Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.ungleich größere Zahl von Opfern ergeben haben, als die von Schriftwerken. ungleich größere Zahl von Opfern ergeben haben, als die von Schriftwerken. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0024" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107610"/> <p xml:id="ID_28" prev="#ID_27" next="#ID_29"> ungleich größere Zahl von Opfern ergeben haben, als die von Schriftwerken.<lb/> Begnügte man sich doch nicht, das im traulichen Zwiegespräch harmlos hin¬<lb/> geworfene, in fröhlicher Weinlaune unwillkürlich entschlüpfte Wort gegen den<lb/> Sprecher zeugen zu lassen: man lockte den zum Verderben Ausersehenen ihre<lb/> Gedanken künstlich ab und ließ sie dann ihr unvorsichtiges Vertrauen mit dem<lb/> Leben büßen. Einzelne hier und da erhaltene Andeutungen zeigen, in wie<lb/> umfassender Weise die geheime Polizei in der ganzen Kaiserzeit organisirt. und<lb/> wie neben Horchern und Angebern auch provocirende Agenten thätig waren.<lb/> In einer Schrift aus dem Anfang des zweiten Jahrhunderts wird beiläufig<lb/> erwähnt, daß man zu diesem Geschäft Soldaten in bürgerlicher Tracht ver¬<lb/> wandte. Durch Schmähungen auf den Kaiser verleiteten sie ihre Zuhörer, ihre<lb/> Gedanken ebenfalls unumwunden auszusprechen, um sie bald im Gefängniß<lb/> ihre Thorheit bereuen zu lassen. Aber dies schändliche Gewerbe wurde nicht<lb/> blos von bezahlten Schergen betrieben, auch Männer von Range gaben sich<lb/> in Hoffnung auf hohe Gunst. Beförderung oder andere Vortheile dazu her.<lb/> Nach Germanicus Tode war von all seinen Clienten nur einer seinem Hause<lb/> treu geblieben, der Ritter Titius Sabinus, der einzige, der fort und fort die<lb/> Witwe seines Gönners besuchte und ihr und ihren Kindern öffentlich das Ge¬<lb/> leit gab. Diese Treue gegen die Hinterbliebenen des Ermordeten, die Tiber<lb/> bitter haßte, war in den Augen seiner Creaturen ein unverzeihliches Verbre¬<lb/> chen. Vier gewesene Prätoren, die nach der Ehre des Consulats begierig<lb/> waren, verbanden sich, um durch Sabinus' Verderben Sejans Gunst zu er¬<lb/> kaufen. Einer derselben. Latinius Latiaris, der Sabinus oberflächlich kannte,<lb/> schlich sich allmälig in sein Vertrauen ein, indem er gelegentlich seine Bestän¬<lb/> digkeit lobte, da er die Familie, der er im Glück befreundet gewesen, im<lb/> Unglück nicht verlasse, von Germanicus mit Verehrung, von Agrippina be¬<lb/> dauernd sprach. Sabinus wurde weichmüthig und vergoß Thränen, der Ver¬<lb/> räther klagte mit ihm, schmähte dann Sejan und Tiber selbst. Der arglose<lb/> Sabinus glaubte ihn nach diesem Gespräch, in dem jener scheinbar ein für<lb/> ihn so gefährliches Vertrauen bewiesen, als seinen Freund betrachten zu dür¬<lb/> fen, er suchte ihn nun öfter auf, und theilte ihm rückhaltslos seinen Gram<lb/> mit. Die gegen ihn Verbundenen berathschlagten nun. auf welche Weise sie<lb/> dergleichen Aeußerungen behorchen könnten. Sabinus mußte natürlich in der<lb/> Meinung erhalten werden, daß seine Zusammenkünfte mit Latiaris vor der<lb/> Gefahr der Belauschung durchaus bewahrt seien; sich hinter die Thür zu stellen,<lb/> schien ihnen nicht rathsam, da hier die Gefahr der Entdeckung zu nahe lag.<lb/> Die drei Senatoren verbergen sich also zwischen dem Dach und der getäfel¬<lb/> ten Decke des Gemachs, ein Versteck ebenso schimpflich als ihr Verrath ab¬<lb/> scheulich war und legen das Ohr an Ritzen und Löcher. Latiaris führt unter¬<lb/> des) den auf der Straße angetroffenen Sabinus in sein Haus, wie um ihm</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0024]
ungleich größere Zahl von Opfern ergeben haben, als die von Schriftwerken.
