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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Anerbieten war nach den Erfahrungen der letzten Tage zu lockend, um es
auszuschlagen. Ich hatte noch Zeit genug, mich an der entzückenden Lage
der Stadt satt zu sehen,/die gegen Süden von einem Kranz jetzt schneebedeckter
Berge, derselben, die ich gestern überklettert hatte, eingeschlossen, auf einer
schmalen Landzunge am. Eingang "einer Bucht erbaut ist, welche das Meer
in die steile Felsenküste gehöhlt zu haben scheint. So fuhren wir denn nach
Tone de la Vega, und nachdem mir mein gütiger Wirth den Aufenthalt bei
sich auf alle Weise angenehm gemacht hatte, besorgte er mir auch noch ein
Paar Pferde. Denn im nördlichen Spanien bietet das Reiten auf vielen
Wegen die einzige Möglichkeit des Fortkommens. Das zweite Pferd war für
mein Gepäck und den Arbeiter bestimmt, der die Thiere zurückbringen sollte.
Bei dem Küstcnort Cumillas begrüßte ich zum ersten Mal Myrrhen und Ci-
tronenbäume, die mit Flüchten beladen gruppenweise beisammenstanden. Von
da an läuft der Weg bis Gijon in unaufhörlichem Wechsel von Berg und
Thal immer dicht am Meer hin oder entfernt sich nur wenig davon. Wenn
ich sage der Weg, so möchte freilich der Ausdruck deutsche Leser leicht irre
führen, denn was hier so heißt, hat mit dem, was man in Deutschland dar¬
unter versteht, nur eine sehr entfernte Aehnlichkeit.

Nach einem dreitägigen anstrengenden Ritt erreichten wir Villaviciosa und
den folgenden Mittag stiegen wir in das weite, lachende Becken hinab, in
welchem Gijon liegt. Dieses Städtchen verdient vor allen andern der Nord¬
küste den Vorzug; es ist um vieles freundlicher, reinlicher und belebter und
ist reizend gelegen. Die Umgegend ist trefflich angebaut und mit Maisfeldern,
Aepfel-, Feigen- und Orangebüumen übersäet. Von dem Hafenquai genießt
man die herrlichste Aussicht, hier auf die Meeresbucht und das geschäftige
Leben am Ufer, dort die bergigen Küsten, die sich landeinwärts zur Kette des
asturischen Gebirges erheben und in der Ferne von dem Gipfel des Pajar6s
überragt werden. Weiter nach Westen zu nähert sich das Gebirge wieder
mehr dem Meere, die Küste wird felsiger und die Berge höher.

Wir kamen über die Eisenbahn, welche gegenwärtig Gijon mit Oviedo
verbindet, und dereinst mit Leon verbinden soll. Mein Begleiter begriff nicht,
daß ich nicht halten wollte, um die Dampfwagen zu besehe". Ich konnte mir
nicht versagen, ihm zu versichern, daß in meiner Heimath jede Stadt von
der Größe Gijons ihre Eisenbahn habe, und daß es dort Städte mit fünf
und sechs Bahnhöfen gäbe. Er hörte ernst zu, von Stund an aber war der
bisher so freundliche und gesprächige Bursche zurückhaltend und einsilbig, offen¬
bar verstimmt, daß ich ihm eine so dumme Leichtgläubigkeit zutraue und er
schien froh zu sein, als er sich in Aviles von seinem undankbaren Beleidiger
trennen durfte.

So befand ich mich denn nunmehr auf dem Boden Asturiens, jenes von Ge-


Anerbieten war nach den Erfahrungen der letzten Tage zu lockend, um es
auszuschlagen. Ich hatte noch Zeit genug, mich an der entzückenden Lage
der Stadt satt zu sehen,/die gegen Süden von einem Kranz jetzt schneebedeckter
Berge, derselben, die ich gestern überklettert hatte, eingeschlossen, auf einer
schmalen Landzunge am. Eingang «einer Bucht erbaut ist, welche das Meer
in die steile Felsenküste gehöhlt zu haben scheint. So fuhren wir denn nach
Tone de la Vega, und nachdem mir mein gütiger Wirth den Aufenthalt bei
sich auf alle Weise angenehm gemacht hatte, besorgte er mir auch noch ein
Paar Pferde. Denn im nördlichen Spanien bietet das Reiten auf vielen
Wegen die einzige Möglichkeit des Fortkommens. Das zweite Pferd war für
mein Gepäck und den Arbeiter bestimmt, der die Thiere zurückbringen sollte.
Bei dem Küstcnort Cumillas begrüßte ich zum ersten Mal Myrrhen und Ci-
tronenbäume, die mit Flüchten beladen gruppenweise beisammenstanden. Von
da an läuft der Weg bis Gijon in unaufhörlichem Wechsel von Berg und
Thal immer dicht am Meer hin oder entfernt sich nur wenig davon. Wenn
ich sage der Weg, so möchte freilich der Ausdruck deutsche Leser leicht irre
führen, denn was hier so heißt, hat mit dem, was man in Deutschland dar¬
unter versteht, nur eine sehr entfernte Aehnlichkeit.

Nach einem dreitägigen anstrengenden Ritt erreichten wir Villaviciosa und
den folgenden Mittag stiegen wir in das weite, lachende Becken hinab, in
welchem Gijon liegt. Dieses Städtchen verdient vor allen andern der Nord¬
küste den Vorzug; es ist um vieles freundlicher, reinlicher und belebter und
ist reizend gelegen. Die Umgegend ist trefflich angebaut und mit Maisfeldern,
Aepfel-, Feigen- und Orangebüumen übersäet. Von dem Hafenquai genießt
man die herrlichste Aussicht, hier auf die Meeresbucht und das geschäftige
Leben am Ufer, dort die bergigen Küsten, die sich landeinwärts zur Kette des
asturischen Gebirges erheben und in der Ferne von dem Gipfel des Pajar6s
überragt werden. Weiter nach Westen zu nähert sich das Gebirge wieder
mehr dem Meere, die Küste wird felsiger und die Berge höher.

Wir kamen über die Eisenbahn, welche gegenwärtig Gijon mit Oviedo
verbindet, und dereinst mit Leon verbinden soll. Mein Begleiter begriff nicht,
daß ich nicht halten wollte, um die Dampfwagen zu besehe». Ich konnte mir
nicht versagen, ihm zu versichern, daß in meiner Heimath jede Stadt von
der Größe Gijons ihre Eisenbahn habe, und daß es dort Städte mit fünf
und sechs Bahnhöfen gäbe. Er hörte ernst zu, von Stund an aber war der
bisher so freundliche und gesprächige Bursche zurückhaltend und einsilbig, offen¬
bar verstimmt, daß ich ihm eine so dumme Leichtgläubigkeit zutraue und er
schien froh zu sein, als er sich in Aviles von seinem undankbaren Beleidiger
trennen durfte.

So befand ich mich denn nunmehr auf dem Boden Asturiens, jenes von Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/95>, abgerufen am 22.12.2024.