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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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in das Herz Deutschlands bahnten, und vor denen sich schließlich selbst das
widerstrebende germanische Unabhängigkeitsgefühl beugen mußte. Die rö¬
mische Staatsordnung, unzweifelhaft die vornehmste Schöpfung der alten Welt,
hatte selbst den Sturz des weströmischen Reiches überdauert und bestand de>'
mals wie der Staat selbst noch im Osten ziemlich unberührt. Die römische
Kirche wurde die Trägerin dieser alten Ordnung der Dinge, welche nun auf
den jugendlichen Stamm der germanischen Volker gewaltsam, wie es diese
Operation einmal mit sich bringt, aufgepfropft, für die Zukunft doch ihre ge¬
segneten Früchte tragen sollte.

Die lateinische Sprache wurde in den Schulen des Reiches, welche unter
der durch und durch römischgesinnten Geistlichkeit standen, eingeführt. Karl
der Große selbst soll das Lateinische gesprochen und das Griechische wenig'
fleus verstanden haben.

An seinem Hose wurde das Studium des Alterthums eifrig betrieben
wenngleich schließlich in manchem, wie in Altum die engherzige Vcsorgniß
Raum gewann, durch das Lesen der alten heidnischen Autoren seinem Seelen¬
heil zu nahe zu treten. Der römische Stil wurde in einer freilich äußerst
trockenen und schwerfälligen Form von allen Seiten nachgeahmt. Lateinisch
war damals die Sprache der Kirche, der Wissenschaft, der Geschäfte, des
brieflichen und mündlichen Verkehrs. Römische Titel waren allbelicbt und
gesucht: der große Karl selbst nannte sich, so gut wie seine Vorfahren, Patricius,
und das Endziel all seines Strebens ging nach dem Namen eines Imperators
und der Kaiserkrone, mit der ihn Leo der Dritte im wohlverstandenen eignen
Interesse endlich überraschte. Vergleiche der damaligen Zustände mit denen
der alten Welt schmeichelten Karls Ehrgeiz: seinen Lieblingsort Aachen hörte
er gar zu gern von seinen Hofpoeten als ein zweites werdendes Rom be-
zeichnen.

Niemals vielleicht haben die kirchliche und die weltliche Macht sich gegen¬
seitig so einträchtig in die Hände gearbeitet, wie in jenen Tagen. Sie des¬
halb anzuklagen, sie einer Verschwörung zum Untergang deutscher Art und
Sitte zu bezüchtigen, wäre etwa die Art schaler Poeten, die nur ihren eignen,
nie aber den Gedanken der Weltgeschichte zu denken fähig sind. Wenn auch
der Glanz des Reiches mit dem Genie seines Herrschers erlosch, die trügerische
Schale, weil sie unnütz war. abfiel, so blieb doch nach dem Untergang der
Form der gesunde Kern übrig, welcher von jetzt ab. aus dem beimischen Bo¬
den Kraft saugend, nach trüben und stürmischen Zeiten jenen seltsam ver¬
zweigten Stamm der mittelalterlichen Welt aus sich hervorsprießen zu lassen
sähig war.

Versuchen wir es, den einzelnen Wurzeln nachzugraben und nachzugehen-
so weit dies noch möglich ist; verfolgen wir zunächst die Literatur, so weit sie


in das Herz Deutschlands bahnten, und vor denen sich schließlich selbst das
widerstrebende germanische Unabhängigkeitsgefühl beugen mußte. Die rö¬
mische Staatsordnung, unzweifelhaft die vornehmste Schöpfung der alten Welt,
hatte selbst den Sturz des weströmischen Reiches überdauert und bestand de>'
mals wie der Staat selbst noch im Osten ziemlich unberührt. Die römische
Kirche wurde die Trägerin dieser alten Ordnung der Dinge, welche nun auf
den jugendlichen Stamm der germanischen Volker gewaltsam, wie es diese
Operation einmal mit sich bringt, aufgepfropft, für die Zukunft doch ihre ge¬
segneten Früchte tragen sollte.

Die lateinische Sprache wurde in den Schulen des Reiches, welche unter
der durch und durch römischgesinnten Geistlichkeit standen, eingeführt. Karl
der Große selbst soll das Lateinische gesprochen und das Griechische wenig'
fleus verstanden haben.

An seinem Hose wurde das Studium des Alterthums eifrig betrieben
wenngleich schließlich in manchem, wie in Altum die engherzige Vcsorgniß
Raum gewann, durch das Lesen der alten heidnischen Autoren seinem Seelen¬
heil zu nahe zu treten. Der römische Stil wurde in einer freilich äußerst
trockenen und schwerfälligen Form von allen Seiten nachgeahmt. Lateinisch
war damals die Sprache der Kirche, der Wissenschaft, der Geschäfte, des
brieflichen und mündlichen Verkehrs. Römische Titel waren allbelicbt und
gesucht: der große Karl selbst nannte sich, so gut wie seine Vorfahren, Patricius,
und das Endziel all seines Strebens ging nach dem Namen eines Imperators
und der Kaiserkrone, mit der ihn Leo der Dritte im wohlverstandenen eignen
Interesse endlich überraschte. Vergleiche der damaligen Zustände mit denen
der alten Welt schmeichelten Karls Ehrgeiz: seinen Lieblingsort Aachen hörte
er gar zu gern von seinen Hofpoeten als ein zweites werdendes Rom be-
zeichnen.

