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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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thun Berg, doch ward diese Epoche für Italien wie für Deutschland der Aus¬
gangspunkt einer neuen Zeit, indem eine Menge von Unlcbcnsfähigcm beseitigt
und frische Keime gelegt wurden. Nicht allein Straßenbauten, Prachtgebäude,
öffentliche Spaziergänge und Anstalten für Wissenschaft und Kunst bezeichnen
die Regierung Napoleons und Eugens, sondern namentlich die Reform der
innern Verwaltung und Gesetzgebung; im Vergleich zu diesem Fortschritt
fühlte man den Mangel wirklicher politischer Freiheit, die man seit Jahr¬
hunderten nicht mehr gekannt, wenig. Der übermäßige Einfluß der Geistlich¬
keit ward beschränkt, die Literatur nahm einen neuen Ausschwung, indem man
wie in Deutschland auf die alten Dichter und Geschichtschreiber zurückging,
und die Feldzüge unter Napoleons Fahnen brachten zum erstenmal seit langer
Zeit den italienischen Waffen wieder Ehre und Ruhm. Freilich fand man zuletzt,
daß dies etwas theuer zu stehen komme, man hatte den Soldatcnkaiser auch
nicht um seiner selbst willen geliebt und sah seinem Fall ziemlich gleichgiltig zu.

Der lachende Erbe der Revolution, wie treffend gesagt ist, ward in Ita-
lien das Haus Oestreich, dem auf dem wiener Congreß die ganze Lombardei
nebst dem venetianischen Gebiet zufiel. Vor 1789 hatten seine italienischen
Besitzungen den Charakter einzelner Vorlande, die mit dem eigentlichen Reichs¬
körper so wenig in Verbindung standen wie der Breisgau und Belgien. Durch
den Frieden von Campo Formio verlor es Mailand, aber behielt das Vene-
tianische. Die Verträge von 1815 brachten ihm die Lombardei, so daß seine
transalpinischen Besitzungen zu einem großen Ganzen mit den deutsch-ungari¬
schen Erbländer abgerundet waren.

Diese Verträge sind der einzige Titel Oestreichs für den Besitz des lom-
bardisch-venetianischen Königreichs. Es ist nicht mehr das alte heilige römische
Reich, das seine italienischen Traditionen wieder aufnimmt und das mailändische
Lehen zurückerhält, das Reich war längst mit Oestreichs Zustimmung begraben,
Venedig und die Lombardei waren Entschädigungen für anderweitige Gebiets¬
verluste, nach dem alleinigen Grundsatz der Zweckmäßigkeit zuerkannt. Der
erste kaiserliche Commissär, Graf Sommariva, nahm in Mailand Besitz von
diesen Provinzen nicht im Namen alter Neichsansprüchc, sondern im Namen
der hohen verbündeten Mächte, welche damals Europa vertheilten. Unzweifel¬
haft ist dieser Besitztitel völkerrechtlich grade so gut wie der Sardiniens auf
Genua oder Preußens auf Köln, aber er hebt keine der innern Schwierigkeiten
auf, welchen seine Herrschaft begegnete.

Die Revolution weckte das Gefühl der Nationalität, indem sie die Jn-
stincte der Völker gegen jede Unterdrückung aufrief, das Kaiserthum brachte
innere Fortschritte und zum erstenmal ward der Name Italien in einer be¬
stimmten politischen Bedeutung gehört; dies mußte magisch wirken. Wenn
das Königreich Italien auch nur einen Theil der Halbinsel begriff, so sah


thun Berg, doch ward diese Epoche für Italien wie für Deutschland der Aus¬
gangspunkt einer neuen Zeit, indem eine Menge von Unlcbcnsfähigcm beseitigt
und frische Keime gelegt wurden. Nicht allein Straßenbauten, Prachtgebäude,
öffentliche Spaziergänge und Anstalten für Wissenschaft und Kunst bezeichnen
die Regierung Napoleons und Eugens, sondern namentlich die Reform der
innern Verwaltung und Gesetzgebung; im Vergleich zu diesem Fortschritt
fühlte man den Mangel wirklicher politischer Freiheit, die man seit Jahr¬
hunderten nicht mehr gekannt, wenig. Der übermäßige Einfluß der Geistlich¬
keit ward beschränkt, die Literatur nahm einen neuen Ausschwung, indem man
wie in Deutschland auf die alten Dichter und Geschichtschreiber zurückging,
und die Feldzüge unter Napoleons Fahnen brachten zum erstenmal seit langer
Zeit den italienischen Waffen wieder Ehre und Ruhm. Freilich fand man zuletzt,
daß dies etwas theuer zu stehen komme, man hatte den Soldatcnkaiser auch
nicht um seiner selbst willen geliebt und sah seinem Fall ziemlich gleichgiltig zu.

Der lachende Erbe der Revolution, wie treffend gesagt ist, ward in Ita-
lien das Haus Oestreich, dem auf dem wiener Congreß die ganze Lombardei
nebst dem venetianischen Gebiet zufiel. Vor 1789 hatten seine italienischen
Besitzungen den Charakter einzelner Vorlande, die mit dem eigentlichen Reichs¬
körper so wenig in Verbindung standen wie der Breisgau und Belgien. Durch
den Frieden von Campo Formio verlor es Mailand, aber behielt das Vene-
tianische. Die Verträge von 1815 brachten ihm die Lombardei, so daß seine
transalpinischen Besitzungen zu einem großen Ganzen mit den deutsch-ungari¬
schen Erbländer abgerundet waren.

