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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Auch der Großfürst wurde zuweilen daran erinnert, daß er in Rußland
sei. "Zu Anfang des Winters (1749) bemerkte ich an ihm eine ernste Un¬
ruhe. Ich wußte nicht, was dies zu bedeuten habe. Er richtete seine Meute
nicht mehr ab, kam zwanzigmal des Tags in mein Zimmer, hatte ein lei¬
dendes Aussehn, war träumerisch und zerstreut. Er kaufte sich deutsche Bücher;
aber was für Bücher! Ein Theil davon bestand aus Lutherischen Gebetbüchern,
ein anderer ans Geschichten und Processen von Straßenräubern, welche man
gehängt oder gerädert hatte. Er las beides abwechselnd, wenn er nicht mit
der Violine beschäftigt war. Da er gewöhnlich nicht lange bei sich behielt,
was er auf dem Herzen hatte, und da er niemand außer mir davon erzählen
konnte, wartete ich geduldig seine Geständnisse ab. Eines Tages entdeckte er
mir denn auch endlich, was ihn quälte, und ich sand, daß es eine bei wei¬
tem ernstere Angelegenheit war, als ich vorausgesetzt hatte." Die Jägers¬
leute, mit denen sich Peter damals ausschließlich beschäftigte, hatten ihm er¬
zählt, im Regiment Butiosky sei ein Lieutenant Baturin, der große Ergebenheit
gegen S. kais. Hoheit an den Tag lege. Der Großfürst hörte diese Erzäh¬
lung mit Wohlgefallen, endlich ließ ihn Baturin um eine Audienz auf der
Jagd ersuchen. In der That erwartete er ihn eines Tages an einem ver¬
borgenen Ort, fiel, sobald er ihn erblickte, auf die Knie und schwur, er erkenne
keinen andern Herrn als ihn an. "Der Großfürst sagte mir, als er diesen
Eid gehört, habe er erschrocken seinem Pferd die Sporen gegeben und jenen
auf den Knien im Walde liegen lassen." Nun war Baturin, und bald nach
ihm die Jäger verhaftet, und Peter schwebte in der größten Angst. Doch
wurde sein Name nicht genannt: die Jäger wurden über die Grenze gebracht;
Baturin gefoltert - und verurtheilt, den Rest seiner Tage auf der Festung
Schlüsselburg zu sitzen. Von dort suchte er später zu entkommen, wurde nach
Kamtschatka gebracht, entfloh mit Benjowski und fand seinen Tod auf der
Insel Formosa.

In politischen Dingen war Katharina stets die Vertraute ihres Gemahls;
seine Neigung konnte sie nicht erwerben. Im März 1750- zeigte der Großfürst,
"besonders wenn er getrunken hatte, was er jeden Tag that," eine entschiedene
Neigung für die Prinzessin von Kurland, Nach einer sehr lebhaften Scene
entfernte sich eines Abends die Großfürstin, um zu Bett zu gehen. "Kaum
war ich eingeschlafen,- als der Großfürst kam. Da er betrunken war, richtete
er das'Wort an mich, um mich von den ausgezeichneten Eigenschaften seiner
Schönen zu unterhalten. Da ich kein Zeichen des Wachseins gab -- versetzte
er mir zwei, bis drei heftige Faustschläge, indem er über meinen tiefen Schlaf
grollte. Dann wandte er sich um und schlief ein." Zuweilen stürzte er mit¬
ten des Nachts an ihr Bett, und sie mußte aufstehn und frische holsteinische
Austern mit ihm essen. -- Einen Winter hindurch war ein dressirter Pudel


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Auch der Großfürst wurde zuweilen daran erinnert, daß er in Rußland
sei. „Zu Anfang des Winters (1749) bemerkte ich an ihm eine ernste Un¬
ruhe. Ich wußte nicht, was dies zu bedeuten habe. Er richtete seine Meute
nicht mehr ab, kam zwanzigmal des Tags in mein Zimmer, hatte ein lei¬
dendes Aussehn, war träumerisch und zerstreut. Er kaufte sich deutsche Bücher;
aber was für Bücher! Ein Theil davon bestand aus Lutherischen Gebetbüchern,
ein anderer ans Geschichten und Processen von Straßenräubern, welche man
gehängt oder gerädert hatte. Er las beides abwechselnd, wenn er nicht mit
der Violine beschäftigt war. Da er gewöhnlich nicht lange bei sich behielt,
was er auf dem Herzen hatte, und da er niemand außer mir davon erzählen
konnte, wartete ich geduldig seine Geständnisse ab. Eines Tages entdeckte er
mir denn auch endlich, was ihn quälte, und ich sand, daß es eine bei wei¬
tem ernstere Angelegenheit war, als ich vorausgesetzt hatte." Die Jägers¬
leute, mit denen sich Peter damals ausschließlich beschäftigte, hatten ihm er¬
zählt, im Regiment Butiosky sei ein Lieutenant Baturin, der große Ergebenheit
gegen S. kais. Hoheit an den Tag lege. Der Großfürst hörte diese Erzäh¬
lung mit Wohlgefallen, endlich ließ ihn Baturin um eine Audienz auf der
Jagd ersuchen. In der That erwartete er ihn eines Tages an einem ver¬
borgenen Ort, fiel, sobald er ihn erblickte, auf die Knie und schwur, er erkenne
keinen andern Herrn als ihn an. „Der Großfürst sagte mir, als er diesen
Eid gehört, habe er erschrocken seinem Pferd die Sporen gegeben und jenen
auf den Knien im Walde liegen lassen." Nun war Baturin, und bald nach
ihm die Jäger verhaftet, und Peter schwebte in der größten Angst. Doch
wurde sein Name nicht genannt: die Jäger wurden über die Grenze gebracht;
Baturin gefoltert - und verurtheilt, den Rest seiner Tage auf der Festung
Schlüsselburg zu sitzen. Von dort suchte er später zu entkommen, wurde nach
Kamtschatka gebracht, entfloh mit Benjowski und fand seinen Tod auf der
Insel Formosa.

