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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Priscus, des Führers der Opposition unter Vespasian geschrieben, und ihm
Anerkennung gezollt hatte. Auch diese Bücher wurden öffentlich verbrannt.
"Man glaubte wol, sagt Tacitus im Eingange des Agricola, in jener Flamme
die Stimme des römischen Volks, die Freiheit des Senats und die Mit¬
wissenschaft der ganzen Menschheit zu vernichten. Wahrlich wir haben einen
großen Beweis von Geduld gegeben: und wie die alte Zeit den äußersten
Grad der Freiheit, so haben wir den äußersten der Knechtschaft gesehn, da
uns selbst der Verkehr des Redens und Hörens durch die Horcherei genommen
war. Wir hätten mit der Sprache auch das Gedächtniß verloren, wenn Ver¬
gessen ebenso wol in unsrer Gewalt wäre wie Schweigen."

Bei der Verfolgung von Schriften begnügte man sich aber nicht, directe
und unzweideutige Aeußerungen als Anklagepunkte zu benutzen, der Scharfsinn
der Delatoren entdeckte auch Beziehungen und Anspielungen, an welche die Ver¬
sasser vielleicht gar nicht gedacht hatten. In den letzten Zeiten Tibers wurde
Mamercus Scaurus, ein wegen seines Lebenswandels übelberufener, aber
durch Talent und Geburt hervorragender Mann, der letzte seiner erlauchten
Familie, des Majestätsverbrechens angeklagt. Unter andern sollte ein von
ihm verfaßtes Trauerspiel Atreus angeblich eine Darstellung der Gegenwart
in der Maske des mythologischen Costüms enthalten. Zu der besonders in-
criminirten Stelle gehörte der aus Euripides entlehnte Vers: der Herrscher
Thorheit muß man tragen mit Geduld. Tiber soll geäußert haben: hat er
mich zum Atreus gemacht, so will ich ihn zum Ajax machen. In der That
kam Scaurus der Verurtheilung durch Selbstmord zuvor. Helvidius Priscus,
dessen Vater unter Vespasian hingerichtet war. hatte unter Domitian ein glei¬
ches Schicksal. Er hatte ein Stück geschrieben, Paris und Oenone (vermuth¬
lich das Libretto eines Ballets); der Gegenstand war die Untreue des Paris
an seiner ersten Geliebten, die er um Helenas willen verließ: dies wurde auf die
Scheidung des Kaisers von seiner Gemahlin Domitia bezogen. Caligula
ließ einmal den Dichter einer Charakterkomödie verbrennen, weil in seinem
Stück ein Vers vorkam, der auf ihn gedeutet werden konnte. Trotz so ent¬
setzlicher Härte erhielt sich grade auf der Bühne ein gewisser Rest von Rede¬
freiheit. Zuschauer und Schauspieler steigerten sich hier gegenseitig. Die lei¬
seste Anspielung auf die Gegenwart wurde verstanden und mit leidenschaftlichem
Antheil aufgefaßt, und die Gewißheit, das Publicum zu elektrisiren, riß die
Schauspieler hin, die Gefahr zu vergessen. Zu Neros Zeit z. B. wagte ein
Komiker, der einen gesungenen Text pantomimisch auszudrücken hatte, die
Worte: Heil dir Vater, Heil dir Mutter! mit den Geberden eines Trinkenden,
und eines schwimmenden zu begleiten. Neros Adoptivvater Claudius war
bekanntlich mit seinem Wissen vergiftet worden, seine Mutter Agrippina hatte
er ertränken zu lassen versucht. Dergleichen wird öfter berichtet, und zeigt.


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Priscus, des Führers der Opposition unter Vespasian geschrieben, und ihm
Anerkennung gezollt hatte. Auch diese Bücher wurden öffentlich verbrannt.
„Man glaubte wol, sagt Tacitus im Eingange des Agricola, in jener Flamme
die Stimme des römischen Volks, die Freiheit des Senats und die Mit¬
wissenschaft der ganzen Menschheit zu vernichten. Wahrlich wir haben einen
großen Beweis von Geduld gegeben: und wie die alte Zeit den äußersten
Grad der Freiheit, so haben wir den äußersten der Knechtschaft gesehn, da
uns selbst der Verkehr des Redens und Hörens durch die Horcherei genommen
war. Wir hätten mit der Sprache auch das Gedächtniß verloren, wenn Ver¬
gessen ebenso wol in unsrer Gewalt wäre wie Schweigen."

Bei der Verfolgung von Schriften begnügte man sich aber nicht, directe
und unzweideutige Aeußerungen als Anklagepunkte zu benutzen, der Scharfsinn
der Delatoren entdeckte auch Beziehungen und Anspielungen, an welche die Ver¬
sasser vielleicht gar nicht gedacht hatten. In den letzten Zeiten Tibers wurde
Mamercus Scaurus, ein wegen seines Lebenswandels übelberufener, aber
durch Talent und Geburt hervorragender Mann, der letzte seiner erlauchten
Familie, des Majestätsverbrechens angeklagt. Unter andern sollte ein von
ihm verfaßtes Trauerspiel Atreus angeblich eine Darstellung der Gegenwart
in der Maske des mythologischen Costüms enthalten. Zu der besonders in-
criminirten Stelle gehörte der aus Euripides entlehnte Vers: der Herrscher
Thorheit muß man tragen mit Geduld. Tiber soll geäußert haben: hat er
mich zum Atreus gemacht, so will ich ihn zum Ajax machen. In der That
kam Scaurus der Verurtheilung durch Selbstmord zuvor. Helvidius Priscus,
dessen Vater unter Vespasian hingerichtet war. hatte unter Domitian ein glei¬
ches Schicksal. Er hatte ein Stück geschrieben, Paris und Oenone (vermuth¬
lich das Libretto eines Ballets); der Gegenstand war die Untreue des Paris
an seiner ersten Geliebten, die er um Helenas willen verließ: dies wurde auf die
Scheidung des Kaisers von seiner Gemahlin Domitia bezogen. Caligula
ließ einmal den Dichter einer Charakterkomödie verbrennen, weil in seinem
Stück ein Vers vorkam, der auf ihn gedeutet werden konnte. Trotz so ent¬
setzlicher Härte erhielt sich grade auf der Bühne ein gewisser Rest von Rede¬
freiheit. Zuschauer und Schauspieler steigerten sich hier gegenseitig. Die lei¬
seste Anspielung auf die Gegenwart wurde verstanden und mit leidenschaftlichem
Antheil aufgefaßt, und die Gewißheit, das Publicum zu elektrisiren, riß die
Schauspieler hin, die Gefahr zu vergessen. Zu Neros Zeit z. B. wagte ein
Komiker, der einen gesungenen Text pantomimisch auszudrücken hatte, die
Worte: Heil dir Vater, Heil dir Mutter! mit den Geberden eines Trinkenden,
und eines schwimmenden zu begleiten. Neros Adoptivvater Claudius war
bekanntlich mit seinem Wissen vergiftet worden, seine Mutter Agrippina hatte
er ertränken zu lassen versucht. Dergleichen wird öfter berichtet, und zeigt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/22>, abgerufen am 22.07.2024.