Niemals vielleicht haben die kirchliche und die weltliche Macht sich gegen¬
seitig so einträchtig in die Hände gearbeitet, wie in jenen Tagen. Sie des¬
halb anzuklagen, sie einer Verschwörung zum Untergang deutscher Art und
Sitte zu bezüchtigen, wäre etwa die Art schaler Poeten, die nur ihren eignen,
nie aber den Gedanken der Weltgeschichte zu denken fähig sind. Wenn auch
der Glanz des Reiches mit dem Genie seines Herrschers erlosch, die trügerische
Schale, weil sie unnütz war. abfiel, so blieb doch nach dem Untergang der
Form der gesunde Kern übrig, welcher von jetzt ab. aus dem beimischen Bo¬
den Kraft saugend, nach trüben und stürmischen Zeiten jenen seltsam ver¬
zweigten Stamm der mittelalterlichen Welt aus sich hervorsprießen zu lassen
sähig war.

Versuchen wir es, den einzelnen Wurzeln nachzugraben und nachzugehen-
so weit dies noch möglich ist; verfolgen wir zunächst die Literatur, so weit sie


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[0290] in das Herz Deutschlands bahnten, und vor denen sich schließlich selbst das widerstrebende germanische Unabhängigkeitsgefühl beugen mußte. Die rö¬ mische Staatsordnung, unzweifelhaft die vornehmste Schöpfung der alten Welt, hatte selbst den Sturz des weströmischen Reiches überdauert und bestand de>' mals wie der Staat selbst noch im Osten ziemlich unberührt. Die römische Kirche wurde die Trägerin dieser alten Ordnung der Dinge, welche nun auf den jugendlichen Stamm der germanischen Volker gewaltsam, wie es diese Operation einmal mit sich bringt, aufgepfropft, für die Zukunft doch ihre ge¬ segneten Früchte tragen sollte. Die lateinische Sprache wurde in den Schulen des Reiches, welche unter der durch und durch römischgesinnten Geistlichkeit standen, eingeführt. Karl der Große selbst soll das Lateinische gesprochen und das Griechische wenig' fleus verstanden haben. An seinem Hose wurde das Studium des Alterthums eifrig betrieben wenngleich schließlich in manchem, wie in Altum die engherzige Vcsorgniß Raum gewann, durch das Lesen der alten heidnischen Autoren seinem Seelen¬ heil zu nahe zu treten. Der römische Stil wurde in einer freilich äußerst trockenen und schwerfälligen Form von allen Seiten nachgeahmt. Lateinisch war damals die Sprache der Kirche, der Wissenschaft, der Geschäfte, des brieflichen und mündlichen Verkehrs. Römische Titel waren allbelicbt und gesucht: der große Karl selbst nannte sich, so gut wie seine Vorfahren, Patricius, und das Endziel all seines Strebens ging nach dem Namen eines Imperators und der Kaiserkrone, mit der ihn Leo der Dritte im wohlverstandenen eignen Interesse endlich überraschte. Vergleiche der damaligen Zustände mit denen der alten Welt schmeichelten Karls Ehrgeiz: seinen Lieblingsort Aachen hörte er gar zu gern von seinen Hofpoeten als ein zweites werdendes Rom be- zeichnen. Niemals vielleicht haben die kirchliche und die weltliche Macht sich gegen¬ seitig so einträchtig in die Hände gearbeitet, wie in jenen Tagen. Sie des¬ halb anzuklagen, sie einer Verschwörung zum Untergang deutscher Art und Sitte zu bezüchtigen, wäre etwa die Art schaler Poeten, die nur ihren eignen, nie aber den Gedanken der Weltgeschichte zu denken fähig sind. Wenn auch der Glanz des Reiches mit dem Genie seines Herrschers erlosch, die trügerische Schale, weil sie unnütz war. abfiel, so blieb doch nach dem Untergang der Form der gesunde Kern übrig, welcher von jetzt ab. aus dem beimischen Bo¬ den Kraft saugend, nach trüben und stürmischen Zeiten jenen seltsam ver¬ zweigten Stamm der mittelalterlichen Welt aus sich hervorsprießen zu lassen sähig war. Versuchen wir es, den einzelnen Wurzeln nachzugraben und nachzugehen- so weit dies noch möglich ist; verfolgen wir zunächst die Literatur, so weit sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/290>, abgerufen am 23.07.2024.