In politischen Dingen war Katharina stets die Vertraute ihres Gemahls;
seine Neigung konnte sie nicht erwerben. Im März 1750- zeigte der Großfürst,
„besonders wenn er getrunken hatte, was er jeden Tag that," eine entschiedene
Neigung für die Prinzessin von Kurland, Nach einer sehr lebhaften Scene
entfernte sich eines Abends die Großfürstin, um zu Bett zu gehen. „Kaum
war ich eingeschlafen,- als der Großfürst kam. Da er betrunken war, richtete
er das'Wort an mich, um mich von den ausgezeichneten Eigenschaften seiner
Schönen zu unterhalten. Da ich kein Zeichen des Wachseins gab — versetzte
er mir zwei, bis drei heftige Faustschläge, indem er über meinen tiefen Schlaf
grollte. Dann wandte er sich um und schlief ein." Zuweilen stürzte er mit¬
ten des Nachts an ihr Bett, und sie mußte aufstehn und frische holsteinische
Austern mit ihm essen. — Einen Winter hindurch war ein dressirter Pudel


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[0085] Auch der Großfürst wurde zuweilen daran erinnert, daß er in Rußland sei. „Zu Anfang des Winters (1749) bemerkte ich an ihm eine ernste Un¬ ruhe. Ich wußte nicht, was dies zu bedeuten habe. Er richtete seine Meute nicht mehr ab, kam zwanzigmal des Tags in mein Zimmer, hatte ein lei¬ dendes Aussehn, war träumerisch und zerstreut. Er kaufte sich deutsche Bücher; aber was für Bücher! Ein Theil davon bestand aus Lutherischen Gebetbüchern, ein anderer ans Geschichten und Processen von Straßenräubern, welche man gehängt oder gerädert hatte. Er las beides abwechselnd, wenn er nicht mit der Violine beschäftigt war. Da er gewöhnlich nicht lange bei sich behielt, was er auf dem Herzen hatte, und da er niemand außer mir davon erzählen konnte, wartete ich geduldig seine Geständnisse ab. Eines Tages entdeckte er mir denn auch endlich, was ihn quälte, und ich sand, daß es eine bei wei¬ tem ernstere Angelegenheit war, als ich vorausgesetzt hatte." Die Jägers¬ leute, mit denen sich Peter damals ausschließlich beschäftigte, hatten ihm er¬ zählt, im Regiment Butiosky sei ein Lieutenant Baturin, der große Ergebenheit gegen S. kais. Hoheit an den Tag lege. Der Großfürst hörte diese Erzäh¬ lung mit Wohlgefallen, endlich ließ ihn Baturin um eine Audienz auf der Jagd ersuchen. In der That erwartete er ihn eines Tages an einem ver¬ borgenen Ort, fiel, sobald er ihn erblickte, auf die Knie und schwur, er erkenne keinen andern Herrn als ihn an. „Der Großfürst sagte mir, als er diesen Eid gehört, habe er erschrocken seinem Pferd die Sporen gegeben und jenen auf den Knien im Walde liegen lassen." Nun war Baturin, und bald nach ihm die Jäger verhaftet, und Peter schwebte in der größten Angst. Doch wurde sein Name nicht genannt: die Jäger wurden über die Grenze gebracht; Baturin gefoltert - und verurtheilt, den Rest seiner Tage auf der Festung Schlüsselburg zu sitzen. Von dort suchte er später zu entkommen, wurde nach Kamtschatka gebracht, entfloh mit Benjowski und fand seinen Tod auf der Insel Formosa. In politischen Dingen war Katharina stets die Vertraute ihres Gemahls; seine Neigung konnte sie nicht erwerben. Im März 1750- zeigte der Großfürst, „besonders wenn er getrunken hatte, was er jeden Tag that," eine entschiedene Neigung für die Prinzessin von Kurland, Nach einer sehr lebhaften Scene entfernte sich eines Abends die Großfürstin, um zu Bett zu gehen. „Kaum war ich eingeschlafen,- als der Großfürst kam. Da er betrunken war, richtete er das'Wort an mich, um mich von den ausgezeichneten Eigenschaften seiner Schönen zu unterhalten. Da ich kein Zeichen des Wachseins gab — versetzte er mir zwei, bis drei heftige Faustschläge, indem er über meinen tiefen Schlaf grollte. Dann wandte er sich um und schlief ein." Zuweilen stürzte er mit¬ ten des Nachts an ihr Bett, und sie mußte aufstehn und frische holsteinische Austern mit ihm essen. — Einen Winter hindurch war ein dressirter Pudel 10*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/85>, abgerufen am 22.12.2024.