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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Verständniß des allgemeinen Ganges in der Literatur. Noch sind wir im
Jahr 1792, von einer romantischen Schule ist noch nicht die Rede, und schon
sehen wir einen der beiden Führer sich gleichzeitig dem Gefühl für das spe¬
cifisch Mittelalterliche und dem für das Classische ausschließen. Der Prag¬
matismus der damaligen Geschichtschreibung war, wie die Aufklärung, durch¬
aus modern, die frühern Zeitalter galten nur als Vorstufen für dasjenige, "wo
wir es zuletzt so herrlich weit gebracht." Die Dichtung, geleitet von der Philo¬
logie, eröffnete zuerst die Perspective in das Griechenthum; dann, ohne solche
Hilfe, aber von demselben Idealismus geleitet, in das Mittelalter. Die
Herrschaft der Idee ist das Größte der Menschheit, so folgerte neben Schiller
auch Fichte; dieselbe transcendentale Auffassung, die über die Greuel der Re¬
volution wegsah, zeigte auch die finstern Gestalten des Ritterthums in neuem
Licht. Als die Schlegel seit 1803 diesen Standpunkt einseitig festhielten, konn¬
ten sie sich im Grund auf das Vorbild ihrer classischen Vorgänger berufen,
die denn auch nicht verfehlten, Calderon wetteifernd mit ihnen zu preisen, die
Jungfrau von Orleans zu Ehren zu bringen und neben Kassandra Fridolin
und den Johanniter zu Gegenständen ihrer Dichtung zu wählen. Bilder und
Ideen suchten sie für den Fortschritt der Cultur; beides fanden sie im Mittel¬
alter wie in Griechenland, nur daß die Kenntniß des erstern ihnen ferner lag,
und sie daher den Alten unbefangener huldigen durften.

Die historischen Vorlesungen hatte Schiller längst aufgegeben; er las
über die Tragödie, um sich allmälig wieder zur Dichtung vorzubereiten. "Es
kleidet sich wieder um mich herum (16. Mai 1790) in dichterische Gestalten,
und oft regt sichs in meiner Brust. Das akademische Karrenführen soll mir
doch nie etwas anhaben. Freilich, zu einem musterhaften Professor werde ich
mich nie qualificiren, aber dazu hat mich die Vorsehung auch nicht bestimmt."
Zwar schreibt er noch 26 Nov. 1790: "Ich sehe nicht ein, warum ich nicht,
wenn ich ernstlich will, der erste Geschichtschreiber Deutschlands werden kann;"
auch trägt er sich mit einem deutschen Plutarch: "Es vereinigt sich fast alles
in diesem Werk, was das Glück eines Buchs machen kann, und was meinen in¬
dividuellen Kräften entspricht. Kleine, mir nicht schwer zu übersehende Ganze, und
Abwechselung, kunstmäßige Darstellung, philosophische und moralische Behand¬
lung." Aber von diesen Plänen kam nur die Geschichte des dreißigjährigen
Kriegs zur Ausführung, die ihn, wie wir wissen, schon in Dresden 1786 be¬
schäftigt hatte.

8. Juni 1790. "Der dreißigjährige Krieg, den ich in Goeschens Kalender
mache und der in den ersten Wochen des August fertig sein muß. nimmt mir
jetzt alle Stunden ein. und ich kann kaum zu Athem kommen." -- 12. Sept.
"Endlich bin ich mit der beschwerlichen Arbeit zu Ende, aber nicht weiter ge¬
kommen als bis zur breitenftlt'er Schlacht, Beschlossen wird er im künftigen


Verständniß des allgemeinen Ganges in der Literatur. Noch sind wir im
Jahr 1792, von einer romantischen Schule ist noch nicht die Rede, und schon
sehen wir einen der beiden Führer sich gleichzeitig dem Gefühl für das spe¬
cifisch Mittelalterliche und dem für das Classische ausschließen. Der Prag¬
matismus der damaligen Geschichtschreibung war, wie die Aufklärung, durch¬
aus modern, die frühern Zeitalter galten nur als Vorstufen für dasjenige, „wo
wir es zuletzt so herrlich weit gebracht." Die Dichtung, geleitet von der Philo¬
logie, eröffnete zuerst die Perspective in das Griechenthum; dann, ohne solche
Hilfe, aber von demselben Idealismus geleitet, in das Mittelalter. Die
Herrschaft der Idee ist das Größte der Menschheit, so folgerte neben Schiller
auch Fichte; dieselbe transcendentale Auffassung, die über die Greuel der Re¬
volution wegsah, zeigte auch die finstern Gestalten des Ritterthums in neuem
Licht. Als die Schlegel seit 1803 diesen Standpunkt einseitig festhielten, konn¬
ten sie sich im Grund auf das Vorbild ihrer classischen Vorgänger berufen,
die denn auch nicht verfehlten, Calderon wetteifernd mit ihnen zu preisen, die
Jungfrau von Orleans zu Ehren zu bringen und neben Kassandra Fridolin
und den Johanniter zu Gegenständen ihrer Dichtung zu wählen. Bilder und
Ideen suchten sie für den Fortschritt der Cultur; beides fanden sie im Mittel¬
alter wie in Griechenland, nur daß die Kenntniß des erstern ihnen ferner lag,
und sie daher den Alten unbefangener huldigen durften.

