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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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mung hin. daß auch die allergewöhnlichsten und allerunentbehrlichsten Bezeich¬
nungen baulicher Thätigkeit wie Dach. Mauer. Angel, Pforte, Fenster latei¬
nischen Ursprungs sind. Ja, dein Stamm der Angelsachsen mangelt sogar
das Wort "bauen" selbst, und er ist daher genöthigt, sich des nur zur Be¬
zeichnung des Holzbaues geeigneten Wortes "zimmern" für diese Thätigkeit
schlechthin zu bedienen. Wenn etwas, so beweisen diese Dinge, daß wenig¬
stens der Steinbau und seine Technik nicht heimischen, sondern römischen Ur¬
sprungs sind.

Liegt doch jene alles Fremde kalt abstoßende Sprödigkeit andrer Nationen
überhaupt gar nicht im Charakter der germanischen Volksstämme begründet,
die sich vielmehr überall, wohin sie auch ihr Muth und ihr Geschick warf,
mit einer fast weiblichen Weichheit an das Vorgefundene angeschlossen haben.
Schon der große Theodorich, der Beherrscher der OstMhen, regierte weiser,
wie vordem jene mächtigen Cäsaren Roms gemeinsam die Germanen und
Römer, gleich billig gegen jeden der beiden Theile. Aus dem besiegten, aber
an geistiger Bildung seinem Volke überlegenen Stamme der Römer wählte
er vorurtheilsfrei seine höheren Beamten, in der gewandteren, für den Verkehr
geeigneteren lateinischen Sprache erließ er seine Befehle. Für die Erhaltung
der Bauwerke des römischen Volkes sorgte der neue Herrscher durch specielle
Verordnungen und endlich warf sich der angebliche Barbar sogar zum Be¬
schützer der Künste und Wissenschaften aus. Sein eigenes noch ziemlich un¬
versehrt erhaltenes Grabmonument in der Nähe Ravennas ließ er in der
thurmartigen Gestalt römischer Grabdenkmäler aufführen. Sein Palast war
ein Abbild des Diocletianischen zu Salona, so weit Beschreibungen und Trüm¬
mer noch einen Blick in denselben gestatten. Römischen Ursprungs sind selbst
die feineren Gliederungen an seinen Bauwerken, und um auf das sprachliche
Gebiet überzuspringen, die Reste der auf uns gekommenen gothischen Bibel¬
übersetzung enthalten eine wenigstens für den Umfang, wie die kurze
des Verkehrs zwischen Gothen, Griechen und Römern nicht unbedeutende An¬
zahl von Fremdwörtern. So steht es mit der Antike und ihrer Aufnahme bei
demjenigen Stamme der Germanen, von dem wir. wie von keinem zweiten >"
so früher Zeit, durch schriftliche und monumentale Ueberreste genauer unter¬
richtet sind.

Der Weichheit und Nachgiebigkeit des germanischen Bestandtheiles "'
Frankreich verdanken bekanntlich die Sprache und die Einrichtungen dieses Lan¬
des überhaupt erst ihr Dasein. Zur Zeit der Merovinger. ja sogar noch
unter Karl dem Großen bestanden auf fränkischem Boden die lateinische
und unsre Muttersprache friedlich nebeneinander, letztere genoß sogar noch
den Vorzug, Sprache der Sieger, des Hofes und seines Adels zu sein. All-
mälig trat das germanische Element jedoch in den Hintergrund, das lateinische


mung hin. daß auch die allergewöhnlichsten und allerunentbehrlichsten Bezeich¬
nungen baulicher Thätigkeit wie Dach. Mauer. Angel, Pforte, Fenster latei¬
nischen Ursprungs sind. Ja, dein Stamm der Angelsachsen mangelt sogar
das Wort „bauen" selbst, und er ist daher genöthigt, sich des nur zur Be¬
zeichnung des Holzbaues geeigneten Wortes „zimmern" für diese Thätigkeit
schlechthin zu bedienen. Wenn etwas, so beweisen diese Dinge, daß wenig¬
stens der Steinbau und seine Technik nicht heimischen, sondern römischen Ur¬
sprungs sind.

