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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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schwarzen, schroffen Gipfel der Pyrenäen zu Gesicht. Trotz des Novembers
war die Lust frühlingslau, Bäume und Sträucher noch belaubt. Wäldchen
von Kastanien und immergrünen Eichen säumten stellenweise die Straße. So
gelangten wir auf die angenehmste Weise nach Jrun. wo uns die allgemeine
Paßrevision belehrte, daß wir nunmehr das Reich Ihrer katholischen Majestät
betreten hatten; nicht minder deutlich bewies die scharfe Scheidung der fran¬
zösischen von der spanischen Sprache, daß die Grenze uns nunmehr im Rücken
lag. Vor Einbruch der Nacht waren wir in San Sebastian und setzten unsere
Reise von da am andern Morgen fort. Bis zu dem Städtchen Orio läuft
die Straße in geringer Entfernung vom Meere hin, von da an dringt sie, sich
landeinwärts wendend, in ein wildes Gebirgsland ein. Einige der Berg¬
rücken, welche sie übersteigt, sind so steil, daß dem Postwagen noch vier Ochsen
vorgelegt werden mußten, um sie zu bewältigen. Diesen Charakter behielt
die Gegend bis nach Bilbao, welches wir am Abend erreichten. Abermals
Gcpäckrevision. Die Mühe, die es mich hier, mehr noch als in Bayonne,
kostete, Genaues über den Cours der Dnmpfboote nach dem Westen zu
erfahren, berechtigte zu keinem befriedigenden Schluß auf seine Lebhaftigkeit
und Regelmäßigkeit. Der Anblick der kleinen, schmuzigen und winkligen
Stadt bot geringen Ersatz für meine Ungeduld. Erst am folgenden Tag ge¬
lang es mir zu ermitteln, daß das nächste Schiff nicht vor drei Tagen ab¬
gebe. Drei Tage in Bilbao, wo schon einer hingereicht hatte, mich tödtlich
zu langweilen! Allein der Zufall, dieser mächtige Gott der Reisenden, schien
sich meiner erbarmen zu wollen. Zwei Spanier, deren Bekanntschaft ich in
der Fonda gemacht hatte, beide aus den südlichen Provinzen gebürtig, boten
mir, durch meine Verlegenheit zum Mitleid gestimmt, einen Platz in ihrem
Wagen an. den sie zu einer Reise nach Santander gemiethet hatten. Ich
brauche nicht zu sagen, daß ich ihn dankbar annahm.

Mit Wein, Brot und Fleisch hinreichend versehen, brachen wir noch am
nämlichen Tage auf. So langsam auch die Fahrt ging, -- denn dasselbe
Gespann diente uns sür die ganze Fahrt, -- so wurden wir doch, da der
Wagen nicht in Federn hing, auf der schlechten Straße kläglich gerüttelt
und geschüttelt. Sie wand sich durch wildes, fast unbebautes Gebirgsland,
immer höher stiegen wir aufwärts, der Regen, der uns schon seit unserer Ab¬
fahrt begleitete, verwandelte sich in Schnee. Plötzlich wurden durch das Ge¬
stöber hindurch die Umrisse menschlicher Gestalten sichtbar, die auf unsern
Wagen zukamen, und schon stiegen in mir Erinnerungen an die schrecklichsten
spanischen Räubergeschichte" auf. als sie sich als friedsame Carabineros (Zoll¬
wächter) erwiesen. Trotz Kälte, Regen und Schnee wurden wir angehalten,
Wagen, Gepäck und Taschen visitirt, bis sie sich von der Harmlosigkeit der¬
selben, vermuthlich auch von der Unzugänglichkeit unserer Börsen, die sich


schwarzen, schroffen Gipfel der Pyrenäen zu Gesicht. Trotz des Novembers
war die Lust frühlingslau, Bäume und Sträucher noch belaubt. Wäldchen
von Kastanien und immergrünen Eichen säumten stellenweise die Straße. So
gelangten wir auf die angenehmste Weise nach Jrun. wo uns die allgemeine
Paßrevision belehrte, daß wir nunmehr das Reich Ihrer katholischen Majestät
betreten hatten; nicht minder deutlich bewies die scharfe Scheidung der fran¬
zösischen von der spanischen Sprache, daß die Grenze uns nunmehr im Rücken
lag. Vor Einbruch der Nacht waren wir in San Sebastian und setzten unsere
Reise von da am andern Morgen fort. Bis zu dem Städtchen Orio läuft
die Straße in geringer Entfernung vom Meere hin, von da an dringt sie, sich
landeinwärts wendend, in ein wildes Gebirgsland ein. Einige der Berg¬
rücken, welche sie übersteigt, sind so steil, daß dem Postwagen noch vier Ochsen
vorgelegt werden mußten, um sie zu bewältigen. Diesen Charakter behielt
die Gegend bis nach Bilbao, welches wir am Abend erreichten. Abermals
Gcpäckrevision. Die Mühe, die es mich hier, mehr noch als in Bayonne,
kostete, Genaues über den Cours der Dnmpfboote nach dem Westen zu
erfahren, berechtigte zu keinem befriedigenden Schluß auf seine Lebhaftigkeit
und Regelmäßigkeit. Der Anblick der kleinen, schmuzigen und winkligen
Stadt bot geringen Ersatz für meine Ungeduld. Erst am folgenden Tag ge¬
lang es mir zu ermitteln, daß das nächste Schiff nicht vor drei Tagen ab¬
gebe. Drei Tage in Bilbao, wo schon einer hingereicht hatte, mich tödtlich
zu langweilen! Allein der Zufall, dieser mächtige Gott der Reisenden, schien
sich meiner erbarmen zu wollen. Zwei Spanier, deren Bekanntschaft ich in
der Fonda gemacht hatte, beide aus den südlichen Provinzen gebürtig, boten
mir, durch meine Verlegenheit zum Mitleid gestimmt, einen Platz in ihrem
Wagen an. den sie zu einer Reise nach Santander gemiethet hatten. Ich
brauche nicht zu sagen, daß ich ihn dankbar annahm.

