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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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nöten Blick, daß ich hier wohl aufgehoben sein würde, und die Folge bestätigte
mein Urtheil. Eine ältliche Jüdin mit gutherzigen Gesichtsausdruck empfing
wich im Kreise mehrer schwarzäugiger Kinder, führte mich in das Speisezimmer,
um weiß getünchtes, ganz erträglich möblirtcs, mit Glasfenstern versehenes
Kuppelgeinach, entschuldigte sich, daß man mir heute wegen des "Schabbes"
erst nach Sonnenuntergang mit warmen Speisen und wegen "Austern" (sie
Meinte Ostern) nur mit ungesäuerten Brot aufwarten könne, präsentirte mir
einem Glase Aquavit den landesüblichen Willkommen und brachte mich
dann nach meiner Schlafstube, wo ich ein durchaus reinliches Bett, die nöthig¬
sten Requisiten eines Waschapparats und sogar ein kleines Sopha fand.
Was konnte ich mehr verlangen in dem halbwilden Lande!

Später, beim Frühstück, bei dem nur die ungewohnten Matzen und
der nach Art der Juden bereitete süße Landwcin nicht munden wollten,
welches aber sonst nichts Wesentliches von dem vermissen ließ, was ein
Mgchaltner Gasthof dritten Ranges in Deutschland bietet, stellte sich
auch der Wirth ein. Er schien ebenfalls ein rechtschaffener Mensch zu sein,
Wenn er auch nach Art aller Wirthe für verschiedene Leute verschiedene
Gesichter hatte. Er war vor zehn Jahren von Kaschau in Ungarn hier
eingewandert, hatte sich anfangs nur von der Uhrmacherei genährt, dann
steh mit Beherbergung von Fremden befaßt und stand jetzt im Begriff, für
die Herren Consularagentcn und andere Honoratioren von Jaffa ein Casino
auf Subscription einzurichten. Da er außer dem Deutschen englisch und ita¬
lienisch so wie ziemlich geläufig arabisch spricht, so pflegt er Reisende, die sich
ihm anvertrauen wollen, als Dragoman durch das Land zu begleiten. Zwei
erwachsene Söhne, die bei ihm im Hause wohnen, arbeiten in gleicher Weise,
Und so macht die Familie eine rühmliche Ausnahme von der großen Mehrzahl
der in Palästina wohnenden Juden, die fast nur von der "Cahaluka", dem
Almosen leben, welches ihnen die Glaubensgenossen in Europa schicken. Wie
die Familie nicht träg und nicht unreinlich war, so schien sie auch andere Un¬
tugenden der hiesigen Jsraeliten nicht zu theilen. So zum Beispiel war sie
M'ehe intolerant, was freilich schon das Gastgebergeschäft verbot. Man war
w weit irgend möglich orthodox, aber wol nur, um die Chaluka nicht zu ver-
^erzen, die nur Altgläubigen zu Gute kommt. Man hatte in der rechten
Thürpfoste die "Mesusa". die kleine Glasröhre mit dem Namen Gottes ein¬
gemauert, die jeder Jude beim Eintritt mit einem Handkuß begrüßt. Man
hielt seine "Austern" streng, man arbeitete nicht am Schabbes. brannte im
Hause kein Feuer, nicht einmal ein Streichholz für die Pfeife an, nahm kein
Geld in die Hand und hätte um alles in der Welt keine Reise unternommen
Mischen Freitag und Sonntag. Aber man stand auf dem besten Fuß mit
spanischen Juden der Stadt, die den deutschen als halbe Ketzer gelten.


nöten Blick, daß ich hier wohl aufgehoben sein würde, und die Folge bestätigte
mein Urtheil. Eine ältliche Jüdin mit gutherzigen Gesichtsausdruck empfing
wich im Kreise mehrer schwarzäugiger Kinder, führte mich in das Speisezimmer,
um weiß getünchtes, ganz erträglich möblirtcs, mit Glasfenstern versehenes
Kuppelgeinach, entschuldigte sich, daß man mir heute wegen des „Schabbes"
erst nach Sonnenuntergang mit warmen Speisen und wegen „Austern" (sie
Meinte Ostern) nur mit ungesäuerten Brot aufwarten könne, präsentirte mir
einem Glase Aquavit den landesüblichen Willkommen und brachte mich
dann nach meiner Schlafstube, wo ich ein durchaus reinliches Bett, die nöthig¬
sten Requisiten eines Waschapparats und sogar ein kleines Sopha fand.
Was konnte ich mehr verlangen in dem halbwilden Lande!

