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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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dieser Wildnis, und neben den orientalischen Trachten ihrer Dragomane und
Mukaris seltsam genug ausnahmen. Wir lagerten uns mit ihnen unter alten
Oelbäumen in der Nachbarschaft der Wasserscheide zwischen Jordan und Mit¬
telmeer, wo wir eine schöne Aussicht auf die Ebne von Saran genossen.

Durch den Kanzler des Generalconsulats und einen dritten Kawasch, die
hier ihren Chef begrüßten, so wie durch zwei deutsche Mönche von Jerusalem
verstärkt, brachen wir um Mittag zur Weiterreise auf und waren nach einer
starken Stunde in dem tiefen Thale, in welchem rechts von der Straße an
die Bergwand gelehnt das hübsche Städtchen Kurjet El Enab mit seinen
stattlichen gelben Steinhäusern, seiner großen Moschee und seinen Feigen- und
Olivengärten liegt. Die Mönche sehen in dem Orte das nlttestamentliche Ana-
thot, andere wollen darin das Kirjat Jearim finden, wohin die Leute der
Grenzstadt Bethsemes einst die Bundeslade brachten. Der Volksmund aber
nennt die Stadt Abu Gosch, nach einem Räuberhauptmann dieses Namens,
der hier vor einigen Jahren die Reisenden plünderte, zuletzt aber eingefangen
und nach Widdin in die Verbannung geschickt wurde.

Hier begrüßte den Generalconsul eine Deputation der Sepharcdim van
Jerusalem, die sich uns dann anschloß und durch ihre Turbane und ihre bun¬
ten Gewänder, ihre orientalischen Physiognomien und ihre Patriarchenbärte
unserm Zuge schon ein vorwaltend morgenländisches Aussehen gab. I>"
nächsten Thal, bei den Gärten des Ortes Kulonieh, wartete unser eine zweite
Gesandtschaft der Kinder Israel, die von den deutsch redenden AschkenasiM
ausgegangen war, und nun überwog in unserer Kamvane das jüdische
Idiom und die jüdische Nase so vollständig, daß ich, um die Symmetrie und
Harmonie nicht zu stören, eine Strecke zurückblieb. Weiterhin wurde die
Gegend wilder und kahler. Bald war kein Baum, kein Strauch und kaum
ein Halm mehr an den Bergrücken zu sehen, die sich jetzt steiler und
rascherer Aufeinanderfolge quer über den Weg lagerten. Wir stiegen W
das Terebinthenthcil hinab, das, wie es scheint, seinen Namen davon hat.
daß es keine Terebinthen besitzt, sahen in der Ferne den hohen Kegelberg
sich erheben, auf dem das Grabmal des Nebbi Samwil, des Propheten
Samuel steht, und gelangten endlich auf eine steinbesäete Hochfläche,
ich zuerst ein Stück und bald nachher die ganze Breite der'Westseite von
Jerusalem vor mir sah. Hier empfing uns ein Detachement türkischer Reiter,
geführt von einem Offizier mit Epauletten, und wieder begann ein Pauker
vor uns her zu klimpern. Der preußische Consul hatte seinen Draaoman
sammt einem Kawaschen zur Begrüßung herausgeschickt. Andere Bekannte
oder Untergebene, darunter wiederum mehre Juden, warteten mit ihnen, ""i
durch Anschluß an unsre Karavane den Einzug des Vertreters Oestreichs zu
verherrlichen. Keiner der Juden versäumte, dem Gefeierten die Hand zu küssen-


dieser Wildnis, und neben den orientalischen Trachten ihrer Dragomane und
Mukaris seltsam genug ausnahmen. Wir lagerten uns mit ihnen unter alten
Oelbäumen in der Nachbarschaft der Wasserscheide zwischen Jordan und Mit¬
telmeer, wo wir eine schöne Aussicht auf die Ebne von Saran genossen.

Durch den Kanzler des Generalconsulats und einen dritten Kawasch, die
hier ihren Chef begrüßten, so wie durch zwei deutsche Mönche von Jerusalem
verstärkt, brachen wir um Mittag zur Weiterreise auf und waren nach einer
starken Stunde in dem tiefen Thale, in welchem rechts von der Straße an
die Bergwand gelehnt das hübsche Städtchen Kurjet El Enab mit seinen
stattlichen gelben Steinhäusern, seiner großen Moschee und seinen Feigen- und
Olivengärten liegt. Die Mönche sehen in dem Orte das nlttestamentliche Ana-
thot, andere wollen darin das Kirjat Jearim finden, wohin die Leute der
Grenzstadt Bethsemes einst die Bundeslade brachten. Der Volksmund aber
nennt die Stadt Abu Gosch, nach einem Räuberhauptmann dieses Namens,
der hier vor einigen Jahren die Reisenden plünderte, zuletzt aber eingefangen
und nach Widdin in die Verbannung geschickt wurde.