Mit Wein, Brot und Fleisch hinreichend versehen, brachen wir noch am
nämlichen Tage auf. So langsam auch die Fahrt ging, — denn dasselbe
Gespann diente uns sür die ganze Fahrt, — so wurden wir doch, da der
Wagen nicht in Federn hing, auf der schlechten Straße kläglich gerüttelt
und geschüttelt. Sie wand sich durch wildes, fast unbebautes Gebirgsland,
immer höher stiegen wir aufwärts, der Regen, der uns schon seit unserer Ab¬
fahrt begleitete, verwandelte sich in Schnee. Plötzlich wurden durch das Ge¬
stöber hindurch die Umrisse menschlicher Gestalten sichtbar, die auf unsern
Wagen zukamen, und schon stiegen in mir Erinnerungen an die schrecklichsten
spanischen Räubergeschichte» auf. als sie sich als friedsame Carabineros (Zoll¬
wächter) erwiesen. Trotz Kälte, Regen und Schnee wurden wir angehalten,
Wagen, Gepäck und Taschen visitirt, bis sie sich von der Harmlosigkeit der¬
selben, vermuthlich auch von der Unzugänglichkeit unserer Börsen, die sich


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[0092] schwarzen, schroffen Gipfel der Pyrenäen zu Gesicht. Trotz des Novembers war die Lust frühlingslau, Bäume und Sträucher noch belaubt. Wäldchen von Kastanien und immergrünen Eichen säumten stellenweise die Straße. So gelangten wir auf die angenehmste Weise nach Jrun. wo uns die allgemeine Paßrevision belehrte, daß wir nunmehr das Reich Ihrer katholischen Majestät betreten hatten; nicht minder deutlich bewies die scharfe Scheidung der fran¬ zösischen von der spanischen Sprache, daß die Grenze uns nunmehr im Rücken lag. Vor Einbruch der Nacht waren wir in San Sebastian und setzten unsere Reise von da am andern Morgen fort. Bis zu dem Städtchen Orio läuft die Straße in geringer Entfernung vom Meere hin, von da an dringt sie, sich landeinwärts wendend, in ein wildes Gebirgsland ein. Einige der Berg¬ rücken, welche sie übersteigt, sind so steil, daß dem Postwagen noch vier Ochsen vorgelegt werden mußten, um sie zu bewältigen. Diesen Charakter behielt die Gegend bis nach Bilbao, welches wir am Abend erreichten. Abermals Gcpäckrevision. Die Mühe, die es mich hier, mehr noch als in Bayonne, kostete, Genaues über den Cours der Dnmpfboote nach dem Westen zu erfahren, berechtigte zu keinem befriedigenden Schluß auf seine Lebhaftigkeit und Regelmäßigkeit. Der Anblick der kleinen, schmuzigen und winkligen Stadt bot geringen Ersatz für meine Ungeduld. Erst am folgenden Tag ge¬ lang es mir zu ermitteln, daß das nächste Schiff nicht vor drei Tagen ab¬ gebe. Drei Tage in Bilbao, wo schon einer hingereicht hatte, mich tödtlich zu langweilen! Allein der Zufall, dieser mächtige Gott der Reisenden, schien sich meiner erbarmen zu wollen. Zwei Spanier, deren Bekanntschaft ich in der Fonda gemacht hatte, beide aus den südlichen Provinzen gebürtig, boten mir, durch meine Verlegenheit zum Mitleid gestimmt, einen Platz in ihrem Wagen an. den sie zu einer Reise nach Santander gemiethet hatten. Ich brauche nicht zu sagen, daß ich ihn dankbar annahm. Mit Wein, Brot und Fleisch hinreichend versehen, brachen wir noch am nämlichen Tage auf. So langsam auch die Fahrt ging, — denn dasselbe Gespann diente uns sür die ganze Fahrt, — so wurden wir doch, da der Wagen nicht in Federn hing, auf der schlechten Straße kläglich gerüttelt und geschüttelt. Sie wand sich durch wildes, fast unbebautes Gebirgsland, immer höher stiegen wir aufwärts, der Regen, der uns schon seit unserer Ab¬ fahrt begleitete, verwandelte sich in Schnee. Plötzlich wurden durch das Ge¬ stöber hindurch die Umrisse menschlicher Gestalten sichtbar, die auf unsern Wagen zukamen, und schon stiegen in mir Erinnerungen an die schrecklichsten spanischen Räubergeschichte» auf. als sie sich als friedsame Carabineros (Zoll¬ wächter) erwiesen. Trotz Kälte, Regen und Schnee wurden wir angehalten, Wagen, Gepäck und Taschen visitirt, bis sie sich von der Harmlosigkeit der¬ selben, vermuthlich auch von der Unzugänglichkeit unserer Börsen, die sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/92>, abgerufen am 22.12.2024.