Später, beim Frühstück, bei dem nur die ungewohnten Matzen und
der nach Art der Juden bereitete süße Landwcin nicht munden wollten,
welches aber sonst nichts Wesentliches von dem vermissen ließ, was ein
Mgchaltner Gasthof dritten Ranges in Deutschland bietet, stellte sich
auch der Wirth ein. Er schien ebenfalls ein rechtschaffener Mensch zu sein,
Wenn er auch nach Art aller Wirthe für verschiedene Leute verschiedene
Gesichter hatte. Er war vor zehn Jahren von Kaschau in Ungarn hier
eingewandert, hatte sich anfangs nur von der Uhrmacherei genährt, dann
steh mit Beherbergung von Fremden befaßt und stand jetzt im Begriff, für
die Herren Consularagentcn und andere Honoratioren von Jaffa ein Casino
auf Subscription einzurichten. Da er außer dem Deutschen englisch und ita¬
lienisch so wie ziemlich geläufig arabisch spricht, so pflegt er Reisende, die sich
ihm anvertrauen wollen, als Dragoman durch das Land zu begleiten. Zwei
erwachsene Söhne, die bei ihm im Hause wohnen, arbeiten in gleicher Weise,
Und so macht die Familie eine rühmliche Ausnahme von der großen Mehrzahl
der in Palästina wohnenden Juden, die fast nur von der „Cahaluka", dem
Almosen leben, welches ihnen die Glaubensgenossen in Europa schicken. Wie
die Familie nicht träg und nicht unreinlich war, so schien sie auch andere Un¬
tugenden der hiesigen Jsraeliten nicht zu theilen. So zum Beispiel war sie
M'ehe intolerant, was freilich schon das Gastgebergeschäft verbot. Man war
w weit irgend möglich orthodox, aber wol nur, um die Chaluka nicht zu ver-
^erzen, die nur Altgläubigen zu Gute kommt. Man hatte in der rechten
Thürpfoste die „Mesusa". die kleine Glasröhre mit dem Namen Gottes ein¬
gemauert, die jeder Jude beim Eintritt mit einem Handkuß begrüßt. Man
hielt seine „Austern" streng, man arbeitete nicht am Schabbes. brannte im
Hause kein Feuer, nicht einmal ein Streichholz für die Pfeife an, nahm kein
Geld in die Hand und hätte um alles in der Welt keine Reise unternommen
Mischen Freitag und Sonntag. Aber man stand auf dem besten Fuß mit
spanischen Juden der Stadt, die den deutschen als halbe Ketzer gelten.


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[0259] nöten Blick, daß ich hier wohl aufgehoben sein würde, und die Folge bestätigte mein Urtheil. Eine ältliche Jüdin mit gutherzigen Gesichtsausdruck empfing wich im Kreise mehrer schwarzäugiger Kinder, führte mich in das Speisezimmer, um weiß getünchtes, ganz erträglich möblirtcs, mit Glasfenstern versehenes Kuppelgeinach, entschuldigte sich, daß man mir heute wegen des „Schabbes" erst nach Sonnenuntergang mit warmen Speisen und wegen „Austern" (sie Meinte Ostern) nur mit ungesäuerten Brot aufwarten könne, präsentirte mir einem Glase Aquavit den landesüblichen Willkommen und brachte mich dann nach meiner Schlafstube, wo ich ein durchaus reinliches Bett, die nöthig¬ sten Requisiten eines Waschapparats und sogar ein kleines Sopha fand. Was konnte ich mehr verlangen in dem halbwilden Lande! Später, beim Frühstück, bei dem nur die ungewohnten Matzen und der nach Art der Juden bereitete süße Landwcin nicht munden wollten, welches aber sonst nichts Wesentliches von dem vermissen ließ, was ein Mgchaltner Gasthof dritten Ranges in Deutschland bietet, stellte sich auch der Wirth ein. Er schien ebenfalls ein rechtschaffener Mensch zu sein, Wenn er auch nach Art aller Wirthe für verschiedene Leute verschiedene Gesichter hatte. Er war vor zehn Jahren von Kaschau in Ungarn hier eingewandert, hatte sich anfangs nur von der Uhrmacherei genährt, dann steh mit Beherbergung von Fremden befaßt und stand jetzt im Begriff, für die Herren Consularagentcn und andere Honoratioren von Jaffa ein Casino auf Subscription einzurichten. Da er außer dem Deutschen englisch und ita¬ lienisch so wie ziemlich geläufig arabisch spricht, so pflegt er Reisende, die sich ihm anvertrauen wollen, als Dragoman durch das Land zu begleiten. Zwei erwachsene Söhne, die bei ihm im Hause wohnen, arbeiten in gleicher Weise, Und so macht die Familie eine rühmliche Ausnahme von der großen Mehrzahl der in Palästina wohnenden Juden, die fast nur von der „Cahaluka", dem Almosen leben, welches ihnen die Glaubensgenossen in Europa schicken. Wie die Familie nicht träg und nicht unreinlich war, so schien sie auch andere Un¬ tugenden der hiesigen Jsraeliten nicht zu theilen. So zum Beispiel war sie M'ehe intolerant, was freilich schon das Gastgebergeschäft verbot. Man war w weit irgend möglich orthodox, aber wol nur, um die Chaluka nicht zu ver- ^erzen, die nur Altgläubigen zu Gute kommt. Man hatte in der rechten Thürpfoste die „Mesusa". die kleine Glasröhre mit dem Namen Gottes ein¬ gemauert, die jeder Jude beim Eintritt mit einem Handkuß begrüßt. Man hielt seine „Austern" streng, man arbeitete nicht am Schabbes. brannte im Hause kein Feuer, nicht einmal ein Streichholz für die Pfeife an, nahm kein Geld in die Hand und hätte um alles in der Welt keine Reise unternommen Mischen Freitag und Sonntag. Aber man stand auf dem besten Fuß mit spanischen Juden der Stadt, die den deutschen als halbe Ketzer gelten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/259>, abgerufen am 28.12.2024.