Hier begrüßte den Generalconsul eine Deputation der Sepharcdim van
Jerusalem, die sich uns dann anschloß und durch ihre Turbane und ihre bun¬
ten Gewänder, ihre orientalischen Physiognomien und ihre Patriarchenbärte
unserm Zuge schon ein vorwaltend morgenländisches Aussehen gab. I>"
nächsten Thal, bei den Gärten des Ortes Kulonieh, wartete unser eine zweite
Gesandtschaft der Kinder Israel, die von den deutsch redenden AschkenasiM
ausgegangen war, und nun überwog in unserer Kamvane das jüdische
Idiom und die jüdische Nase so vollständig, daß ich, um die Symmetrie und
Harmonie nicht zu stören, eine Strecke zurückblieb. Weiterhin wurde die
Gegend wilder und kahler. Bald war kein Baum, kein Strauch und kaum
ein Halm mehr an den Bergrücken zu sehen, die sich jetzt steiler und
rascherer Aufeinanderfolge quer über den Weg lagerten. Wir stiegen W
das Terebinthenthcil hinab, das, wie es scheint, seinen Namen davon hat.
daß es keine Terebinthen besitzt, sahen in der Ferne den hohen Kegelberg
sich erheben, auf dem das Grabmal des Nebbi Samwil, des Propheten
Samuel steht, und gelangten endlich auf eine steinbesäete Hochfläche,
ich zuerst ein Stück und bald nachher die ganze Breite der'Westseite von
Jerusalem vor mir sah. Hier empfing uns ein Detachement türkischer Reiter,
geführt von einem Offizier mit Epauletten, und wieder begann ein Pauker
vor uns her zu klimpern. Der preußische Consul hatte seinen Draaoman
sammt einem Kawaschen zur Begrüßung herausgeschickt. Andere Bekannte
oder Untergebene, darunter wiederum mehre Juden, warteten mit ihnen, »"i
durch Anschluß an unsre Karavane den Einzug des Vertreters Oestreichs zu
verherrlichen. Keiner der Juden versäumte, dem Gefeierten die Hand zu küssen-


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[0274] dieser Wildnis, und neben den orientalischen Trachten ihrer Dragomane und Mukaris seltsam genug ausnahmen. Wir lagerten uns mit ihnen unter alten Oelbäumen in der Nachbarschaft der Wasserscheide zwischen Jordan und Mit¬ telmeer, wo wir eine schöne Aussicht auf die Ebne von Saran genossen. Durch den Kanzler des Generalconsulats und einen dritten Kawasch, die hier ihren Chef begrüßten, so wie durch zwei deutsche Mönche von Jerusalem verstärkt, brachen wir um Mittag zur Weiterreise auf und waren nach einer starken Stunde in dem tiefen Thale, in welchem rechts von der Straße an die Bergwand gelehnt das hübsche Städtchen Kurjet El Enab mit seinen stattlichen gelben Steinhäusern, seiner großen Moschee und seinen Feigen- und Olivengärten liegt. Die Mönche sehen in dem Orte das nlttestamentliche Ana- thot, andere wollen darin das Kirjat Jearim finden, wohin die Leute der Grenzstadt Bethsemes einst die Bundeslade brachten. Der Volksmund aber nennt die Stadt Abu Gosch, nach einem Räuberhauptmann dieses Namens, der hier vor einigen Jahren die Reisenden plünderte, zuletzt aber eingefangen und nach Widdin in die Verbannung geschickt wurde. Hier begrüßte den Generalconsul eine Deputation der Sepharcdim van Jerusalem, die sich uns dann anschloß und durch ihre Turbane und ihre bun¬ ten Gewänder, ihre orientalischen Physiognomien und ihre Patriarchenbärte unserm Zuge schon ein vorwaltend morgenländisches Aussehen gab. I>" nächsten Thal, bei den Gärten des Ortes Kulonieh, wartete unser eine zweite Gesandtschaft der Kinder Israel, die von den deutsch redenden AschkenasiM ausgegangen war, und nun überwog in unserer Kamvane das jüdische Idiom und die jüdische Nase so vollständig, daß ich, um die Symmetrie und Harmonie nicht zu stören, eine Strecke zurückblieb. Weiterhin wurde die Gegend wilder und kahler. Bald war kein Baum, kein Strauch und kaum ein Halm mehr an den Bergrücken zu sehen, die sich jetzt steiler und rascherer Aufeinanderfolge quer über den Weg lagerten. Wir stiegen W das Terebinthenthcil hinab, das, wie es scheint, seinen Namen davon hat. daß es keine Terebinthen besitzt, sahen in der Ferne den hohen Kegelberg sich erheben, auf dem das Grabmal des Nebbi Samwil, des Propheten Samuel steht, und gelangten endlich auf eine steinbesäete Hochfläche, ich zuerst ein Stück und bald nachher die ganze Breite der'Westseite von Jerusalem vor mir sah. Hier empfing uns ein Detachement türkischer Reiter, geführt von einem Offizier mit Epauletten, und wieder begann ein Pauker vor uns her zu klimpern. Der preußische Consul hatte seinen Draaoman sammt einem Kawaschen zur Begrüßung herausgeschickt. Andere Bekannte oder Untergebene, darunter wiederum mehre Juden, warteten mit ihnen, »"i durch Anschluß an unsre Karavane den Einzug des Vertreters Oestreichs zu verherrlichen. Keiner der Juden versäumte, dem Gefeierten die Hand zu küssen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/274>, abgerufen am 23.07.2024.