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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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nat nicht zu. auf die äußerste Strafe zu erkennen, die der Verbrecher verdient
habe. Im Exil auf einer Insel, nach Einziehung seines Vermögens, werde
er je länger er sein schuldiges Leben hinschleppe, selbst umso elender und ein
leuchtendes Beispiel der Gnade der Negierung sein. Der Muth, den Thrasea
bewies, löste den knechtischen Sinn der Uebrigen. die meisten traten aus seine
Seite, unter seinen wenigen Gegnern befand sich der spätere Kaiser Vitellius.
einer der niedrigsten Speichellecker Neros. Aber die Consuln wagten den Be¬
schluß des Senats nicht in Kraft zu setzen, und statteten nun dem Kaiser
über das Votum der Mehrheit schriftlich Bericht ab. Nero, zwischen Scham
und Wuth zögernd antwortete nichts weniger als gnädig: übrigens wolle
er. der einem strengen Spruch entgegengetreten sein würde, einen mildern nicht
verhindern, man möchte nach Belieben beschließen, und wenn man wolle den
Angeklagten freisprechen. Trotz der offenbaren Unzufriedenheit des Kaisers
veharrte der Senat bei seinem Beschluß, cur Theil, weil sie den Kaiser nicht
in ungünstigem Licht erscheinen lassen wollten; die meisten, weil sie sich durch
ihre Zahl sicher fühlten. Daß Thrasea Neros Zorn gegen sich heraufbeschwo¬
ren hatte, zeigte sich bald. Im Jahr K3 gebar Poppäa eine Tochter in
Antium, der Senat begab sich zur Beglückwünschung dorthin. Thrasea allein
Ward abgewiesen; er nahm diese Beschimpfung, die ihm den drohenden Unter¬
gang vorausverkündete, mit unerschütterter Ruhe auf. Fortan betrat er
Curie nicht mehr, weil er bei der Theilnahme an den Berathungen des Se¬
nats entweder sein Leben oder seine Ehre Preis geben mußte. Doch zögerte
Nero noch einige Jahre, ehe er seine Creaturen gegen ihn losließ. Vielleicht
hoffte er den Mann, auf den aller Augen gerichtet waren und der ihm selbst
Achtung abnöthigte. sich gewinnen zu können, wenigstens wird von ihm die
Aeußerung berichtet: er wünsche so sehr von Thrasea geliebt zu werden, wie
dessen Urtheil in Wahrheit das beste sei. . Aber in seiner Umgebung fehlte
es nicht an Personen, in deren Interesse es lag, seinen Groll zu nähren und
zum Ausbruch zu treiben. Fort und fort wurde er erinnert, daß Thrasea bei
den Verhandlungen nach Agrippinas Tode den Senat verlassen, daß er nich!
bei Schauspielen mitgewirkt (was als indnecte Kritik des Auftretens des Kai¬
sers angesehen wurde), daß er für die mildere Bestrafung jenes Majestäts-
verbrechcns gestimmt, daß er bei dem Beschluß, die verstorbene Kaiserin Poppäa
unter die Götter zu erheben, ohne Grund im Senat und dann auch bei ihrem
Begräbnis) gefehlt habe. Bei der Eidesleistung auf die Verordnungen der
Kaiser am ersten Tage des Jahres sei er nicht zugegen, ebenso wenig bei
den Gelübden für des Regenten Wohl, obwol er eine pnestcrliche Würde bekleide.
Nie habe er selbst sür den Kaiser, namentlich für dessen "himmlische Stimme"
Opfer gebracht. Er. der früher bei den unbedeutendsten Debatten im Senat
sür oder wider gesprochen, habe seit drei.Jahren die Curie nicht mehr betreten.


nat nicht zu. auf die äußerste Strafe zu erkennen, die der Verbrecher verdient
habe. Im Exil auf einer Insel, nach Einziehung seines Vermögens, werde
er je länger er sein schuldiges Leben hinschleppe, selbst umso elender und ein
leuchtendes Beispiel der Gnade der Negierung sein. Der Muth, den Thrasea
bewies, löste den knechtischen Sinn der Uebrigen. die meisten traten aus seine
Seite, unter seinen wenigen Gegnern befand sich der spätere Kaiser Vitellius.
einer der niedrigsten Speichellecker Neros. Aber die Consuln wagten den Be¬
schluß des Senats nicht in Kraft zu setzen, und statteten nun dem Kaiser
über das Votum der Mehrheit schriftlich Bericht ab. Nero, zwischen Scham
und Wuth zögernd antwortete nichts weniger als gnädig: übrigens wolle
er. der einem strengen Spruch entgegengetreten sein würde, einen mildern nicht
verhindern, man möchte nach Belieben beschließen, und wenn man wolle den
Angeklagten freisprechen. Trotz der offenbaren Unzufriedenheit des Kaisers
veharrte der Senat bei seinem Beschluß, cur Theil, weil sie den Kaiser nicht
in ungünstigem Licht erscheinen lassen wollten; die meisten, weil sie sich durch
ihre Zahl sicher fühlten. Daß Thrasea Neros Zorn gegen sich heraufbeschwo¬
ren hatte, zeigte sich bald. Im Jahr K3 gebar Poppäa eine Tochter in
Antium, der Senat begab sich zur Beglückwünschung dorthin. Thrasea allein
Ward abgewiesen; er nahm diese Beschimpfung, die ihm den drohenden Unter¬
gang vorausverkündete, mit unerschütterter Ruhe auf. Fortan betrat er
Curie nicht mehr, weil er bei der Theilnahme an den Berathungen des Se¬
nats entweder sein Leben oder seine Ehre Preis geben mußte. Doch zögerte
Nero noch einige Jahre, ehe er seine Creaturen gegen ihn losließ. Vielleicht
hoffte er den Mann, auf den aller Augen gerichtet waren und der ihm selbst
Achtung abnöthigte. sich gewinnen zu können, wenigstens wird von ihm die
Aeußerung berichtet: er wünsche so sehr von Thrasea geliebt zu werden, wie
dessen Urtheil in Wahrheit das beste sei. . Aber in seiner Umgebung fehlte
es nicht an Personen, in deren Interesse es lag, seinen Groll zu nähren und
zum Ausbruch zu treiben. Fort und fort wurde er erinnert, daß Thrasea bei
den Verhandlungen nach Agrippinas Tode den Senat verlassen, daß er nich!
bei Schauspielen mitgewirkt (was als indnecte Kritik des Auftretens des Kai¬
sers angesehen wurde), daß er für die mildere Bestrafung jenes Majestäts-
verbrechcns gestimmt, daß er bei dem Beschluß, die verstorbene Kaiserin Poppäa
unter die Götter zu erheben, ohne Grund im Senat und dann auch bei ihrem
Begräbnis) gefehlt habe. Bei der Eidesleistung auf die Verordnungen der
Kaiser am ersten Tage des Jahres sei er nicht zugegen, ebenso wenig bei
den Gelübden für des Regenten Wohl, obwol er eine pnestcrliche Würde bekleide.
Nie habe er selbst sür den Kaiser, namentlich für dessen „himmlische Stimme"
Opfer gebracht. Er. der früher bei den unbedeutendsten Debatten im Senat
sür oder wider gesprochen, habe seit drei.Jahren die Curie nicht mehr betreten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/27>, abgerufen am 22.07.2024.