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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Majestätsverbrechen, keine Begeisterung für die musikalischen Leistungen des
Kaisers an den Tag zu legen, nicht in den anbefohlenen Jubel über den Tod
Agrippinas einzustimmen. Nach der officiellen Darstellung, zu der seine Feder
zu leihen Seneca erbärmlich genug war, war der zu ihrem Untergang künst¬
lich veranstaltete Schiffbruch ein zufälliger gewesen; dann sollte einer von ihren
vertrauten Freigelassenen mit einem Dolch in Neros Nähe gesunden worden
sein und sie selbst in Gewissensqual über den beabsichtigten Mord ihres Soh¬
nes ihrem Leben ein Ende gemacht haben. Obgleich die Wahrheit allbekannt
war, beeilte sich der Senat doch. Dankseste für die Rettung des Kaisers zu
Votiren, das Minervafest, an dem die angebliche Nachstellung entdeckt sein
sollte, beschloß man fortan mit jährlichen Schauspielen zuseiern, in der Curie
eine goldene Bildsäule der Minerva und daneben eine Statue Neros aufzu¬
stellen, den Geburtstag Agrippinas für einen Unglück bringenden zu erklären.
Bei diesen schandbaren Beschlüssen verließ Thrasea Palus, der bis dahin die
Schmeicheleien seiner Collegen entweder schweigend oder mit einsilbiger Zu¬
stimmung angehört hatte, den Senat. Dadurch, sagt Tacitus, der diesen
Schritt nicht billigt, schuf er sich selbst eine Ursache der Gefahr, ohne den
Uebrigen den Zugang zur Freiheit zu eröffnen. Tacitus verwarf den "jähen
Trotz" ebenso sehr als den "schimpflichen Gehorsam" und stellte diejenigen,
die auch in den schlimmsten Zeiten den schmalen Pfad zwischen beiden Ex¬
tremen behauptend sich dem Vaterland erhielten (wie Agricola), höher als
jene, die in einem nutzlosen Märtyrertod ihren Ruhm suchten. Doch mit
Ausnahme der erwähnten Demonstration, die man dem überwältigenden
Ekel an solcher Niederträchtigkeit wol zu Gute halten darf, zeigt Thraseas
ganzes Verhalten nichts von Märtyrersncht, vielmehr so viel Nachgiebigkeit
gegen den Druck der Verhältnisse, als man von einem hochgesinnten Mann,
wie er es war-, erwarten darf; übrigens würde er seinem Schicksal schwerlich
entgangen sein, wenn er seine Gesinnung auch grade bei dieser Gelegenheit
zu verbergen vermocht hätte. Wenige Jahre darauf wurde das von Claudius
abgeschaffte Majcstütsgesetz wieder in Kraft gesetzt; der erste Angeklagte war
ein Prätor, der bei einem großen Gastmahl Gedichte voll von Schmähungen
gegen den Kaiser vorgelesen hatte. Man glaubte die Anklage sei erhoben
worden, um nach erfolgter Verurtheilung dem Kaiser eine glänzende Gelegen¬
heit zur Uebung seiner Gnade zu geben. Die Mehrzahl der Senatoren stimmte
sür Absetzung vom Amt und Hinrichtung nach dem Brauch der Vorfahren,
(wobei der Verurtheilte erst mit Ruthen gepeitscht und dann enthauptet wurde).
Thraseas Votum zeigt, daß er von einer starren principiellen Opposition, die
den Umständen keine Rechnung trägt, weit entfernt war. Er sprach höchst
ehrenvoll von Nero, heftig gegen den Angeklagten: doch unter einem aus¬
gezeichneten Fürsten komme es einem durch keinen Zwang eingeschränkten Se-


Majestätsverbrechen, keine Begeisterung für die musikalischen Leistungen des
Kaisers an den Tag zu legen, nicht in den anbefohlenen Jubel über den Tod
Agrippinas einzustimmen. Nach der officiellen Darstellung, zu der seine Feder
zu leihen Seneca erbärmlich genug war, war der zu ihrem Untergang künst¬
lich veranstaltete Schiffbruch ein zufälliger gewesen; dann sollte einer von ihren
vertrauten Freigelassenen mit einem Dolch in Neros Nähe gesunden worden
sein und sie selbst in Gewissensqual über den beabsichtigten Mord ihres Soh¬
nes ihrem Leben ein Ende gemacht haben. Obgleich die Wahrheit allbekannt
war, beeilte sich der Senat doch. Dankseste für die Rettung des Kaisers zu
Votiren, das Minervafest, an dem die angebliche Nachstellung entdeckt sein
sollte, beschloß man fortan mit jährlichen Schauspielen zuseiern, in der Curie
eine goldene Bildsäule der Minerva und daneben eine Statue Neros aufzu¬
stellen, den Geburtstag Agrippinas für einen Unglück bringenden zu erklären.
