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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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nem Enccinte sind starke, revetirte Wälle, aber ziemlich verwahrlost. Die vier
zusannnenhängenden Systeme der Hafenbefcstigung, der innern, der äußern
Enceinte und der Forts bilden ein mächtiges Befestigungswerk, vielleicht das
größte in Europa, dem aber eben seine Größe schaden muß.

Wir wandelten langsam, auf das Amphitheater von Dächern unter uns
blickend. Eine mächtige Stadt, der man es ansieht, daß sie einst, Venedigs
Rivalin, das Meer beherrscht! Noch immer die erste und einzige Handelsstadt
Italiens, aber wie weit zurück hinter ihrer ehemaligen Größe! Das Masten¬
wäldchen da unten ist ziemlich bescheiden. Noch lange kein Marseille! Weit¬
hin dehnt sich der tiefe Azur des Meeres, auf dem nur hier und da ein weißes
Segel oder das Rauchwölkchen eines einkehrenden Dampfers sich zeigt. Zu
Dorias Zeiten mögen dort unten die Masten anders geflaggt haben.

Die Stunden vergingen, wir hatten die halbe Stadt umgangen, und wa¬
ren weiter vom Hause als je. Nirgend zeigte sich eine Gasse, die hinab¬
geführt Kälte. Der Schweiß stand uns auf der Stirn, wir waren hungrig und
durstig, und begannen den Gang in der Mittagshitze zu verwünschen. Da
endlich zeigte sich eine enge Passage, ein Vicolo, das wir hinabzuklettern be¬
gannen; es führte auf einen öden, einsamen, grasbewachsenen Platz, an einer
Kirche sammt Nebengebäuden vorüber. Kein Mensch weit und breit zu sehen,
den wir nach dem Wege hätten fragen können. Da sehen wir einen Esel,
von seinem Treiber begleitet, herantraben, eine schwarze Gestalt sitzt darauf,
sie kommt näher -- welch ein Zufall -- es ist der Abb6, der uns vor drei
oder vier Stunden verlassen.

"Wo kommen Sie her. meine Freunde?" rust er. sein Thier parirend,
mit erstaunter Miene.

"Von der Höhe; wir haben den Umkreis um die halbe Stadt gemacht,
und sind halb todt vor Müdigkeit und Hitze!"

"Unvorsichtige Menschen! Sie konnten den Sonnenstich bekommen! Noch
einmal, wollen Sie mit mir dort im Kloster speisen?"

Wir waren längst nicht mehr in der Stimmung, ein solches Anerbieten,
wo es uns gekommen wäre, abzulehnen. Der Esel trabte vorwärts und
wir beide standen bald an der Seite unseres excentrischen Begleiters im Cor-
ridor des Klosters.

"Ehrwürdiger Vater, redete einen Augenblick später unser neuer Freund
den Prior an, der ihm auf der Treppe entgegengekommen war, Sie müssen
noch zwei Gedecke auftragen lassen. Ich bringe Ihnen zwei junge Männer
aus Böhmen mit."

Der Prior lächelte gutmüthig und führte uns, vorangehend, ins Refectorium.
Es war eine kühle, weite Halle mit Ziegelsteinen gepflastert, mit einem langen
Tisch in der Müde, um den herum mindestens fünfzehn Stühle standen.


nem Enccinte sind starke, revetirte Wälle, aber ziemlich verwahrlost. Die vier
zusannnenhängenden Systeme der Hafenbefcstigung, der innern, der äußern
Enceinte und der Forts bilden ein mächtiges Befestigungswerk, vielleicht das
größte in Europa, dem aber eben seine Größe schaden muß.

Wir wandelten langsam, auf das Amphitheater von Dächern unter uns
blickend. Eine mächtige Stadt, der man es ansieht, daß sie einst, Venedigs
Rivalin, das Meer beherrscht! Noch immer die erste und einzige Handelsstadt
Italiens, aber wie weit zurück hinter ihrer ehemaligen Größe! Das Masten¬
wäldchen da unten ist ziemlich bescheiden. Noch lange kein Marseille! Weit¬
hin dehnt sich der tiefe Azur des Meeres, auf dem nur hier und da ein weißes
Segel oder das Rauchwölkchen eines einkehrenden Dampfers sich zeigt. Zu
Dorias Zeiten mögen dort unten die Masten anders geflaggt haben.

Die Stunden vergingen, wir hatten die halbe Stadt umgangen, und wa¬
ren weiter vom Hause als je. Nirgend zeigte sich eine Gasse, die hinab¬
geführt Kälte. Der Schweiß stand uns auf der Stirn, wir waren hungrig und
durstig, und begannen den Gang in der Mittagshitze zu verwünschen. Da
endlich zeigte sich eine enge Passage, ein Vicolo, das wir hinabzuklettern be¬
gannen; es führte auf einen öden, einsamen, grasbewachsenen Platz, an einer
Kirche sammt Nebengebäuden vorüber. Kein Mensch weit und breit zu sehen,
den wir nach dem Wege hätten fragen können. Da sehen wir einen Esel,
von seinem Treiber begleitet, herantraben, eine schwarze Gestalt sitzt darauf,
sie kommt näher — welch ein Zufall — es ist der Abb6, der uns vor drei
oder vier Stunden verlassen.

„Wo kommen Sie her. meine Freunde?" rust er. sein Thier parirend,
mit erstaunter Miene.

„Von der Höhe; wir haben den Umkreis um die halbe Stadt gemacht,
und sind halb todt vor Müdigkeit und Hitze!"

„Unvorsichtige Menschen! Sie konnten den Sonnenstich bekommen! Noch
einmal, wollen Sie mit mir dort im Kloster speisen?"

Wir waren längst nicht mehr in der Stimmung, ein solches Anerbieten,
wo es uns gekommen wäre, abzulehnen. Der Esel trabte vorwärts und
wir beide standen bald an der Seite unseres excentrischen Begleiters im Cor-
ridor des Klosters.

„Ehrwürdiger Vater, redete einen Augenblick später unser neuer Freund
den Prior an, der ihm auf der Treppe entgegengekommen war, Sie müssen
noch zwei Gedecke auftragen lassen. Ich bringe Ihnen zwei junge Männer
aus Böhmen mit."

Der Prior lächelte gutmüthig und führte uns, vorangehend, ins Refectorium.
Es war eine kühle, weite Halle mit Ziegelsteinen gepflastert, mit einem langen
Tisch in der Müde, um den herum mindestens fünfzehn Stühle standen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/518>, abgerufen am 22.12.2024.