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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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einte regieren; statt dessen feste man oft Deutsche oder Böhmen in gericht-
iche oder Verwaltungscollegien, welche kaum der Sprache, geschweige der
Zustände kundig waren, die italienischen Regimenter lagen in entfernten Thei¬
len der Monarchie, Kroaten und Czechen in den lombardischen Städten, die
Censur verkümmerte jeden geistigen Aufschwung, für Kunst und Wissenschaft
geschah nichts, der Kaiser selbst sagte den Professoren von Padua, ihre Pflicht
sei, nicht sowol gelehrte als getreue Unterthanen zu bilden, ein officieller Leit¬
faden für die Elementarschulen, aus dem Deutschen ohne alle Rücksicht ans die
italienischen Verhältnisse übersetzt, prägte die absolute Untertänigkeit gegen
alle Vorschriften der Negierung ein. Das Gefühl der Gleichgiltigkeit, mit der
man anfangs die östreichische Herrschaft hingenommen, sing an in Haß über¬
zugehen und Verschwörungen begannen. 1814 waren es nur einige Militärs,
die einen mißlungenen Aufstandsversuch machten, die Verschwörung der Car-
bonari von 1821 war ernster, um so mehr, als ihre Mitglieder den höhern
Ständen angehörten. Wie Oestreich sie bestrafte, weiß man von Silvio Pelileo.
eine Amnestie wurde bei der Krönung in Mailand verweigert, die Unzufrieden¬
heit wurde fortan nur durch die Waffen niedergehalten.

Aber die Consequenzen des östreichischen Systems gingen über die Gren¬
zen seiner italienischen Besitzungen heraus, die Fremdherrschaft mußte sich auch
gegen den Einfluß entgegengesetzter nationaler und liberaler Tendenzen an¬
derer Staaten der Halbinsel sichern, die Lombardei durste nicht von constitu-
tionellen Staaten umgeben werden. In den Revolutionskriegen hatte Oest¬
reich gestrebt, ganz Oberitalien zu erhalten, später verlangte es die Legationen
und Marken, und nur Consalvis Geschick, unterstützt durch die drü nichtkatho-
lischen Mächte, gab dem Papst sein altes Gebiet zurück. Was dem wiener
Cabinet an materiellem Besitz entgangen war, suchte es durch Einfluß zu er¬
langen, es sicherte sich schon 1815 gewisse Besatzungsrcchte als vorgeschobene
Posten in den päpstlichen Staaten. 1817 durch europäischen Vertrag auch in
Piacenza. Außerdem begann es die italienischen Fürsten durch eine Reihe von
Specialvcrträgen an sich zu ketten. Dies konnte dem Geschick der östreichischen
Diplomatie nicht schwer fallen. Italien wird von Souveränen beherrscht,
welche in keinem politischen Verband stehen, im Volk dagegen begann sich
ein Gefühl der nationalen Einigung zu regen, die sich nur auf Kosten der
Einzelsouveränctäten verwirklichen konnte. Dem trat Oestreich, eine europäische
Großmacht, mit seinen gewaltigen Mitteln entgegen: was war natürlicher, als
daß die andern Fürsten, die theils schon mit ihm verwandt, theils wie der
Papst direct auf seine Hilfe angewiesen waren, sich ihm anschlössen.

Unzweifelhaft hat nun jeder Souverän das Recht, Vertrüge zu schließen.
Aber die italienischen Staaten waren durch die wiener Congreßacte als un¬
abhängige Staaten erklärt: wie wenn sie sich nun vertragsmäßig nur Unao-


Grenzboten I. 1859, 9

einte regieren; statt dessen feste man oft Deutsche oder Böhmen in gericht-
iche oder Verwaltungscollegien, welche kaum der Sprache, geschweige der
Zustände kundig waren, die italienischen Regimenter lagen in entfernten Thei¬
len der Monarchie, Kroaten und Czechen in den lombardischen Städten, die
Censur verkümmerte jeden geistigen Aufschwung, für Kunst und Wissenschaft
geschah nichts, der Kaiser selbst sagte den Professoren von Padua, ihre Pflicht
sei, nicht sowol gelehrte als getreue Unterthanen zu bilden, ein officieller Leit¬
faden für die Elementarschulen, aus dem Deutschen ohne alle Rücksicht ans die
italienischen Verhältnisse übersetzt, prägte die absolute Untertänigkeit gegen
alle Vorschriften der Negierung ein. Das Gefühl der Gleichgiltigkeit, mit der
man anfangs die östreichische Herrschaft hingenommen, sing an in Haß über¬
zugehen und Verschwörungen begannen. 1814 waren es nur einige Militärs,
die einen mißlungenen Aufstandsversuch machten, die Verschwörung der Car-
bonari von 1821 war ernster, um so mehr, als ihre Mitglieder den höhern
Ständen angehörten. Wie Oestreich sie bestrafte, weiß man von Silvio Pelileo.
eine Amnestie wurde bei der Krönung in Mailand verweigert, die Unzufrieden¬
heit wurde fortan nur durch die Waffen niedergehalten.

Aber die Consequenzen des östreichischen Systems gingen über die Gren¬
zen seiner italienischen Besitzungen heraus, die Fremdherrschaft mußte sich auch
gegen den Einfluß entgegengesetzter nationaler und liberaler Tendenzen an¬
derer Staaten der Halbinsel sichern, die Lombardei durste nicht von constitu-
tionellen Staaten umgeben werden. In den Revolutionskriegen hatte Oest¬
reich gestrebt, ganz Oberitalien zu erhalten, später verlangte es die Legationen
und Marken, und nur Consalvis Geschick, unterstützt durch die drü nichtkatho-
lischen Mächte, gab dem Papst sein altes Gebiet zurück. Was dem wiener
Cabinet an materiellem Besitz entgangen war, suchte es durch Einfluß zu er¬
langen, es sicherte sich schon 1815 gewisse Besatzungsrcchte als vorgeschobene
Posten in den päpstlichen Staaten. 1817 durch europäischen Vertrag auch in
Piacenza. Außerdem begann es die italienischen Fürsten durch eine Reihe von
Specialvcrträgen an sich zu ketten. Dies konnte dem Geschick der östreichischen
Diplomatie nicht schwer fallen. Italien wird von Souveränen beherrscht,
welche in keinem politischen Verband stehen, im Volk dagegen begann sich
ein Gefühl der nationalen Einigung zu regen, die sich nur auf Kosten der
Einzelsouveränctäten verwirklichen konnte. Dem trat Oestreich, eine europäische
Großmacht, mit seinen gewaltigen Mitteln entgegen: was war natürlicher, als
daß die andern Fürsten, die theils schon mit ihm verwandt, theils wie der
Papst direct auf seine Hilfe angewiesen waren, sich ihm anschlössen.

Unzweifelhaft hat nun jeder Souverän das Recht, Vertrüge zu schließen.
Aber die italienischen Staaten waren durch die wiener Congreßacte als un¬
abhängige Staaten erklärt: wie wenn sie sich nun vertragsmäßig nur Unao-


Grenzboten I. 1859, 9
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/75>, abgerufen am 22.12.2024.