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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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im Veltlin recht wohl mit dem graubündtnerischen Regiment sich vertrüge. Es
war im Wesentlichen der Zustand vor 1620, der durch den Vertrag von 1639
zurückgeführt ward, höchstens daß nun, wenigstens dem Buchstaben des Ver¬
trages nach die katholische Religion die einzig geduldete sein sollte. Unbe¬
kümmert um alle andern Ansprüche und Interessen, gab die spanische Politik
ein jetzt sast ausschließlich katholisches Land einem andersgläubigen Herrn,
einen italienischen Stamm einem fremden Preis; ihr Vortheil schien genügend
gewahrt, wenn in dem Vertrag die Graubünden-er sich verpflichteten, die Pässe
des Veltlin den östreichisch-spanischen Truppen und zwar ihnen allein stets
offen zu halten. Wol protestirten nnn die Veltliner laut gegen diese Be¬
schlüsse, sie wurden ohne weiteres ausgeführt, und bald mußten jene zufrie¬
den sein, wenn ihre graubündtnerischen Herrscher es nur für gut fanden, die
in dem Vertrag von Mailand stipulirten Bedingungen zu Gunsten der ka¬
tholischen Religion einzuhalten, wovon man sich freilich bald mehr und mehr
entfernte.

Der wichtigere Theil der Geschichte des Veltlin schließt mit diesem Mai¬
länder Vertrag, und wir dürfen über den weiteren Verlauf kurz sein. Ueber
150 Jahre blieb nun das Thal im ungestörten Besitz der drei rhätischen
Bünde, und während es die nicht leichte Herrschaft derselben ertrug, blieb es
wenigstens unberührt von den Erbfolgekriegen des achtzehnten Jahrhunderts.
Die proconsularische Habsucht und Gewaltthätigkeit der bündnerischen Beam¬
ten wog ihnen das wol reichlich auf, und es diente höchstens zur Verschlim¬
merung ihres Zustandes, wenn sie sich einige Male an den Kaiser wandten
und ihn als Herzog von Mailand aufforderten, ihnen die Einhaltung des
Mailänder Vertrags zu garantiren.

So gedieh auch hier jene Stimmung des Volkes, welche in ganz Ober¬
italien den Heeren der französischen Republik und ihren Freiheitsverheißungen
sich freudig in die Arme warf; bald erblickte man Freiheitsbäume und Ia-
io^'iliermützen auch im Veltlin, und der General Bonaparte glaubte den ihm
vorgetragenen Wünschen des Volt's nachgeben zu müssen, und vereinigte im
Jahre 1797 Veltlin, Chiavenna und Bormio mit der cisalpinischen Republik,
"nicht geleitet von der Sucht, drei kleine Alpenthäler zu gewinnen (wie es in
den Memoiren von Se. Helena heißt), sondern um den Wunsch der Bewohner
zu erfüllen und sie von der Knechtschaft Graubündtcns zu befreien, die Schmach'
voll auf ihnen lastete." So ward das Thal wieder mit der Lombardei ver¬
einigt, bei welcher es seitdem durch alle Wandelungen der Herrschaft hindurch
geblieben ist; es theilte die Schicksale der cisalpinischen Republik und des
Königreichs Italien, die anfängliche Begeisterung und den schließlichen Wider¬
willen gegen die französische Herrschaft, welche schon im Jahr 1809 den Ver¬
such in einem Theil des Veltlin hervorrief, dem tiroler Aufstand zu Gunsten


im Veltlin recht wohl mit dem graubündtnerischen Regiment sich vertrüge. Es
war im Wesentlichen der Zustand vor 1620, der durch den Vertrag von 1639
zurückgeführt ward, höchstens daß nun, wenigstens dem Buchstaben des Ver¬
trages nach die katholische Religion die einzig geduldete sein sollte. Unbe¬
kümmert um alle andern Ansprüche und Interessen, gab die spanische Politik
ein jetzt sast ausschließlich katholisches Land einem andersgläubigen Herrn,
einen italienischen Stamm einem fremden Preis; ihr Vortheil schien genügend
gewahrt, wenn in dem Vertrag die Graubünden-er sich verpflichteten, die Pässe
des Veltlin den östreichisch-spanischen Truppen und zwar ihnen allein stets
offen zu halten. Wol protestirten nnn die Veltliner laut gegen diese Be¬
schlüsse, sie wurden ohne weiteres ausgeführt, und bald mußten jene zufrie¬
den sein, wenn ihre graubündtnerischen Herrscher es nur für gut fanden, die
in dem Vertrag von Mailand stipulirten Bedingungen zu Gunsten der ka¬
tholischen Religion einzuhalten, wovon man sich freilich bald mehr und mehr
entfernte.

Der wichtigere Theil der Geschichte des Veltlin schließt mit diesem Mai¬
länder Vertrag, und wir dürfen über den weiteren Verlauf kurz sein. Ueber
150 Jahre blieb nun das Thal im ungestörten Besitz der drei rhätischen
Bünde, und während es die nicht leichte Herrschaft derselben ertrug, blieb es
wenigstens unberührt von den Erbfolgekriegen des achtzehnten Jahrhunderts.
Die proconsularische Habsucht und Gewaltthätigkeit der bündnerischen Beam¬
ten wog ihnen das wol reichlich auf, und es diente höchstens zur Verschlim¬
merung ihres Zustandes, wenn sie sich einige Male an den Kaiser wandten
und ihn als Herzog von Mailand aufforderten, ihnen die Einhaltung des
Mailänder Vertrags zu garantiren.

So gedieh auch hier jene Stimmung des Volkes, welche in ganz Ober¬
italien den Heeren der französischen Republik und ihren Freiheitsverheißungen
sich freudig in die Arme warf; bald erblickte man Freiheitsbäume und Ia-
io^'iliermützen auch im Veltlin, und der General Bonaparte glaubte den ihm
vorgetragenen Wünschen des Volt's nachgeben zu müssen, und vereinigte im
Jahre 1797 Veltlin, Chiavenna und Bormio mit der cisalpinischen Republik,
„nicht geleitet von der Sucht, drei kleine Alpenthäler zu gewinnen (wie es in
den Memoiren von Se. Helena heißt), sondern um den Wunsch der Bewohner
zu erfüllen und sie von der Knechtschaft Graubündtcns zu befreien, die Schmach'
voll auf ihnen lastete." So ward das Thal wieder mit der Lombardei ver¬
einigt, bei welcher es seitdem durch alle Wandelungen der Herrschaft hindurch
geblieben ist; es theilte die Schicksale der cisalpinischen Republik und des
Königreichs Italien, die anfängliche Begeisterung und den schließlichen Wider¬
willen gegen die französische Herrschaft, welche schon im Jahr 1809 den Ver¬
such in einem Theil des Veltlin hervorrief, dem tiroler Aufstand zu Gunsten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/110>, abgerufen am 22.07.2024.