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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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das Neueste, was er erfahren, mitzutheilen, ergeht sich über das schon Gesche¬
hene und Gegenwärtige und fügt Befürchtungen über die Zukunft hinzu. In
gleicher Weise überläßt sich dann Sabinus seinen Empfindungen um so rück¬
haltloser, je schwerer es ist. langverhaltenen Gram, der sich endlich Luft
macht. Einhalt zu thun. Die Anklage wurde nun beschleunigt. Die vier
berichteten in einem Brief an Tiber ihren Verrath und ihre eigene Schmach.
Nie war Rom so voll Aufregung und Angst als damals. Jedermann trug
gegen seinen nächsten Angehörigen Scheu. Zusammenkünfte. Gespräche, be¬
kannte und unbekannte Ohren wurden vermieden, auch nach stummen und
leblosen Dingen, nach Dächern und Wänden spähte man mit argwöhnischen
Blicken umher. Tibers Antwort traf am 1. Jan. (des Jahres 28) ein. ein
allgemeiner Festtag, an dem die neuen Consuln feierliche Gelübde für das
Wohl des Staates darbrachten. Er begann mit den üblichen Wünschen und
Gebeten und ging dann auf Sabinus über, dem er Anschläge auf sein Leben.
Bestechung seiner Freigelassenen vorwarf und in unzweideutigen Ausdrücken
Rache forderte. Das Urtheil ward ohne Verzug gesprochen. Man sah den
Verdammten fortschleppen, das Gesicht mit Gewändern verhüllt, die Kehle
zugeschnürt; trotzdem schrie er mit aller Anstrengung, so werde das Jahr be¬
gonnen, solche Opfer für Sejan geschlachtet. Wohin er seine Blicke richtete,
wohin seine Worte fielen, da stob alles auseinander, Straßen und Plätze
Wurden verlassen. Leere und Oede überall. Dann kehrten manche wieder um
und zeigten sich, in neuer Angst darüber, daß sie Furcht hatten sehn lassen.
Welcher Tag werde noch von Blutgerichten frei sein, wenn an einem Fest,
wo man sich selbst unheiliger Worte enthielte, unter Opfern und Gelübden
Ketten klirrten, der Henker sein gräßliches Geschäft verrichte? --

Am Schluß dieser erschütternden Erzählung sagt Tacitus. es dränge ihn
sogleich zu berichten, wie jene vier Verräther den verdienten Untergang fan¬
den, wenn nicht der Plan seiner (annalistisch angelegten) Geschichte ein solches
Vorgreifen verböte. Drei sielen unter Caligula. dem Sohne des von ihnen
angefeindeten Hauses, der vierte. Latiaris, ward schon vier Jahre später in
Sejans Sturz verwickelt, der die meisten seiner Creaturen mit ins Verderben
nß- So wenig Tiber die Werkzeuge seiner Verfolgungen von andern angrei¬
fe ließ, so vernichtete er doch gewöhnlich selbst die allen und vorzugsweise
verhaßten, wenn er sie überdrüssig geworden war und neue sich ihm zu dem¬
selben Geschäft darboten.

Liest man die Geschichte der letzten Jahre Tibers. so glaubt man, daß
hier die Schreckensherrschaft schon ihren höchsten Grad erreicht hatte. Doch
es kamen Zeiten, in denen auch die Enthaltung von schriftlicher und münd¬
licher Aeußerung keine Sicherheit mehr gewahrte, wo auch das Schweigen
als todeswürdiges Verbrechen bestraft wurde. In Neros Zeit galt es als


das Neueste, was er erfahren, mitzutheilen, ergeht sich über das schon Gesche¬
hene und Gegenwärtige und fügt Befürchtungen über die Zukunft hinzu. In
gleicher Weise überläßt sich dann Sabinus seinen Empfindungen um so rück¬
haltloser, je schwerer es ist. langverhaltenen Gram, der sich endlich Luft
macht. Einhalt zu thun. Die Anklage wurde nun beschleunigt. Die vier
berichteten in einem Brief an Tiber ihren Verrath und ihre eigene Schmach.
Nie war Rom so voll Aufregung und Angst als damals. Jedermann trug
gegen seinen nächsten Angehörigen Scheu. Zusammenkünfte. Gespräche, be¬
kannte und unbekannte Ohren wurden vermieden, auch nach stummen und
leblosen Dingen, nach Dächern und Wänden spähte man mit argwöhnischen
Blicken umher. Tibers Antwort traf am 1. Jan. (des Jahres 28) ein. ein
allgemeiner Festtag, an dem die neuen Consuln feierliche Gelübde für das
Wohl des Staates darbrachten. Er begann mit den üblichen Wünschen und
Gebeten und ging dann auf Sabinus über, dem er Anschläge auf sein Leben.
Bestechung seiner Freigelassenen vorwarf und in unzweideutigen Ausdrücken
Rache forderte. Das Urtheil ward ohne Verzug gesprochen. Man sah den
Verdammten fortschleppen, das Gesicht mit Gewändern verhüllt, die Kehle
zugeschnürt; trotzdem schrie er mit aller Anstrengung, so werde das Jahr be¬
gonnen, solche Opfer für Sejan geschlachtet. Wohin er seine Blicke richtete,
wohin seine Worte fielen, da stob alles auseinander, Straßen und Plätze
Wurden verlassen. Leere und Oede überall. Dann kehrten manche wieder um
und zeigten sich, in neuer Angst darüber, daß sie Furcht hatten sehn lassen.
Welcher Tag werde noch von Blutgerichten frei sein, wenn an einem Fest,
wo man sich selbst unheiliger Worte enthielte, unter Opfern und Gelübden
Ketten klirrten, der Henker sein gräßliches Geschäft verrichte? —

Am Schluß dieser erschütternden Erzählung sagt Tacitus. es dränge ihn
sogleich zu berichten, wie jene vier Verräther den verdienten Untergang fan¬
den, wenn nicht der Plan seiner (annalistisch angelegten) Geschichte ein solches
Vorgreifen verböte. Drei sielen unter Caligula. dem Sohne des von ihnen
angefeindeten Hauses, der vierte. Latiaris, ward schon vier Jahre später in
Sejans Sturz verwickelt, der die meisten seiner Creaturen mit ins Verderben
nß- So wenig Tiber die Werkzeuge seiner Verfolgungen von andern angrei¬
fe ließ, so vernichtete er doch gewöhnlich selbst die allen und vorzugsweise
verhaßten, wenn er sie überdrüssig geworden war und neue sich ihm zu dem¬
selben Geschäft darboten.

Liest man die Geschichte der letzten Jahre Tibers. so glaubt man, daß
hier die Schreckensherrschaft schon ihren höchsten Grad erreicht hatte. Doch
es kamen Zeiten, in denen auch die Enthaltung von schriftlicher und münd¬
licher Aeußerung keine Sicherheit mehr gewahrte, wo auch das Schweigen
als todeswürdiges Verbrechen bestraft wurde. In Neros Zeit galt es als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/25>, abgerufen am 22.07.2024.