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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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an der Thür die Schuhe aus, befestigen aus dem Sargdeckel kleine Opferkerzen
und bedecken das Grab mit Küssen.

Geht man von der Grabeskapelle durch die Arkaden des nördlichen The'is
der Rotunde, so gelangt man in eine den Franciscanern gehörende dunkle
Kapelle, welche eine Orgel besitzt und aus deren Fußboden ein,grauer Mu"
morstein die Stelle angibt, wo der Auferstandene der Maria Magdalena als
Gärtner erschien, und gleich daneben befindet sich, drei Stufen höher, der
Ort, wo er seiner trauernden Mutter begegnete. Hier wird auch hinter einem
Gitter die Hälfte der Säule verwahrt, an der Christus gegeißelt wurde. Neben
dem Gitter steht ein Stock, mit dessen silbernem Knopf die Pilger durch
Loch die Säule berühren, worauf sie den Knopf küssen. Nicht weit von lM
endlich trifft man eine Nische, welche das Gefängniß des Herrn genannt wird'
da man ihn hier so lange in Verwahrung hielt, bis das Loch zur Aufstellung
des Kreuzes gegraben war.

Damit ist das Kirchen- und Kapellenconglomerat der Grabeskirche aber
noch lange nicht erschöpft; denn es sind noch eine beträchtliche Anzahl von
kleinern Heiligthümern außen an die Mauern angebaut, darunter eine Kape^
wo Maria und Johannes der Kreuzigung zusahen, eine Jakobskapelle, erne
Kapelle der vierzig Märtyrer und sogar eine Kapelle über der Stätte, ro"
Abraham den Jsaak opfern wollte. Man sieht, die Mönche haben nichts
vergessen, was zu der Passions- und Auferstehungsgeschichte in irgendwelche
näherer oder entfernterer Beziehung stand. Nur das Wichtigste haben sie n'es
bedacht, daß nämlich die Lage nicht die echte sein kann, da die Kirche an
einer Stelle steht, welche von der zweiten Mauer des Josephus eingeschlof^
wurde, Kreuzigungsstätte und Grab Christi aber sowol nach dem Referat de
Matthäus als nach dem Johannesevangelium außerhalb der Stadt sich ^
fanden. Wäre dies aber auch zu widerlegen, so müßte immer noch entweder
die Kreuzigungsstätte oder die des heiligen Grabes unecht sein. Beide liege"
hart nebeneinander, unter einem und demselben Dach, die erstere aus den
Golgatha, die andere am Fuß desselben. Joseph von Arimathia aber kann
sein Erbbegräbnis) nicht unmittelbar unter der Schädelstätte Jerusalems hab^
aushauen lassen, oder legte etwa einer der vornehmen frommen Freunde
derer, die heutzutage noch für die Echtheit beider Orte schwärmen, seine F""
miliengruft unter dem Rabenstein, ja auch nur in der Nähe desselben an-

Ebenso mißlich als mit der Echtheitsfrage steht es mit der Beantwortung
der Frage nach dem sittlichen Einfluß dieser versteinerten Passionsgeschich,
auf die Pilgerscharen, die alljährlich hier Ostern halten. Gewiß übt der he^
lige Ort auf die Phantasie und das Gefühl eine mächtige Wirkung, ZUM"
wenn das Licht des Glaubens ihn verklärt. Erscheint er uns mit ferne
mystischen Halbdunkel. seiner Menge heiliger Winkel und Winkelchen, se>"^


an der Thür die Schuhe aus, befestigen aus dem Sargdeckel kleine Opferkerzen
und bedecken das Grab mit Küssen.

Geht man von der Grabeskapelle durch die Arkaden des nördlichen The'is
der Rotunde, so gelangt man in eine den Franciscanern gehörende dunkle
Kapelle, welche eine Orgel besitzt und aus deren Fußboden ein,grauer Mu"
morstein die Stelle angibt, wo der Auferstandene der Maria Magdalena als
Gärtner erschien, und gleich daneben befindet sich, drei Stufen höher, der
Ort, wo er seiner trauernden Mutter begegnete. Hier wird auch hinter einem
Gitter die Hälfte der Säule verwahrt, an der Christus gegeißelt wurde. Neben
dem Gitter steht ein Stock, mit dessen silbernem Knopf die Pilger durch
Loch die Säule berühren, worauf sie den Knopf küssen. Nicht weit von lM
endlich trifft man eine Nische, welche das Gefängniß des Herrn genannt wird'
da man ihn hier so lange in Verwahrung hielt, bis das Loch zur Aufstellung
des Kreuzes gegraben war.