Begnügte man sich doch nicht, das im traulichen Zwiegespräch harmlos hin¬
geworfene, in fröhlicher Weinlaune unwillkürlich entschlüpfte Wort gegen den
Sprecher zeugen zu lassen: man lockte den zum Verderben Ausersehenen ihre
Gedanken künstlich ab und ließ sie dann ihr unvorsichtiges Vertrauen mit dem
Leben büßen. Einzelne hier und da erhaltene Andeutungen zeigen, in wie
umfassender Weise die geheime Polizei in der ganzen Kaiserzeit organisirt. und
wie neben Horchern und Angebern auch provocirende Agenten thätig waren.
In einer Schrift aus dem Anfang des zweiten Jahrhunderts wird beiläufig
erwähnt, daß man zu diesem Geschäft Soldaten in bürgerlicher Tracht ver¬
wandte. Durch Schmähungen auf den Kaiser verleiteten sie ihre Zuhörer, ihre
Gedanken ebenfalls unumwunden auszusprechen, um sie bald im Gefängniß
ihre Thorheit bereuen zu lassen. Aber dies schändliche Gewerbe wurde nicht
blos von bezahlten Schergen betrieben, auch Männer von Range gaben sich
in Hoffnung auf hohe Gunst. Beförderung oder andere Vortheile dazu her.
Nach Germanicus Tode war von all seinen Clienten nur einer seinem Hause
treu geblieben, der Ritter Titius Sabinus, der einzige, der fort und fort die
Witwe seines Gönners besuchte und ihr und ihren Kindern öffentlich das Ge¬
leit gab. Diese Treue gegen die Hinterbliebenen des Ermordeten, die Tiber
bitter haßte, war in den Augen seiner Creaturen ein unverzeihliches Verbre¬
chen. Vier gewesene Prätoren, die nach der Ehre des Consulats begierig
waren, verbanden sich, um durch Sabinus' Verderben Sejans Gunst zu er¬
kaufen. Einer derselben. Latinius Latiaris, der Sabinus oberflächlich kannte,
schlich sich allmälig in sein Vertrauen ein, indem er gelegentlich seine Bestän¬
digkeit lobte, da er die Familie, der er im Glück befreundet gewesen, im
Unglück nicht verlasse, von Germanicus mit Verehrung, von Agrippina be¬
dauernd sprach. Sabinus wurde weichmüthig und vergoß Thränen, der Ver¬
räther klagte mit ihm, schmähte dann Sejan und Tiber selbst. Der arglose
Sabinus glaubte ihn nach diesem Gespräch, in dem jener scheinbar ein für
ihn so gefährliches Vertrauen bewiesen, als seinen Freund betrachten zu dür¬
fen, er suchte ihn nun öfter auf, und theilte ihm rückhaltslos seinen Gram
mit. Die gegen ihn Verbundenen berathschlagten nun. auf welche Weise sie
dergleichen Aeußerungen behorchen könnten. Sabinus mußte natürlich in der
Meinung erhalten werden, daß seine Zusammenkünfte mit Latiaris vor der
Gefahr der Belauschung durchaus bewahrt seien; sich hinter die Thür zu stellen,
schien ihnen nicht rathsam, da hier die Gefahr der Entdeckung zu nahe lag.
Die drei Senatoren verbergen sich also zwischen dem Dach und der getäfel¬
ten Decke des Gemachs, ein Versteck ebenso schimpflich als ihr Verrath ab¬
scheulich war und legen das Ohr an Ritzen und Löcher. Latiaris führt unter¬
des) den auf der Straße angetroffenen Sabinus in sein Haus, wie um ihm
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