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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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flüchtiger in das Exil, wo sie die geheimen Gesellschaften vergrößerten. Und
im so tiefer dringt das Uebel, als jene Unzufriedenen meist den höhern Clas¬
sen angehören, die gebildet und gereist, lebhaft den traurigen Zustand ihres
Vaterlandes fühlen und ihn verbessern möchten. Wie aber Oestreich und Ne¬
apel strafen, weiß die Welt und hat sich einstimmig entrüstet darüber aus¬
gesprochen. Dem gegenüber verhält sich das wiener Cabinet rein negativ und
unterdrückend, aber die Verhältnisse machen ihm diese Stellung immer schwerer.
Sie war stark, so lange sie solidarisch mit einem großen System der Reaction
auf dem Kontinent verbunden war, Oestreich war damals der Mandatar der
heiligen Allianz in Italien. Jetzt existirt dieselbe nicht mehr, ganz andere
Ideen bewegen die Welt, die Constellation der Mächte hat vollkommen ge¬
wechselt, und doch ist Oestreich seine Stellung in Italien wichtiger als je zu¬
vor, nicht blos um seine Besitzungen zu schützen, sondern auch wegen seines
Einflusses, den es dadurch auf den Papst hat. Nachdem die Revolution von
1848--50 gezeigt hat, wie tief die kaiserliche Autorität erschüttert ist, glaubt
man in Wien mit Recht oder Unrecht nur durch den Einfluß des Katholicis¬
mus die Völker wieder zur Ruhe bringen zu können, daher das Concordat.
Aber so große Befugnisse es auch der Curie einräumt, so muß der Kaiser doch
stets auf dieselbe einen entscheidenden Einfluß haben, und dies geschieht durch
nichts so sicher als durch eine materiell beschützende Nachbarschaft. Oestreich
besitzt Bologna und Ferrara und gewährt dem Papst dafür geistliche Censur
in seinen Staaten, um so schlimmern Eindruck aber muß dies in Italien selbst
machen, als das Papstthum sich dadurch mit der Fremdherrschaft solidarisch
macht.

Bei einem solchen allgemeinen Zustand kommt verhältnißmäßig wenig
darauf an. ob in einem Staate der Druck geringer ist. als in dem andern.
Es ist bekannt, daß die Reaction in Toscana niemals auf den Höhepunkt ge¬
langt ist. wie in Neapel oder Modena. Der Großherzog ist ein wohlwollender
Charakter, er hat dem Dringen auf ein Concordat widerstanden, aber der
etwas größere Spielraum, der hier gelassen wird, läßt nur mehr fordern.

Nur ein Staat der Halbinsel befindet sich in einer diametral entgegen¬
gesetzten Stellung, Sardinien. Aus kleinen Anfängen erwuchs dieser Sta'at
Zwischen mächtigen Nachbarn. Durch geschickte Benutzung der Umstände wu߬
ten sich die Herzöge von Savoyen zu vergrößern, Papst Felix V., der selbst
Herzog gewesen, sagte: die Fürsten seines Reiches seien nicht gewohnt. Dinge,
welche sie gewonnen, zurückzugeben, sondern neue zu gewinnen. Bald nach
Preußen erwarb es die Königskrone, und der östreichische Erbfolgekrieg brachte
ein Stück von Mailand, der spanische Bigevano, Montserrat. Comilma, das
Sesiathal, der Frieden von Worms Novara und Tortona. Die Fürsten, die
an der Spitze dieses kriegerischen und scharf disciplinirten Staates standen,


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flüchtiger in das Exil, wo sie die geheimen Gesellschaften vergrößerten. Und
im so tiefer dringt das Uebel, als jene Unzufriedenen meist den höhern Clas¬
sen angehören, die gebildet und gereist, lebhaft den traurigen Zustand ihres
Vaterlandes fühlen und ihn verbessern möchten. Wie aber Oestreich und Ne¬
apel strafen, weiß die Welt und hat sich einstimmig entrüstet darüber aus¬
gesprochen. Dem gegenüber verhält sich das wiener Cabinet rein negativ und
unterdrückend, aber die Verhältnisse machen ihm diese Stellung immer schwerer.
Sie war stark, so lange sie solidarisch mit einem großen System der Reaction
auf dem Kontinent verbunden war, Oestreich war damals der Mandatar der
heiligen Allianz in Italien. Jetzt existirt dieselbe nicht mehr, ganz andere
Ideen bewegen die Welt, die Constellation der Mächte hat vollkommen ge¬
wechselt, und doch ist Oestreich seine Stellung in Italien wichtiger als je zu¬
vor, nicht blos um seine Besitzungen zu schützen, sondern auch wegen seines
Einflusses, den es dadurch auf den Papst hat. Nachdem die Revolution von
1848—50 gezeigt hat, wie tief die kaiserliche Autorität erschüttert ist, glaubt
man in Wien mit Recht oder Unrecht nur durch den Einfluß des Katholicis¬
mus die Völker wieder zur Ruhe bringen zu können, daher das Concordat.
Aber so große Befugnisse es auch der Curie einräumt, so muß der Kaiser doch
stets auf dieselbe einen entscheidenden Einfluß haben, und dies geschieht durch
nichts so sicher als durch eine materiell beschützende Nachbarschaft. Oestreich
besitzt Bologna und Ferrara und gewährt dem Papst dafür geistliche Censur
in seinen Staaten, um so schlimmern Eindruck aber muß dies in Italien selbst
machen, als das Papstthum sich dadurch mit der Fremdherrschaft solidarisch
macht.

Bei einem solchen allgemeinen Zustand kommt verhältnißmäßig wenig
darauf an. ob in einem Staate der Druck geringer ist. als in dem andern.
Es ist bekannt, daß die Reaction in Toscana niemals auf den Höhepunkt ge¬
langt ist. wie in Neapel oder Modena. Der Großherzog ist ein wohlwollender
Charakter, er hat dem Dringen auf ein Concordat widerstanden, aber der
etwas größere Spielraum, der hier gelassen wird, läßt nur mehr fordern.

Nur ein Staat der Halbinsel befindet sich in einer diametral entgegen¬
gesetzten Stellung, Sardinien. Aus kleinen Anfängen erwuchs dieser Sta'at
Zwischen mächtigen Nachbarn. Durch geschickte Benutzung der Umstände wu߬
ten sich die Herzöge von Savoyen zu vergrößern, Papst Felix V., der selbst
Herzog gewesen, sagte: die Fürsten seines Reiches seien nicht gewohnt. Dinge,
welche sie gewonnen, zurückzugeben, sondern neue zu gewinnen. Bald nach
Preußen erwarb es die Königskrone, und der östreichische Erbfolgekrieg brachte
ein Stück von Mailand, der spanische Bigevano, Montserrat. Comilma, das
Sesiathal, der Frieden von Worms Novara und Tortona. Die Fürsten, die
an der Spitze dieses kriegerischen und scharf disciplinirten Staates standen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/77>, abgerufen am 22.12.2024.