Damit ist das Kirchen- und Kapellenconglomerat der Grabeskirche aber
noch lange nicht erschöpft; denn es sind noch eine beträchtliche Anzahl von
kleinern Heiligthümern außen an die Mauern angebaut, darunter eine Kape^
wo Maria und Johannes der Kreuzigung zusahen, eine Jakobskapelle, erne
Kapelle der vierzig Märtyrer und sogar eine Kapelle über der Stätte, ro»
Abraham den Jsaak opfern wollte. Man sieht, die Mönche haben nichts
vergessen, was zu der Passions- und Auferstehungsgeschichte in irgendwelche
näherer oder entfernterer Beziehung stand. Nur das Wichtigste haben sie n'es
bedacht, daß nämlich die Lage nicht die echte sein kann, da die Kirche an
einer Stelle steht, welche von der zweiten Mauer des Josephus eingeschlof^
wurde, Kreuzigungsstätte und Grab Christi aber sowol nach dem Referat de
Matthäus als nach dem Johannesevangelium außerhalb der Stadt sich ^
fanden. Wäre dies aber auch zu widerlegen, so müßte immer noch entweder
die Kreuzigungsstätte oder die des heiligen Grabes unecht sein. Beide liege"
hart nebeneinander, unter einem und demselben Dach, die erstere aus den
Golgatha, die andere am Fuß desselben. Joseph von Arimathia aber kann
sein Erbbegräbnis) nicht unmittelbar unter der Schädelstätte Jerusalems hab^
aushauen lassen, oder legte etwa einer der vornehmen frommen Freunde
derer, die heutzutage noch für die Echtheit beider Orte schwärmen, seine F""
miliengruft unter dem Rabenstein, ja auch nur in der Nähe desselben an-

Ebenso mißlich als mit der Echtheitsfrage steht es mit der Beantwortung
der Frage nach dem sittlichen Einfluß dieser versteinerten Passionsgeschich,
auf die Pilgerscharen, die alljährlich hier Ostern halten. Gewiß übt der he^
lige Ort auf die Phantasie und das Gefühl eine mächtige Wirkung, ZUM«
wenn das Licht des Glaubens ihn verklärt. Erscheint er uns mit ferne
mystischen Halbdunkel. seiner Menge heiliger Winkel und Winkelchen, se>»^


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[0308] an der Thür die Schuhe aus, befestigen aus dem Sargdeckel kleine Opferkerzen und bedecken das Grab mit Küssen. Geht man von der Grabeskapelle durch die Arkaden des nördlichen The'is der Rotunde, so gelangt man in eine den Franciscanern gehörende dunkle Kapelle, welche eine Orgel besitzt und aus deren Fußboden ein,grauer Mu" morstein die Stelle angibt, wo der Auferstandene der Maria Magdalena als Gärtner erschien, und gleich daneben befindet sich, drei Stufen höher, der Ort, wo er seiner trauernden Mutter begegnete. Hier wird auch hinter einem Gitter die Hälfte der Säule verwahrt, an der Christus gegeißelt wurde. Neben dem Gitter steht ein Stock, mit dessen silbernem Knopf die Pilger durch Loch die Säule berühren, worauf sie den Knopf küssen. Nicht weit von lM endlich trifft man eine Nische, welche das Gefängniß des Herrn genannt wird' da man ihn hier so lange in Verwahrung hielt, bis das Loch zur Aufstellung des Kreuzes gegraben war. Damit ist das Kirchen- und Kapellenconglomerat der Grabeskirche aber noch lange nicht erschöpft; denn es sind noch eine beträchtliche Anzahl von kleinern Heiligthümern außen an die Mauern angebaut, darunter eine Kape^ wo Maria und Johannes der Kreuzigung zusahen, eine Jakobskapelle, erne Kapelle der vierzig Märtyrer und sogar eine Kapelle über der Stätte, ro» Abraham den Jsaak opfern wollte. Man sieht, die Mönche haben nichts vergessen, was zu der Passions- und Auferstehungsgeschichte in irgendwelche näherer oder entfernterer Beziehung stand. Nur das Wichtigste haben sie n'es bedacht, daß nämlich die Lage nicht die echte sein kann, da die Kirche an einer Stelle steht, welche von der zweiten Mauer des Josephus eingeschlof^ wurde, Kreuzigungsstätte und Grab Christi aber sowol nach dem Referat de Matthäus als nach dem Johannesevangelium außerhalb der Stadt sich ^ fanden. Wäre dies aber auch zu widerlegen, so müßte immer noch entweder die Kreuzigungsstätte oder die des heiligen Grabes unecht sein. Beide liege" hart nebeneinander, unter einem und demselben Dach, die erstere aus den Golgatha, die andere am Fuß desselben. Joseph von Arimathia aber kann sein Erbbegräbnis) nicht unmittelbar unter der Schädelstätte Jerusalems hab^ aushauen lassen, oder legte etwa einer der vornehmen frommen Freunde derer, die heutzutage noch für die Echtheit beider Orte schwärmen, seine F"" miliengruft unter dem Rabenstein, ja auch nur in der Nähe desselben an- Ebenso mißlich als mit der Echtheitsfrage steht es mit der Beantwortung der Frage nach dem sittlichen Einfluß dieser versteinerten Passionsgeschich, auf die Pilgerscharen, die alljährlich hier Ostern halten. Gewiß übt der he^ lige Ort auf die Phantasie und das Gefühl eine mächtige Wirkung, ZUM« wenn das Licht des Glaubens ihn verklärt. Erscheint er uns mit ferne mystischen Halbdunkel. seiner Menge heiliger Winkel und Winkelchen, se>»^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/308>, abgerufen am 23.07.2024.