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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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den Göttern zu ahnden überlassen. Trotz dieser Freisprechung erfolgte bald
eine neue Anklage, und diesmal eines Statthalters der Provinz Bithynien,
er habe sich ungünstig über den Kaiser ausgesprochen, seine eigne Statue
höher gestellt als die der Cäsaren, einer Statue Augusts den Kopf abnehmen
lassen, um den Tibers aufzusetzen. Auch dieser wurde freigesprochen, obwol
Tiber sich zornig geäußert hatte, ein Win?, der für den Senat nicht verloren
gehen konnte, wenn gleich der Kaiser für diesmal Gnade zu üben beliebte.
Fortan konnte er das Unheil seinen Gang gehn lassen, für dessen wahren Ur¬
heber er, wie es scheint, nicht gehalten werden wollte, doch hat er freilich
diese Absicht bei der Mitwelt so wenig als bei der Nachwelt erreicht. An
der letzten Anklage hatte sich einer der schlagfertigsten Redner, und bald einer
der berüchtigtsten Delatoren jener Zeit, Hispo Romanus, betheiligt. Er schlug
eine Bahn ein, sagt Tacitus, die nachmals das Elend der Zeit und die Frech¬
heit der Menschen zu einer vielbetretener machten. Dürftig, unbekannt, un¬
ruhig schlich er sich mit geheimen Denunciationen an die schlimme Seite des
Fürsten an, und indem er bald jedem Mann von Bedeutung Gefahr bereitete,
bei einem Einfluß, bei allen übrigen Haß davontrug, gab er ein Beispiel,
durch dessen Befolgung viele aus Armuth zu Reichthum, aus Verachtung zu
Furchtbarkeit aufsteigend erst andern und zuletzt sich selbst den Untergang be¬
reiteten.

Unter den zahlreichen Schriften, gegen deren Verfasser während des ersten
Jahrhunderts Majestätsanklagen erhoben worden sind, sind äußerst wenige
gewesen, die directe Angriffe oder Beleidigungen der Kaiser oder Mitglieder
des kaiserlichen Hauses enthielten. Dergleichen veröffentlichen hieß in der That
sein Leben wegwerfen. Aussprüche, aus denen eine republikanische Gesinnung
hervorging, lobende Aeußerungen über ein Mitglied der Opposition unter einer
frühern Regierung, Stellen in Gedichten (selbst von mythologischen Inhalt),
die als Anspielung auf den Kaiser, als Mißbilligung eines seiner Schritte ge¬
deutet werden konnten -- das waren Gründe zu Anklagen und Verurthei-
lungen. Selbst die Rhetoren, zu deren Lieblingsthematen Tyrannen und Ty¬
rannenmord gehörten, waren nicht ganz sicher: unter Caligula wurde Secundus
Carinus wegen einer Uebungsrede über einen solchen Gegenstand verbannt,
unter Domitian Maternus aus gleicher Ursache hingerichtet. Unter den Ver¬
folgungen von Schriftwerken hat der Proceß des Cremutius Cordus (25 n.
Chr.) durch Tacitus meisterhafte Erzählung die größte Berühmtheit erlangt.
Er hatte in einer Geschichte Augusts Brutus gelobt und dessen Ausspruch,
Cassius sei der letzte Römer gewesen, beistimmend berichtet. Dafür wurde
er von zwei Creaturen Sejcms angeklagt. Dieser Umstand und die finstere
Miene, mit der Tiber die Vertheidigung anhörte, ließen dem Angeklagten keinen
Zweifel über den Ausgang des Processes. Entschlossen, ihn nicht zu erleben.


den Göttern zu ahnden überlassen. Trotz dieser Freisprechung erfolgte bald
eine neue Anklage, und diesmal eines Statthalters der Provinz Bithynien,
er habe sich ungünstig über den Kaiser ausgesprochen, seine eigne Statue
höher gestellt als die der Cäsaren, einer Statue Augusts den Kopf abnehmen
lassen, um den Tibers aufzusetzen. Auch dieser wurde freigesprochen, obwol
Tiber sich zornig geäußert hatte, ein Win?, der für den Senat nicht verloren
gehen konnte, wenn gleich der Kaiser für diesmal Gnade zu üben beliebte.
Fortan konnte er das Unheil seinen Gang gehn lassen, für dessen wahren Ur¬
heber er, wie es scheint, nicht gehalten werden wollte, doch hat er freilich
diese Absicht bei der Mitwelt so wenig als bei der Nachwelt erreicht. An
der letzten Anklage hatte sich einer der schlagfertigsten Redner, und bald einer
der berüchtigtsten Delatoren jener Zeit, Hispo Romanus, betheiligt. Er schlug
eine Bahn ein, sagt Tacitus, die nachmals das Elend der Zeit und die Frech¬
heit der Menschen zu einer vielbetretener machten. Dürftig, unbekannt, un¬
ruhig schlich er sich mit geheimen Denunciationen an die schlimme Seite des
Fürsten an, und indem er bald jedem Mann von Bedeutung Gefahr bereitete,
bei einem Einfluß, bei allen übrigen Haß davontrug, gab er ein Beispiel,
durch dessen Befolgung viele aus Armuth zu Reichthum, aus Verachtung zu
Furchtbarkeit aufsteigend erst andern und zuletzt sich selbst den Untergang be¬
reiteten.

Unter den zahlreichen Schriften, gegen deren Verfasser während des ersten
Jahrhunderts Majestätsanklagen erhoben worden sind, sind äußerst wenige
gewesen, die directe Angriffe oder Beleidigungen der Kaiser oder Mitglieder
des kaiserlichen Hauses enthielten. Dergleichen veröffentlichen hieß in der That
sein Leben wegwerfen. Aussprüche, aus denen eine republikanische Gesinnung
hervorging, lobende Aeußerungen über ein Mitglied der Opposition unter einer
frühern Regierung, Stellen in Gedichten (selbst von mythologischen Inhalt),
die als Anspielung auf den Kaiser, als Mißbilligung eines seiner Schritte ge¬
deutet werden konnten — das waren Gründe zu Anklagen und Verurthei-
lungen. Selbst die Rhetoren, zu deren Lieblingsthematen Tyrannen und Ty¬
rannenmord gehörten, waren nicht ganz sicher: unter Caligula wurde Secundus
Carinus wegen einer Uebungsrede über einen solchen Gegenstand verbannt,
unter Domitian Maternus aus gleicher Ursache hingerichtet. Unter den Ver¬
folgungen von Schriftwerken hat der Proceß des Cremutius Cordus (25 n.
Chr.) durch Tacitus meisterhafte Erzählung die größte Berühmtheit erlangt.
Er hatte in einer Geschichte Augusts Brutus gelobt und dessen Ausspruch,
Cassius sei der letzte Römer gewesen, beistimmend berichtet. Dafür wurde
er von zwei Creaturen Sejcms angeklagt. Dieser Umstand und die finstere
Miene, mit der Tiber die Vertheidigung anhörte, ließen dem Angeklagten keinen
Zweifel über den Ausgang des Processes. Entschlossen, ihn nicht zu erleben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/20>, abgerufen am 22.07.2024.