Liegt doch jene alles Fremde kalt abstoßende Sprödigkeit andrer Nationen
überhaupt gar nicht im Charakter der germanischen Volksstämme begründet,
die sich vielmehr überall, wohin sie auch ihr Muth und ihr Geschick warf,
mit einer fast weiblichen Weichheit an das Vorgefundene angeschlossen haben.
Schon der große Theodorich, der Beherrscher der OstMhen, regierte weiser,
wie vordem jene mächtigen Cäsaren Roms gemeinsam die Germanen und
Römer, gleich billig gegen jeden der beiden Theile. Aus dem besiegten, aber
an geistiger Bildung seinem Volke überlegenen Stamme der Römer wählte
er vorurtheilsfrei seine höheren Beamten, in der gewandteren, für den Verkehr
geeigneteren lateinischen Sprache erließ er seine Befehle. Für die Erhaltung
der Bauwerke des römischen Volkes sorgte der neue Herrscher durch specielle
Verordnungen und endlich warf sich der angebliche Barbar sogar zum Be¬
schützer der Künste und Wissenschaften aus. Sein eigenes noch ziemlich un¬
versehrt erhaltenes Grabmonument in der Nähe Ravennas ließ er in der
thurmartigen Gestalt römischer Grabdenkmäler aufführen. Sein Palast war
ein Abbild des Diocletianischen zu Salona, so weit Beschreibungen und Trüm¬
mer noch einen Blick in denselben gestatten. Römischen Ursprungs sind selbst
die feineren Gliederungen an seinen Bauwerken, und um auf das sprachliche
Gebiet überzuspringen, die Reste der auf uns gekommenen gothischen Bibel¬
übersetzung enthalten eine wenigstens für den Umfang, wie die kurze
des Verkehrs zwischen Gothen, Griechen und Römern nicht unbedeutende An¬
zahl von Fremdwörtern. So steht es mit der Antike und ihrer Aufnahme bei
demjenigen Stamme der Germanen, von dem wir. wie von keinem zweiten >"
so früher Zeit, durch schriftliche und monumentale Ueberreste genauer unter¬
richtet sind.

Der Weichheit und Nachgiebigkeit des germanischen Bestandtheiles «'
Frankreich verdanken bekanntlich die Sprache und die Einrichtungen dieses Lan¬
des überhaupt erst ihr Dasein. Zur Zeit der Merovinger. ja sogar noch
unter Karl dem Großen bestanden auf fränkischem Boden die lateinische
und unsre Muttersprache friedlich nebeneinander, letztere genoß sogar noch
den Vorzug, Sprache der Sieger, des Hofes und seines Adels zu sein. All-
mälig trat das germanische Element jedoch in den Hintergrund, das lateinische


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[0288] mung hin. daß auch die allergewöhnlichsten und allerunentbehrlichsten Bezeich¬ nungen baulicher Thätigkeit wie Dach. Mauer. Angel, Pforte, Fenster latei¬ nischen Ursprungs sind. Ja, dein Stamm der Angelsachsen mangelt sogar das Wort „bauen" selbst, und er ist daher genöthigt, sich des nur zur Be¬ zeichnung des Holzbaues geeigneten Wortes „zimmern" für diese Thätigkeit schlechthin zu bedienen. Wenn etwas, so beweisen diese Dinge, daß wenig¬ stens der Steinbau und seine Technik nicht heimischen, sondern römischen Ur¬ sprungs sind. Liegt doch jene alles Fremde kalt abstoßende Sprödigkeit andrer Nationen überhaupt gar nicht im Charakter der germanischen Volksstämme begründet, die sich vielmehr überall, wohin sie auch ihr Muth und ihr Geschick warf, mit einer fast weiblichen Weichheit an das Vorgefundene angeschlossen haben. Schon der große Theodorich, der Beherrscher der OstMhen, regierte weiser, wie vordem jene mächtigen Cäsaren Roms gemeinsam die Germanen und Römer, gleich billig gegen jeden der beiden Theile. Aus dem besiegten, aber an geistiger Bildung seinem Volke überlegenen Stamme der Römer wählte er vorurtheilsfrei seine höheren Beamten, in der gewandteren, für den Verkehr geeigneteren lateinischen Sprache erließ er seine Befehle. Für die Erhaltung der Bauwerke des römischen Volkes sorgte der neue Herrscher durch specielle Verordnungen und endlich warf sich der angebliche Barbar sogar zum Be¬ schützer der Künste und Wissenschaften aus. Sein eigenes noch ziemlich un¬ versehrt erhaltenes Grabmonument in der Nähe Ravennas ließ er in der thurmartigen Gestalt römischer Grabdenkmäler aufführen. Sein Palast war ein Abbild des Diocletianischen zu Salona, so weit Beschreibungen und Trüm¬ mer noch einen Blick in denselben gestatten. Römischen Ursprungs sind selbst die feineren Gliederungen an seinen Bauwerken, und um auf das sprachliche Gebiet überzuspringen, die Reste der auf uns gekommenen gothischen Bibel¬ übersetzung enthalten eine wenigstens für den Umfang, wie die kurze des Verkehrs zwischen Gothen, Griechen und Römern nicht unbedeutende An¬ zahl von Fremdwörtern. So steht es mit der Antike und ihrer Aufnahme bei demjenigen Stamme der Germanen, von dem wir. wie von keinem zweiten >" so früher Zeit, durch schriftliche und monumentale Ueberreste genauer unter¬ richtet sind. Der Weichheit und Nachgiebigkeit des germanischen Bestandtheiles «' Frankreich verdanken bekanntlich die Sprache und die Einrichtungen dieses Lan¬ des überhaupt erst ihr Dasein. Zur Zeit der Merovinger. ja sogar noch unter Karl dem Großen bestanden auf fränkischem Boden die lateinische und unsre Muttersprache friedlich nebeneinander, letztere genoß sogar noch den Vorzug, Sprache der Sieger, des Hofes und seines Adels zu sein. All- mälig trat das germanische Element jedoch in den Hintergrund, das lateinische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/288>, abgerufen am 25.08.2024.