Diese Verträge sind der einzige Titel Oestreichs für den Besitz des lom-
bardisch-venetianischen Königreichs. Es ist nicht mehr das alte heilige römische
Reich, das seine italienischen Traditionen wieder aufnimmt und das mailändische
Lehen zurückerhält, das Reich war längst mit Oestreichs Zustimmung begraben,
Venedig und die Lombardei waren Entschädigungen für anderweitige Gebiets¬
verluste, nach dem alleinigen Grundsatz der Zweckmäßigkeit zuerkannt. Der
erste kaiserliche Commissär, Graf Sommariva, nahm in Mailand Besitz von
diesen Provinzen nicht im Namen alter Neichsansprüchc, sondern im Namen
der hohen verbündeten Mächte, welche damals Europa vertheilten. Unzweifel¬
haft ist dieser Besitztitel völkerrechtlich grade so gut wie der Sardiniens auf
Genua oder Preußens auf Köln, aber er hebt keine der innern Schwierigkeiten
auf, welchen seine Herrschaft begegnete.

Die Revolution weckte das Gefühl der Nationalität, indem sie die Jn-
stincte der Völker gegen jede Unterdrückung aufrief, das Kaiserthum brachte
innere Fortschritte und zum erstenmal ward der Name Italien in einer be¬
stimmten politischen Bedeutung gehört; dies mußte magisch wirken. Wenn
das Königreich Italien auch nur einen Theil der Halbinsel begriff, so sah


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[0072] thun Berg, doch ward diese Epoche für Italien wie für Deutschland der Aus¬ gangspunkt einer neuen Zeit, indem eine Menge von Unlcbcnsfähigcm beseitigt und frische Keime gelegt wurden. Nicht allein Straßenbauten, Prachtgebäude, öffentliche Spaziergänge und Anstalten für Wissenschaft und Kunst bezeichnen die Regierung Napoleons und Eugens, sondern namentlich die Reform der innern Verwaltung und Gesetzgebung; im Vergleich zu diesem Fortschritt fühlte man den Mangel wirklicher politischer Freiheit, die man seit Jahr¬ hunderten nicht mehr gekannt, wenig. Der übermäßige Einfluß der Geistlich¬ keit ward beschränkt, die Literatur nahm einen neuen Ausschwung, indem man wie in Deutschland auf die alten Dichter und Geschichtschreiber zurückging, und die Feldzüge unter Napoleons Fahnen brachten zum erstenmal seit langer Zeit den italienischen Waffen wieder Ehre und Ruhm. Freilich fand man zuletzt, daß dies etwas theuer zu stehen komme, man hatte den Soldatcnkaiser auch nicht um seiner selbst willen geliebt und sah seinem Fall ziemlich gleichgiltig zu. Der lachende Erbe der Revolution, wie treffend gesagt ist, ward in Ita- lien das Haus Oestreich, dem auf dem wiener Congreß die ganze Lombardei nebst dem venetianischen Gebiet zufiel. Vor 1789 hatten seine italienischen Besitzungen den Charakter einzelner Vorlande, die mit dem eigentlichen Reichs¬ körper so wenig in Verbindung standen wie der Breisgau und Belgien. Durch den Frieden von Campo Formio verlor es Mailand, aber behielt das Vene- tianische. Die Verträge von 1815 brachten ihm die Lombardei, so daß seine transalpinischen Besitzungen zu einem großen Ganzen mit den deutsch-ungari¬ schen Erbländer abgerundet waren. Diese Verträge sind der einzige Titel Oestreichs für den Besitz des lom- bardisch-venetianischen Königreichs. Es ist nicht mehr das alte heilige römische Reich, das seine italienischen Traditionen wieder aufnimmt und das mailändische Lehen zurückerhält, das Reich war längst mit Oestreichs Zustimmung begraben, Venedig und die Lombardei waren Entschädigungen für anderweitige Gebiets¬ verluste, nach dem alleinigen Grundsatz der Zweckmäßigkeit zuerkannt. Der erste kaiserliche Commissär, Graf Sommariva, nahm in Mailand Besitz von diesen Provinzen nicht im Namen alter Neichsansprüchc, sondern im Namen der hohen verbündeten Mächte, welche damals Europa vertheilten. Unzweifel¬ haft ist dieser Besitztitel völkerrechtlich grade so gut wie der Sardiniens auf Genua oder Preußens auf Köln, aber er hebt keine der innern Schwierigkeiten auf, welchen seine Herrschaft begegnete. Die Revolution weckte das Gefühl der Nationalität, indem sie die Jn- stincte der Völker gegen jede Unterdrückung aufrief, das Kaiserthum brachte innere Fortschritte und zum erstenmal ward der Name Italien in einer be¬ stimmten politischen Bedeutung gehört; dies mußte magisch wirken. Wenn das Königreich Italien auch nur einen Theil der Halbinsel begriff, so sah

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/72>, abgerufen am 22.12.2024.