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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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voller sowol für Italien im Allgemeinen, als für den König von Sardinien
insbesondere. Wenn eine schon jetzt furchtbare Macht die Absicht kund gibt,
sich den besten und größten Theil Italiens anzueignen und ihr Gebiet bis zur
Grenze Pinnonts auszudehnen, so darf man die Anstrengungen, die der tu¬
riner Hof machen würde, um eine Gebietserweiterung zu erhalten, welche der
Gefahr, von der er bedroht ist, entspräche,, nicht als Begehrlichkeit bezeichnen.
In diesem Fall ist Vergrößerung nicht Ehrgeiz, sondern eine Garantie, ein
unentbehrliches Mittel, seine Unabhängigkeit zu bewahren. Dagegen sind die
Absichten Oestreichs durch keine Nothwendigkeit gerechtfertigt und berühren
weder seine Sicherheit noch seine Unabhängigkeit. Man darf selbst weiter
gehen und behaupten, daß die in Frage stehende Vergrößerung, obschon an
sich beträchtlich, kein anderes Ergebniß haben würde, als die Knechtung (asser-
vissement) Italiens und die Zerstörung des Gleichgewichts in Südeuropa,
ohne Oestreich wahre und dauernde Vortheile zu bringen. Diese Behauptung,
so auffallend sie auch scheinen mag, ist auf Vernunft und Erfahrung gegrün¬
det. Die natürlichen Grenzen zwischen Italien und Deutschland sind zu klar,
als daß diese beiden Länder jemals zu einem verschmolzen werden könnten.
Die Bewohner der Oestreich untergebenen italienischen Provinzen können sich
heute so wenig als vor hundert Jahren den Deutschen assimiliren." -->

Trotz dieser gewichtigen Gründe kam es zu der heute noch bestehenden
Besitzvertheilung, Sardinien hing fortan nur durch die schmale parmesanische
Grenze mit dem übrigen Italien zusammen. Das starre Neactionssystem,
welches nach 1815 in Turin Platz griff, schläferte Oestreichs Besorgnisse nicht
ein, bei der ersten Gelegenheit 1821 intervenirte es und 1830 noch sagte
Metternich offen dem französischen Botschafter, ihm sei die Frage Piemonts
die Frage von ganz Italien. Ebenso wenig vertraute der Minister jener Re¬
action, Graf Solar della Margherita, dem wiener Cabinet, 1835 ermahnte er
seine Diplomaten ausdrücklich, Oestreich und seinen Versicherungen stets zu
mißtrauen; wenn Genua Sardinien einverleibt sei, so sei es nur geschehen,
weil Oestreich es nicht habe hindern können. -- Das Verhältniß beider Staa¬
ten blieb indeß wesentlich in stkrtu amo, bis 1847 die Anzeichen sich mehrten,
daß Karl Albert- die Ideen seiner Jugend wieder aufnehmen und eine neue
Ordnung der Dinge begründen wolle. Der Krieg von 1848 und 1849 ist
bekannt, Oestreich war Sieger geblieben, aber die europäischen Mächte hatten
keine Veränderung der Grenzen zum Nachtheil seines Gegners gestattet.
Oestreich hatte durch den Sieg seine Provinzen gerettet, aber es blieb ihm
in Sardinien ein unversöhnlicher Feind, der wol die erzwungene Entschä¬
digung zahlte, jedoch sich gegen jede andere Concession verschloß. Umsonst
versuchte das wiener Cabinet dem neuen Souverän seine Niederlage als
Strafe der revolutionären Ideen darzustellen und ihm mit der Wiedererlangung


voller sowol für Italien im Allgemeinen, als für den König von Sardinien
insbesondere. Wenn eine schon jetzt furchtbare Macht die Absicht kund gibt,
sich den besten und größten Theil Italiens anzueignen und ihr Gebiet bis zur
Grenze Pinnonts auszudehnen, so darf man die Anstrengungen, die der tu¬
riner Hof machen würde, um eine Gebietserweiterung zu erhalten, welche der
Gefahr, von der er bedroht ist, entspräche,, nicht als Begehrlichkeit bezeichnen.
In diesem Fall ist Vergrößerung nicht Ehrgeiz, sondern eine Garantie, ein
unentbehrliches Mittel, seine Unabhängigkeit zu bewahren. Dagegen sind die
Absichten Oestreichs durch keine Nothwendigkeit gerechtfertigt und berühren
weder seine Sicherheit noch seine Unabhängigkeit. Man darf selbst weiter
gehen und behaupten, daß die in Frage stehende Vergrößerung, obschon an
sich beträchtlich, kein anderes Ergebniß haben würde, als die Knechtung (asser-
vissement) Italiens und die Zerstörung des Gleichgewichts in Südeuropa,
ohne Oestreich wahre und dauernde Vortheile zu bringen. Diese Behauptung,
so auffallend sie auch scheinen mag, ist auf Vernunft und Erfahrung gegrün¬
det. Die natürlichen Grenzen zwischen Italien und Deutschland sind zu klar,
als daß diese beiden Länder jemals zu einem verschmolzen werden könnten.
Die Bewohner der Oestreich untergebenen italienischen Provinzen können sich
heute so wenig als vor hundert Jahren den Deutschen assimiliren." —>

Trotz dieser gewichtigen Gründe kam es zu der heute noch bestehenden
Besitzvertheilung, Sardinien hing fortan nur durch die schmale parmesanische
Grenze mit dem übrigen Italien zusammen. Das starre Neactionssystem,
welches nach 1815 in Turin Platz griff, schläferte Oestreichs Besorgnisse nicht
ein, bei der ersten Gelegenheit 1821 intervenirte es und 1830 noch sagte
Metternich offen dem französischen Botschafter, ihm sei die Frage Piemonts
die Frage von ganz Italien. Ebenso wenig vertraute der Minister jener Re¬
action, Graf Solar della Margherita, dem wiener Cabinet, 1835 ermahnte er
seine Diplomaten ausdrücklich, Oestreich und seinen Versicherungen stets zu
mißtrauen; wenn Genua Sardinien einverleibt sei, so sei es nur geschehen,
weil Oestreich es nicht habe hindern können. — Das Verhältniß beider Staa¬
ten blieb indeß wesentlich in stkrtu amo, bis 1847 die Anzeichen sich mehrten,
daß Karl Albert- die Ideen seiner Jugend wieder aufnehmen und eine neue
Ordnung der Dinge begründen wolle. Der Krieg von 1848 und 1849 ist
bekannt, Oestreich war Sieger geblieben, aber die europäischen Mächte hatten
keine Veränderung der Grenzen zum Nachtheil seines Gegners gestattet.
Oestreich hatte durch den Sieg seine Provinzen gerettet, aber es blieb ihm
in Sardinien ein unversöhnlicher Feind, der wol die erzwungene Entschä¬
digung zahlte, jedoch sich gegen jede andere Concession verschloß. Umsonst
versuchte das wiener Cabinet dem neuen Souverän seine Niederlage als
Strafe der revolutionären Ideen darzustellen und ihm mit der Wiedererlangung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/79>, abgerufen am 22.12.2024.