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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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zählte man im Erzgebirg gegen 50,000 Handspinner, jetzt ist das Baum¬
wollenrad längst in die Rumpelkammer getragen. Etwas später kamen die
Wallräder zum Stillstand, zuletzt riß die Maschine auch den Wollkämmern ihr
Werkzeug aus den Händen. Die dadurch bewirkte gewaltige Störung des
industriellen Organismus ist gegenwärtig leidlich ausgeglichen, und die Spinn¬
maschine gilt vielen als Wohlthat, allen wenigstens als eine Thatsache, die
sich nicht mehr hinwegschaffen läßt.

Die übrigen Gebiete der Hausindustrie sind in gleicher Weise beeinträch¬
tigt oder doch bedroht. Die Maschine, welche der Menschenhand Spinds
und Krämpel entwunden, sucht ihr auch das Weberschiff und den Klöppelsack
zu nehmen. Nur solche Gewebe und Spitzen, welche besondere Kunst erfor¬
dern, sind der Menschenhand vorläufig noch gesichert. Alles Gröbere wird
sie dem Powerloom und der nottinghamer Spitzenmaschine abtreten müssen.
Der Nundstuhl wird den alten Strumpfwirkerstuhl verdrängen, die Nagelma¬
schine die Handnägel auf einen engen Raum beschränken. Der endliche Aus¬
gang des ungleichen Kampfes ist unzweifelhaft: die Handarbeit wird endlich
auf allen Gebieten der Industrie, welche der Mechanik offen stehen, d. h. auf
allen, wo der Arbeiter nicht freischaffender Künstler ist, der Maschine das
Feld räumen müssen. Die sehr lesenswerthen Capitel über die Frauenindustrie
und die kleinen Industriezweige des Erzgebirges führen den Beweis davon
im Detail.

"Mit entsagender Genügsamkeit fristen die Belagerten ihr Leben. Die
Zahl derselben ist groß. Wo aus der Quadratmeile 8000 Menschen leben, da
sind natürlich viele darauf angewiesen, ihren Unterhalt durch Arbeit für den
Handel zu erwerben. Die geographische Lage des Erzgebirges ist günstig,
Eisen und Kohlen sind nicht fern, der Absaß ist durch die Stiftung des Zoll¬
vereins erleichtert. Werden die Erzgebirger im Stande sein, sich zu-behaup¬
tn und ein besseres, mehr gesichertes Loos zu erringen?

Sie sind gefaßt und verständig. Die Zerstörung einiger Nagelmaschienen
in einer durch politische Stürme aufgeregten Zeit ist das einzige neuere Bei¬
spiel thörichter Volksrache, welche die vom Feinde erbeuteten Waffen vernich¬
tet, statt sie zu brauchen. Auch sind die Erzgebirger genügsam und in hohem
Grade anstellig.

Nur an Führern fehlt es, welche die Kräfte sammeln und neu organi-
siren. Nicht die Eisenbahn, von deren Fortführung über das. ganze Gebirge
manche wol zu viel erwarten, wird gründlich helfen; Auswanderung könnte
nur dann gründlich nützen, wenn ein irischer Exodus in Masse stattfände, und
selbst dann wäre ihre Wirkung eine sehr zweideutige.

Nur die zweckmäßigere Pflege der schon festgewurzelten Zweige und die
Einführung neuer Gewerbszweige, die dauernden guten Ertrag versprechen,


zählte man im Erzgebirg gegen 50,000 Handspinner, jetzt ist das Baum¬
wollenrad längst in die Rumpelkammer getragen. Etwas später kamen die
Wallräder zum Stillstand, zuletzt riß die Maschine auch den Wollkämmern ihr
Werkzeug aus den Händen. Die dadurch bewirkte gewaltige Störung des
industriellen Organismus ist gegenwärtig leidlich ausgeglichen, und die Spinn¬
maschine gilt vielen als Wohlthat, allen wenigstens als eine Thatsache, die
sich nicht mehr hinwegschaffen läßt.

Die übrigen Gebiete der Hausindustrie sind in gleicher Weise beeinträch¬
tigt oder doch bedroht. Die Maschine, welche der Menschenhand Spinds
und Krämpel entwunden, sucht ihr auch das Weberschiff und den Klöppelsack
zu nehmen. Nur solche Gewebe und Spitzen, welche besondere Kunst erfor¬
dern, sind der Menschenhand vorläufig noch gesichert. Alles Gröbere wird
sie dem Powerloom und der nottinghamer Spitzenmaschine abtreten müssen.
Der Nundstuhl wird den alten Strumpfwirkerstuhl verdrängen, die Nagelma¬
schine die Handnägel auf einen engen Raum beschränken. Der endliche Aus¬
gang des ungleichen Kampfes ist unzweifelhaft: die Handarbeit wird endlich
auf allen Gebieten der Industrie, welche der Mechanik offen stehen, d. h. auf
allen, wo der Arbeiter nicht freischaffender Künstler ist, der Maschine das
Feld räumen müssen. Die sehr lesenswerthen Capitel über die Frauenindustrie
und die kleinen Industriezweige des Erzgebirges führen den Beweis davon
im Detail.

