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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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auftauchten. Dazu kommt, daß sehr viele dieser Ueberlieferungen sich an klem¬
me Dinge hängen, daß man mit ihrer Erfindung log, nur um dem Pilger
"lief zeigen zu können, wornach zu fragen ihm etwa einfallen konnte. Der
Moralische Geruch Jerusalems in dieser Beziehung ist einer civilisirten Nase
^"an so widerlich wie der physische. Nimm die plumpe Einfalt eines latei¬
nischen, die Geldgier eines griechischen Mönchs, die Leichtgläubigkeit eines levan-
"nischen Pilgers, die Jesuitcnpolitik der hiesigen Patriarchen und Bischöfe, setze
Wie römische Ablaßbulle hinzu, destillir's über der Glut des frommen Feuerwer-
^, welches die griechische Kirche jeden Ostersonnabend am heiligen Grabe
Abrennt, rühre das Gebräu mit einem der Knüppel um, mit denen sich bei
^ser Gelegenheit die Gläubigen zu prügeln pflegen, und schütte, wenn es
^det, Chateaubriandsche ?0"8is ass torwres und Lamartinesche Sentimen-
^>tat hinein, so hast du das Bouquet dieser Wunderwelt.

Man würde darüber keine Worte verlieren, wenn nicht auch Protestanten,
^ Schubert und Strauß, sich an diesen, Bouquet erfreut hätten. Einem
^errn v. Prokesch vergibt man mit mancher andern seltsamen Bemerkung
^Mer vielbelobten Reisebeschreibungen auch die, wo es heißt, der Glaube thue
^'M das Meiste, und einige Klaftern zur Rechten oder Linken wollten nichts
beuten. Es sei "höchst wahrscheinlich, daß die Nachweisung der heiligen
eilen von den ersten Christen ihren Kindern überliefert wurde." Er darf
^ guter Katholik und Oestreicher selbst die Tradition glauben, nach welcher
Mannes der Jungfrau Maria alle Morgen auf dem Zion die Messe las.
u>e"r Protestanten sind Ausbrüche einer Begeisterung, die auf ähnlichen An-
^Uiungen ruht, nicht zu vergeben. Er hat an die Äußerlichkeiten das Maß
^ Kritik zu legen, und sich im Uebrigen an das Innere, als das allein
^^utliche zu halten. Wer dafür eine Autorität braucht, der höre, was Don-
/ Luther von der größten der jerusalemer Reliquien sagt. "Was können wir
^ ein ander heilig Grab verstehen, denn die heilige Schrift, darinnen die
"hrheit Christi, durch die Papisten getödtet, ist begraben gelegen, weiches
^ Vöttel (Bettelorden) und Ketzermeister behüt' und bewahrt haben, daß kein
^"Ser Christi komme und stehle sie? denn nach dem Grab, da der Herr ein¬
legen hat, welches die Sarazen innehaben, fragt Gott gleich so viel als
allen Kühen von Schweiz."

Das wahre Grab Christi ist dem Protestanten das Mittelalter, seine
yre Auferstehung die Reformation. Das heilige Grab in Jerusalem hat
^ 'du keine höhere Bedeutung, als das Grab Mohammeds in Mekka, ja
letzteren kommt sogar der Vorzug größerer Echtheit zu.

y ^eh sehe von den auch für den gläubigen Pilger wenig wichtigen Legendcn-
cib und erwähne nur, daß man außer den Häusern verschiedener Apostel,
"er heiliger Weiber der Evangelien, der Hohenpriester Kaiphas und Annas,


Grenzboten III. 1859. 37

auftauchten. Dazu kommt, daß sehr viele dieser Ueberlieferungen sich an klem¬
me Dinge hängen, daß man mit ihrer Erfindung log, nur um dem Pilger
"lief zeigen zu können, wornach zu fragen ihm etwa einfallen konnte. Der
Moralische Geruch Jerusalems in dieser Beziehung ist einer civilisirten Nase
^"an so widerlich wie der physische. Nimm die plumpe Einfalt eines latei¬
nischen, die Geldgier eines griechischen Mönchs, die Leichtgläubigkeit eines levan-
"nischen Pilgers, die Jesuitcnpolitik der hiesigen Patriarchen und Bischöfe, setze
Wie römische Ablaßbulle hinzu, destillir's über der Glut des frommen Feuerwer-
^, welches die griechische Kirche jeden Ostersonnabend am heiligen Grabe
Abrennt, rühre das Gebräu mit einem der Knüppel um, mit denen sich bei
^ser Gelegenheit die Gläubigen zu prügeln pflegen, und schütte, wenn es
^det, Chateaubriandsche ?0«8is ass torwres und Lamartinesche Sentimen-
^>tat hinein, so hast du das Bouquet dieser Wunderwelt.

Man würde darüber keine Worte verlieren, wenn nicht auch Protestanten,
^ Schubert und Strauß, sich an diesen, Bouquet erfreut hätten. Einem
^errn v. Prokesch vergibt man mit mancher andern seltsamen Bemerkung
^Mer vielbelobten Reisebeschreibungen auch die, wo es heißt, der Glaube thue
^'M das Meiste, und einige Klaftern zur Rechten oder Linken wollten nichts
beuten. Es sei „höchst wahrscheinlich, daß die Nachweisung der heiligen
eilen von den ersten Christen ihren Kindern überliefert wurde." Er darf
^ guter Katholik und Oestreicher selbst die Tradition glauben, nach welcher
Mannes der Jungfrau Maria alle Morgen auf dem Zion die Messe las.
u>e»r Protestanten sind Ausbrüche einer Begeisterung, die auf ähnlichen An-
^Uiungen ruht, nicht zu vergeben. Er hat an die Äußerlichkeiten das Maß
^ Kritik zu legen, und sich im Uebrigen an das Innere, als das allein
^^utliche zu halten. Wer dafür eine Autorität braucht, der höre, was Don-
/ Luther von der größten der jerusalemer Reliquien sagt. „Was können wir
^ ein ander heilig Grab verstehen, denn die heilige Schrift, darinnen die
"hrheit Christi, durch die Papisten getödtet, ist begraben gelegen, weiches
^ Vöttel (Bettelorden) und Ketzermeister behüt' und bewahrt haben, daß kein
^"Ser Christi komme und stehle sie? denn nach dem Grab, da der Herr ein¬
legen hat, welches die Sarazen innehaben, fragt Gott gleich so viel als
allen Kühen von Schweiz."

Das wahre Grab Christi ist dem Protestanten das Mittelalter, seine
yre Auferstehung die Reformation. Das heilige Grab in Jerusalem hat
^ 'du keine höhere Bedeutung, als das Grab Mohammeds in Mekka, ja
letzteren kommt sogar der Vorzug größerer Echtheit zu.

y ^eh sehe von den auch für den gläubigen Pilger wenig wichtigen Legendcn-
cib und erwähne nur, daß man außer den Häusern verschiedener Apostel,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/303>, abgerufen am 23.07.2024.