Bei diesen schandbaren Beschlüssen verließ Thrasea Palus, der bis dahin die
Schmeicheleien seiner Collegen entweder schweigend oder mit einsilbiger Zu¬
stimmung angehört hatte, den Senat. Dadurch, sagt Tacitus, der diesen
Schritt nicht billigt, schuf er sich selbst eine Ursache der Gefahr, ohne den
Uebrigen den Zugang zur Freiheit zu eröffnen. Tacitus verwarf den „jähen
Trotz" ebenso sehr als den „schimpflichen Gehorsam" und stellte diejenigen,
die auch in den schlimmsten Zeiten den schmalen Pfad zwischen beiden Ex¬
tremen behauptend sich dem Vaterland erhielten (wie Agricola), höher als
jene, die in einem nutzlosen Märtyrertod ihren Ruhm suchten. Doch mit
Ausnahme der erwähnten Demonstration, die man dem überwältigenden
Ekel an solcher Niederträchtigkeit wol zu Gute halten darf, zeigt Thraseas
ganzes Verhalten nichts von Märtyrersncht, vielmehr so viel Nachgiebigkeit
gegen den Druck der Verhältnisse, als man von einem hochgesinnten Mann,
wie er es war-, erwarten darf; übrigens würde er seinem Schicksal schwerlich
entgangen sein, wenn er seine Gesinnung auch grade bei dieser Gelegenheit
zu verbergen vermocht hätte. Wenige Jahre darauf wurde das von Claudius
abgeschaffte Majcstütsgesetz wieder in Kraft gesetzt; der erste Angeklagte war
ein Prätor, der bei einem großen Gastmahl Gedichte voll von Schmähungen
gegen den Kaiser vorgelesen hatte. Man glaubte die Anklage sei erhoben
worden, um nach erfolgter Verurtheilung dem Kaiser eine glänzende Gelegen¬
heit zur Uebung seiner Gnade zu geben. Die Mehrzahl der Senatoren stimmte
sür Absetzung vom Amt und Hinrichtung nach dem Brauch der Vorfahren,
(wobei der Verurtheilte erst mit Ruthen gepeitscht und dann enthauptet wurde).
Thraseas Votum zeigt, daß er von einer starren principiellen Opposition, die
den Umständen keine Rechnung trägt, weit entfernt war. Er sprach höchst
ehrenvoll von Nero, heftig gegen den Angeklagten: doch unter einem aus¬
gezeichneten Fürsten komme es einem durch keinen Zwang eingeschränkten Se-


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[0026] Majestätsverbrechen, keine Begeisterung für die musikalischen Leistungen des Kaisers an den Tag zu legen, nicht in den anbefohlenen Jubel über den Tod Agrippinas einzustimmen. Nach der officiellen Darstellung, zu der seine Feder zu leihen Seneca erbärmlich genug war, war der zu ihrem Untergang künst¬ lich veranstaltete Schiffbruch ein zufälliger gewesen; dann sollte einer von ihren vertrauten Freigelassenen mit einem Dolch in Neros Nähe gesunden worden sein und sie selbst in Gewissensqual über den beabsichtigten Mord ihres Soh¬ nes ihrem Leben ein Ende gemacht haben. Obgleich die Wahrheit allbekannt war, beeilte sich der Senat doch. Dankseste für die Rettung des Kaisers zu Votiren, das Minervafest, an dem die angebliche Nachstellung entdeckt sein sollte, beschloß man fortan mit jährlichen Schauspielen zuseiern, in der Curie eine goldene Bildsäule der Minerva und daneben eine Statue Neros aufzu¬ stellen, den Geburtstag Agrippinas für einen Unglück bringenden zu erklären. Bei diesen schandbaren Beschlüssen verließ Thrasea Palus, der bis dahin die Schmeicheleien seiner Collegen entweder schweigend oder mit einsilbiger Zu¬ stimmung angehört hatte, den Senat. Dadurch, sagt Tacitus, der diesen Schritt nicht billigt, schuf er sich selbst eine Ursache der Gefahr, ohne den Uebrigen den Zugang zur Freiheit zu eröffnen. Tacitus verwarf den „jähen Trotz" ebenso sehr als den „schimpflichen Gehorsam" und stellte diejenigen, die auch in den schlimmsten Zeiten den schmalen Pfad zwischen beiden Ex¬ tremen behauptend sich dem Vaterland erhielten (wie Agricola), höher als jene, die in einem nutzlosen Märtyrertod ihren Ruhm suchten. Doch mit Ausnahme der erwähnten Demonstration, die man dem überwältigenden Ekel an solcher Niederträchtigkeit wol zu Gute halten darf, zeigt Thraseas ganzes Verhalten nichts von Märtyrersncht, vielmehr so viel Nachgiebigkeit gegen den Druck der Verhältnisse, als man von einem hochgesinnten Mann, wie er es war-, erwarten darf; übrigens würde er seinem Schicksal schwerlich entgangen sein, wenn er seine Gesinnung auch grade bei dieser Gelegenheit zu verbergen vermocht hätte. Wenige Jahre darauf wurde das von Claudius abgeschaffte Majcstütsgesetz wieder in Kraft gesetzt; der erste Angeklagte war ein Prätor, der bei einem großen Gastmahl Gedichte voll von Schmähungen gegen den Kaiser vorgelesen hatte. Man glaubte die Anklage sei erhoben worden, um nach erfolgter Verurtheilung dem Kaiser eine glänzende Gelegen¬ heit zur Uebung seiner Gnade zu geben. Die Mehrzahl der Senatoren stimmte sür Absetzung vom Amt und Hinrichtung nach dem Brauch der Vorfahren, (wobei der Verurtheilte erst mit Ruthen gepeitscht und dann enthauptet wurde). Thraseas Votum zeigt, daß er von einer starren principiellen Opposition, die den Umständen keine Rechnung trägt, weit entfernt war. Er sprach höchst ehrenvoll von Nero, heftig gegen den Angeklagten: doch unter einem aus¬ gezeichneten Fürsten komme es einem durch keinen Zwang eingeschränkten Se-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/26>, abgerufen am 22.07.2024.