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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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vermauert ist, da es direct auf den alten Tempelplatz führt und die Mohammc'
dauer die Sage fürchten, es werde dereinst durch dasselbe ein König einziehen,
welcher die Stadt und von hier aus die ganze Welt zu beherrschen bestimmt
sei -- ein zum Mythus gewordner Nachhall des Gebrauchs der Kreuzfahrt
könige, nach welchem durch dieses Thor die alljährliche Palmsonntagsprocessmu
in die Stadt zog. Auf der Südseite der Mauer befindet sich das jetzt meist
verschlossene Mistthor, an der Südwestecke endlich das Zionsthor, welches nach
dem sogenannten Grabe Davids führt und darum von den Arabern Bab Er>
Nebbi Daub, Thor des Propheten David genannt wird.

Erwähnenswerthe öffentliche Gebäude weltlicher Art hat Jerusalem mit
Ausnahme des neuen östreichischen Pilgerhauses, von dem später zu sprecht
sein wird, und der Citadelle nicht. Letztere zeigt, namentlich an dem dicken
viereckigen Hauptthurm, in gewaltigen Quadern Spuren hohen Alterthum^
und ist sehr wahrscheinlich der Thurm Hippicus des Josephus. Die Mu^
sehen in ihr den "Thurm Davids", und wissen sogar von einem der Gemächer
daß es dasjenige ist, wo der Anblick der badenden Bathseba den alten lüften
nen Sultan zu dem bekannten Schurkenstreich gegen Uria veranlaßte.

Die Hütten der Aussätzigen, die hier erwähnt werden mögen, befinde"
sich an der innern Seite der Stadtmauer zwischen dem Zions- und dem Mist'
thor. Es sind etwa fünfzehn niedrige, aus Lehm und Steinbrocken zusaM'
mengcklebte Geniste ohne Fenster und kaum hoch genug, um darin aufrecht
stehen zu können. Sie waren bei unsrer Anwesenheit von etwa dreißig Kram
ken bewohnt, die nur von milden Gaben lebten. Eine Absperrung si"^
nicht statt, da ihre Krankheit nicht der alte Aussatz, sondern -- wie wenig'
fleus unser Doctor behauptete, der nach einem lateinischen Zeugniß des katho-
lischen Patriarchen mehre mit Erfolg behandelt haben sollte -- nur eine be'
sonders grauenvolle tertiäre Syphilis ist, und so sieht man sie nicht blos vor
ihren Behausungen, sondern auch in andern Gegenden der Stadt, nammen )
am Wege, der nach dem Grab der Maria hinabführt, und vor dem Jassath^
ihre gräßlichen Wunden und ihre verstümmelten Glieder zeigen.-

Wenn ich jetzt das geistliche Gebiet, das romantische Jerusalem, die Le
gendcnorte betrete, welche die Mehrzahl der Reisenden hierher ziehen, so uruv
ich um Entschuldigung bitten, wenn ich nicht vollständig bin. Der Wust um
sinniger Einfälle, der sich um die einzig feststehenden Alterthümer, den
berg und den Tempelplatz. im Lauf der Jahrhunderte abgelagert hat. ist 5
abgeschmackt, als daß er hier ganz abgebildet werden könnte. Man wei^
daß die Ares'rihten noch nicht dahin gelangt waren, Abgötterei mit Holz u
Stein zu treiben, daß das Aufsuchen der heiligen Orte und die Legenden ^
dung erst mit der Wallfahrt der Mutter Konstantins begann, daß die meiste
Traditionen sogar erst im fünfzehnten Jahrhundert, manche erst im sechzehn


vermauert ist, da es direct auf den alten Tempelplatz führt und die Mohammc'
dauer die Sage fürchten, es werde dereinst durch dasselbe ein König einziehen,
welcher die Stadt und von hier aus die ganze Welt zu beherrschen bestimmt
sei — ein zum Mythus gewordner Nachhall des Gebrauchs der Kreuzfahrt
könige, nach welchem durch dieses Thor die alljährliche Palmsonntagsprocessmu
in die Stadt zog. Auf der Südseite der Mauer befindet sich das jetzt meist
verschlossene Mistthor, an der Südwestecke endlich das Zionsthor, welches nach
dem sogenannten Grabe Davids führt und darum von den Arabern Bab Er>
Nebbi Daub, Thor des Propheten David genannt wird.

Erwähnenswerthe öffentliche Gebäude weltlicher Art hat Jerusalem mit
Ausnahme des neuen östreichischen Pilgerhauses, von dem später zu sprecht
sein wird, und der Citadelle nicht. Letztere zeigt, namentlich an dem dicken
viereckigen Hauptthurm, in gewaltigen Quadern Spuren hohen Alterthum^
und ist sehr wahrscheinlich der Thurm Hippicus des Josephus. Die Mu^
sehen in ihr den „Thurm Davids", und wissen sogar von einem der Gemächer
daß es dasjenige ist, wo der Anblick der badenden Bathseba den alten lüften
nen Sultan zu dem bekannten Schurkenstreich gegen Uria veranlaßte.

Die Hütten der Aussätzigen, die hier erwähnt werden mögen, befinde»
sich an der innern Seite der Stadtmauer zwischen dem Zions- und dem Mist'
thor. Es sind etwa fünfzehn niedrige, aus Lehm und Steinbrocken zusaM'
mengcklebte Geniste ohne Fenster und kaum hoch genug, um darin aufrecht
stehen zu können. Sie waren bei unsrer Anwesenheit von etwa dreißig Kram
ken bewohnt, die nur von milden Gaben lebten. Eine Absperrung si"^
nicht statt, da ihre Krankheit nicht der alte Aussatz, sondern — wie wenig'
fleus unser Doctor behauptete, der nach einem lateinischen Zeugniß des katho-
lischen Patriarchen mehre mit Erfolg behandelt haben sollte — nur eine be'
sonders grauenvolle tertiäre Syphilis ist, und so sieht man sie nicht blos vor
ihren Behausungen, sondern auch in andern Gegenden der Stadt, nammen )
am Wege, der nach dem Grab der Maria hinabführt, und vor dem Jassath^
ihre gräßlichen Wunden und ihre verstümmelten Glieder zeigen.-

Wenn ich jetzt das geistliche Gebiet, das romantische Jerusalem, die Le
gendcnorte betrete, welche die Mehrzahl der Reisenden hierher ziehen, so uruv
ich um Entschuldigung bitten, wenn ich nicht vollständig bin. Der Wust um
sinniger Einfälle, der sich um die einzig feststehenden Alterthümer, den
berg und den Tempelplatz. im Lauf der Jahrhunderte abgelagert hat. ist 5
abgeschmackt, als daß er hier ganz abgebildet werden könnte. Man wei^
daß die Ares'rihten noch nicht dahin gelangt waren, Abgötterei mit Holz u
Stein zu treiben, daß das Aufsuchen der heiligen Orte und die Legenden ^
dung erst mit der Wallfahrt der Mutter Konstantins begann, daß die meiste
Traditionen sogar erst im fünfzehnten Jahrhundert, manche erst im sechzehn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/302>, abgerufen am 23.07.2024.