„Mit entsagender Genügsamkeit fristen die Belagerten ihr Leben. Die
Zahl derselben ist groß. Wo aus der Quadratmeile 8000 Menschen leben, da
sind natürlich viele darauf angewiesen, ihren Unterhalt durch Arbeit für den
Handel zu erwerben. Die geographische Lage des Erzgebirges ist günstig,
Eisen und Kohlen sind nicht fern, der Absaß ist durch die Stiftung des Zoll¬
vereins erleichtert. Werden die Erzgebirger im Stande sein, sich zu-behaup¬
tn und ein besseres, mehr gesichertes Loos zu erringen?

Sie sind gefaßt und verständig. Die Zerstörung einiger Nagelmaschienen
in einer durch politische Stürme aufgeregten Zeit ist das einzige neuere Bei¬
spiel thörichter Volksrache, welche die vom Feinde erbeuteten Waffen vernich¬
tet, statt sie zu brauchen. Auch sind die Erzgebirger genügsam und in hohem
Grade anstellig.

Nur an Führern fehlt es, welche die Kräfte sammeln und neu organi-
siren. Nicht die Eisenbahn, von deren Fortführung über das. ganze Gebirge
manche wol zu viel erwarten, wird gründlich helfen; Auswanderung könnte
nur dann gründlich nützen, wenn ein irischer Exodus in Masse stattfände, und
selbst dann wäre ihre Wirkung eine sehr zweideutige.

Nur die zweckmäßigere Pflege der schon festgewurzelten Zweige und die
Einführung neuer Gewerbszweige, die dauernden guten Ertrag versprechen,


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[0122] zählte man im Erzgebirg gegen 50,000 Handspinner, jetzt ist das Baum¬ wollenrad längst in die Rumpelkammer getragen. Etwas später kamen die Wallräder zum Stillstand, zuletzt riß die Maschine auch den Wollkämmern ihr Werkzeug aus den Händen. Die dadurch bewirkte gewaltige Störung des industriellen Organismus ist gegenwärtig leidlich ausgeglichen, und die Spinn¬ maschine gilt vielen als Wohlthat, allen wenigstens als eine Thatsache, die sich nicht mehr hinwegschaffen läßt. Die übrigen Gebiete der Hausindustrie sind in gleicher Weise beeinträch¬ tigt oder doch bedroht. Die Maschine, welche der Menschenhand Spinds und Krämpel entwunden, sucht ihr auch das Weberschiff und den Klöppelsack zu nehmen. Nur solche Gewebe und Spitzen, welche besondere Kunst erfor¬ dern, sind der Menschenhand vorläufig noch gesichert. Alles Gröbere wird sie dem Powerloom und der nottinghamer Spitzenmaschine abtreten müssen. Der Nundstuhl wird den alten Strumpfwirkerstuhl verdrängen, die Nagelma¬ schine die Handnägel auf einen engen Raum beschränken. Der endliche Aus¬ gang des ungleichen Kampfes ist unzweifelhaft: die Handarbeit wird endlich auf allen Gebieten der Industrie, welche der Mechanik offen stehen, d. h. auf allen, wo der Arbeiter nicht freischaffender Künstler ist, der Maschine das Feld räumen müssen. Die sehr lesenswerthen Capitel über die Frauenindustrie und die kleinen Industriezweige des Erzgebirges führen den Beweis davon im Detail. „Mit entsagender Genügsamkeit fristen die Belagerten ihr Leben. Die Zahl derselben ist groß. Wo aus der Quadratmeile 8000 Menschen leben, da sind natürlich viele darauf angewiesen, ihren Unterhalt durch Arbeit für den Handel zu erwerben. Die geographische Lage des Erzgebirges ist günstig, Eisen und Kohlen sind nicht fern, der Absaß ist durch die Stiftung des Zoll¬ vereins erleichtert. Werden die Erzgebirger im Stande sein, sich zu-behaup¬ tn und ein besseres, mehr gesichertes Loos zu erringen? Sie sind gefaßt und verständig. Die Zerstörung einiger Nagelmaschienen in einer durch politische Stürme aufgeregten Zeit ist das einzige neuere Bei¬ spiel thörichter Volksrache, welche die vom Feinde erbeuteten Waffen vernich¬ tet, statt sie zu brauchen. Auch sind die Erzgebirger genügsam und in hohem Grade anstellig. Nur an Führern fehlt es, welche die Kräfte sammeln und neu organi- siren. Nicht die Eisenbahn, von deren Fortführung über das. ganze Gebirge manche wol zu viel erwarten, wird gründlich helfen; Auswanderung könnte nur dann gründlich nützen, wenn ein irischer Exodus in Masse stattfände, und selbst dann wäre ihre Wirkung eine sehr zweideutige. Nur die zweckmäßigere Pflege der schon festgewurzelten Zweige und die Einführung neuer Gewerbszweige, die dauernden guten Ertrag versprechen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/122>, abgerufen am 22.07.2024.