Die historischen Vorlesungen hatte Schiller längst aufgegeben; er las
über die Tragödie, um sich allmälig wieder zur Dichtung vorzubereiten. „Es
kleidet sich wieder um mich herum (16. Mai 1790) in dichterische Gestalten,
und oft regt sichs in meiner Brust. Das akademische Karrenführen soll mir
doch nie etwas anhaben. Freilich, zu einem musterhaften Professor werde ich
mich nie qualificiren, aber dazu hat mich die Vorsehung auch nicht bestimmt."
Zwar schreibt er noch 26 Nov. 1790: „Ich sehe nicht ein, warum ich nicht,
wenn ich ernstlich will, der erste Geschichtschreiber Deutschlands werden kann;"
auch trägt er sich mit einem deutschen Plutarch: „Es vereinigt sich fast alles
in diesem Werk, was das Glück eines Buchs machen kann, und was meinen in¬
dividuellen Kräften entspricht. Kleine, mir nicht schwer zu übersehende Ganze, und
Abwechselung, kunstmäßige Darstellung, philosophische und moralische Behand¬
lung." Aber von diesen Plänen kam nur die Geschichte des dreißigjährigen
Kriegs zur Ausführung, die ihn, wie wir wissen, schon in Dresden 1786 be¬
schäftigt hatte.

8. Juni 1790. „Der dreißigjährige Krieg, den ich in Goeschens Kalender
mache und der in den ersten Wochen des August fertig sein muß. nimmt mir
jetzt alle Stunden ein. und ich kann kaum zu Athem kommen." — 12. Sept.
„Endlich bin ich mit der beschwerlichen Arbeit zu Ende, aber nicht weiter ge¬
kommen als bis zur breitenftlt'er Schlacht, Beschlossen wird er im künftigen


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[0510] Verständniß des allgemeinen Ganges in der Literatur. Noch sind wir im Jahr 1792, von einer romantischen Schule ist noch nicht die Rede, und schon sehen wir einen der beiden Führer sich gleichzeitig dem Gefühl für das spe¬ cifisch Mittelalterliche und dem für das Classische ausschließen. Der Prag¬ matismus der damaligen Geschichtschreibung war, wie die Aufklärung, durch¬ aus modern, die frühern Zeitalter galten nur als Vorstufen für dasjenige, „wo wir es zuletzt so herrlich weit gebracht." Die Dichtung, geleitet von der Philo¬ logie, eröffnete zuerst die Perspective in das Griechenthum; dann, ohne solche Hilfe, aber von demselben Idealismus geleitet, in das Mittelalter. Die Herrschaft der Idee ist das Größte der Menschheit, so folgerte neben Schiller auch Fichte; dieselbe transcendentale Auffassung, die über die Greuel der Re¬ volution wegsah, zeigte auch die finstern Gestalten des Ritterthums in neuem Licht. Als die Schlegel seit 1803 diesen Standpunkt einseitig festhielten, konn¬ ten sie sich im Grund auf das Vorbild ihrer classischen Vorgänger berufen, die denn auch nicht verfehlten, Calderon wetteifernd mit ihnen zu preisen, die Jungfrau von Orleans zu Ehren zu bringen und neben Kassandra Fridolin und den Johanniter zu Gegenständen ihrer Dichtung zu wählen. Bilder und Ideen suchten sie für den Fortschritt der Cultur; beides fanden sie im Mittel¬ alter wie in Griechenland, nur daß die Kenntniß des erstern ihnen ferner lag, und sie daher den Alten unbefangener huldigen durften. Die historischen Vorlesungen hatte Schiller längst aufgegeben; er las über die Tragödie, um sich allmälig wieder zur Dichtung vorzubereiten. „Es kleidet sich wieder um mich herum (16. Mai 1790) in dichterische Gestalten, und oft regt sichs in meiner Brust. Das akademische Karrenführen soll mir doch nie etwas anhaben. Freilich, zu einem musterhaften Professor werde ich mich nie qualificiren, aber dazu hat mich die Vorsehung auch nicht bestimmt." Zwar schreibt er noch 26 Nov. 1790: „Ich sehe nicht ein, warum ich nicht, wenn ich ernstlich will, der erste Geschichtschreiber Deutschlands werden kann;" auch trägt er sich mit einem deutschen Plutarch: „Es vereinigt sich fast alles in diesem Werk, was das Glück eines Buchs machen kann, und was meinen in¬ dividuellen Kräften entspricht. Kleine, mir nicht schwer zu übersehende Ganze, und Abwechselung, kunstmäßige Darstellung, philosophische und moralische Behand¬ lung." Aber von diesen Plänen kam nur die Geschichte des dreißigjährigen Kriegs zur Ausführung, die ihn, wie wir wissen, schon in Dresden 1786 be¬ schäftigt hatte. 8. Juni 1790. „Der dreißigjährige Krieg, den ich in Goeschens Kalender mache und der in den ersten Wochen des August fertig sein muß. nimmt mir jetzt alle Stunden ein. und ich kann kaum zu Athem kommen." — 12. Sept. „Endlich bin ich mit der beschwerlichen Arbeit zu Ende, aber nicht weiter ge¬ kommen als bis zur breitenftlt'er Schlacht, Beschlossen wird er im künftigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/510>, abgerufen am 22.12.2024.