtheilungen der Grabes-
Kirche functionirt, wohnt in zwölf Klöstern, unter denen das lateinische Fran-
"scanerkloster Se. Salvator, das große griechische, in welchem der Patriarch
"ebst fünf Bischöfen, zehn Archimandriten und etwa hundertdreißig andern
Klerikern seinen Sitz hat. und das den Armeniern gehörige Jakobskloster,
welches das größte der Levante ist, den ersten Rang einnehmen. Frauen-
Röster haben nur die Lateiner, die Armenier und die Griechen, und zwar
besitzen die letzteren sechs dieser Anstalten in der Stadt.

Die Juden haben außer der erwähnten großen Synagoge eine Anzahl
deiner, in denen jeden Tag viermal Gottesdienst gehalten und in der Zwischen¬
zeit fleißig Talmud studirt wird. Die Mohammedaner besitzen sechs große
und drei kleine Moscheen, von denen mehre einst Kirchen waren. Mit der
°inen. der Mulawijeh, ist ein Derwischkloster verbunden, welches indeß gegen¬
wärtig nur noch einen Bewohner hat. Die beiden größten und schönsten, die
sakral) und Aksa, befinden sich auf dem Haramplatz. der Stelle, wo der
Tempel stand, und sind Christen und Juden in der Regel unzugänglich. Ein
günstiger Zufall erlaubte mir, sie zu besuchen, und so werde ich sie in einem
spätern Capitel schildern.

Reste aus der Zeit der Kreuzfahrer sind in der Ruine der Annenkirche
Und in den Trümmern des Johanniterconvents vorhanden. Die Annenkirche
l'egt auf Bezetha und ist eine Basilika mit Thüren und Fenstern in Spitz-
bogenform. Sie gehörte bis 1856, wo sie die Franzosen dem Sultan ab¬
fangen, der mohammedanischen Sekte der Schafeiten. Der Johannitercon-
vent befindet sich nicht fern von der Grabeskirche und besteht aus einem jetzt
vermauerten Rundbogenportal und Ruinen von palastartigen Gebäuden, die
^'en mit Kaktusstauden und Unkraut bewachsenen Hos umgeben.

Echte Alterthümer aus Christi Zeit glaubt man mit mehr oder minder
N°ehe in den Mauern, welche den Haramplatz umgeben, und in einigen Wasser¬
behältern sehen zu dürfen. Daß das längliche Viereck des genannten Platzes
fe Area des alten Tempel? darstellt, leidet keinen Zweifel. Die Maße ent¬
sprechen im Allgemeinen denen des Josephus. und einzelne Theile der Um-
s"ssungsmauer. die im Osten und Süden zugleich Stadtmauer ist. lassen sowol
durch die Größe ihrer Quadern, wie durch die Art. in der sie beHauen Md.
d- h- durch die Fugenränderung ihrer vier Seiten, sogar auf einen Bau schließen.
^ über Herodes hinausliegt. Ich sah auf der Ostseite in der Nahe der 5-ud-
^ solche Quadern von reichlich drei Klaftern, einen sogar von mehr als vier¬
undzwanzig Fuß Länge und über fünf Fuß Höhe. Nicht viel weniger große
^eine zeigt die Südseite; denn man trifft hier, und zwar bis in die achte und


Grenzboten 1659, ^

Sie haben Recht, wenn sie, von uns redend, sich des Ausdrucks bedienen:
Adschallak Nusrani — mit Verlaub zu sagen, ein Christ!

Die Geistlichkeit, welche in den verschiedenen Abtheilungen der Grabes-
Kirche functionirt, wohnt in zwölf Klöstern, unter denen das lateinische Fran-
"scanerkloster Se. Salvator, das große griechische, in welchem der Patriarch
"ebst fünf Bischöfen, zehn Archimandriten und etwa hundertdreißig andern
Klerikern seinen Sitz hat. und das den Armeniern gehörige Jakobskloster,
welches das größte der Levante ist, den ersten Rang einnehmen. Frauen-
Röster haben nur die Lateiner, die Armenier und die Griechen, und zwar
besitzen die letzteren sechs dieser Anstalten in der Stadt.

Die Juden haben außer der erwähnten großen Synagoge eine Anzahl
deiner, in denen jeden Tag viermal Gottesdienst gehalten und in der Zwischen¬
zeit fleißig Talmud studirt wird. Die Mohammedaner besitzen sechs große
und drei kleine Moscheen, von denen mehre einst Kirchen waren. Mit der
°inen. der Mulawijeh, ist ein Derwischkloster verbunden, welches indeß gegen¬
wärtig nur noch einen Bewohner hat. Die beiden größten und schönsten, die
sakral) und Aksa, befinden sich auf dem Haramplatz. der Stelle, wo der
Tempel stand, und sind Christen und Juden in der Regel unzugänglich. Ein
günstiger Zufall erlaubte mir, sie zu besuchen, und so werde ich sie in einem
spätern Capitel schildern.

Reste aus der Zeit der Kreuzfahrer sind in der Ruine der Annenkirche
Und in den Trümmern des Johanniterconvents vorhanden. Die Annenkirche
l'egt auf Bezetha und ist eine Basilika mit Thüren und Fenstern in Spitz-
bogenform. Sie gehörte bis 1856, wo sie die Franzosen dem Sultan ab¬
fangen, der mohammedanischen Sekte der Schafeiten. Der Johannitercon-
vent befindet sich nicht fern von der Grabeskirche und besteht aus einem jetzt
vermauerten Rundbogenportal und Ruinen von palastartigen Gebäuden, die
^'en mit Kaktusstauden und Unkraut bewachsenen Hos umgeben.

Echte Alterthümer aus Christi Zeit glaubt man mit mehr oder minder
N°ehe in den Mauern, welche den Haramplatz umgeben, und in einigen Wasser¬
behältern sehen zu dürfen. Daß das längliche Viereck des genannten Platzes
fe Area des alten Tempel? darstellt, leidet keinen Zweifel. Die Maße ent¬
sprechen im Allgemeinen denen des Josephus. und einzelne Theile der Um-
s"ssungsmauer. die im Osten und Süden zugleich Stadtmauer ist. lassen sowol
durch die Größe ihrer Quadern, wie durch die Art. in der sie beHauen Md.
d- h- durch die Fugenränderung ihrer vier Seiten, sogar auf einen Bau schließen.
^ über Herodes hinausliegt. Ich sah auf der Ostseite in der Nahe der 5-ud-
^ solche Quadern von reichlich drei Klaftern, einen sogar von mehr als vier¬
undzwanzig Fuß Länge und über fünf Fuß Höhe. Nicht viel weniger große
^eine zeigt die Südseite; denn man trifft hier, und zwar bis in die achte und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/311>, abgerufen am 23.07.2024.