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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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zu leben, wo ein Kraftaufwand, ein Heroismus, wie er in jenem Orden sich
äußert, ebenso überflüssig als unmöglich ist; aber... der verachtende Blick,
den wir gewohnt sind aus jene Periode des Aberglaubens zu werfen, ver¬
räth weniger den rühmlichen Stolz der sich fühlenden Stärke, als den klein¬
lichen Triumph der Schwäche, die durch einen urmächtigen Spott die Be¬
schämung rächt, die das höhere Verdienst ihr abnöthigte ... Der Vorzug
hellerer Begriffe -- wenn wir ihn wirklich zu erweisen im Stande sind, kostet
uns das wichtige Opfer praktischer Tugend. Dieselbe Cultur, welche in unserm
Gehirn das Feuer eines fanatischen Eifers auslöschte, hat zugleich die Glut
der Begeisterung in unserm Herzen erstickt, den Schwung der Gesinnungen ge¬
lähmt, die thatenreifende Energie des Charakters vernichtet. Die Heroen des
M. A. setzten an einen Wahn, eben weil er ihnen Weisheit war, Blut,
Leben und Eigenthum; so schlecht ihre Vernunft belehrt war, so heldenmäßig
gehorchten sie ihren höchsten Gesetzen -- und können wir. ihre verfeinerten
Enkel, uns wol rühmen, daß wir an unsere Weisheit nur halb so viel als
sie an ihre Thorheit wagen?. . . Derselbe excentrische Flug der Einbildungs¬
kraft, der den kalten Politiker an jenem Zeitalter irremacht, findet an dem
Moralphilosophen einen weit billigern Richter, ja nicht selten einen Bewun¬
derer . . . Waren gleich die Zeiten der Kreuzzüge ein langer trauriger Still¬
stand in der Cultur, ein Rückfall in die vorige Wildheit, so war die Mensch¬
heit doch offenbar ihrer höchsten Würde nie vorher so nahe gewesen als sie
es damals war, wenn es anders entschieden ist, daß nur die Herrschaft seiner
Ideen über seine Gefühle dem Menschen Würde verleiht. Die Willigkeit des
Gemüthes, sich von übersinnlichen Triebfedern leiten zu lassen, dieses edelste
aller menschlichen Vermögen, söhnt den philosophischen Beurtheiler mit allen
rohen Geburten eines unmündigen Verstandes, einer gesetzlosen Sinnlichkeit
aus . . . Suchte doch der Mensch schon seit Jahrtausenden den Gesetzgeber
über den Sternen, der in seinem eignen Busen wohnt -- warum diesen Hel¬
den es verargen, daß sie die Sanction einer Menschenpflicht von einem Apostel
entlehnen? . . . Fühle man noch so sehr das Widersinnige eines Glaubens,
der für die Scheingüter einer schwärmenden Einbildungskraft, für leblose
Heiligthiimer zu bluten befiehlt -- wer kann der heroischen Treue, womit
diesem Wahnglauben von den geistlichen Rittern Gehorsam geleistet wird, seine
Achtung versagen? ... Der Grieche, der Römer kämpfte für seine Existenz,
für zeitliche Güter, für das begeisternde Phantom der Weltherrschaft und der
Ehre, kämpfte vor den Augen eines dankbaren Vaterlandes, das ihm den
Lorbeer schon von fern zeigte: -- der Muth jener christlichen Helden entbehrte
dieser Hilfe und hatte keine andere Nahrung als sein eignes unerschöpfliches
Feuer."

Solche Uebergänge in der Stimmung sind von hoher Wichtigkeit für das


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zu leben, wo ein Kraftaufwand, ein Heroismus, wie er in jenem Orden sich
äußert, ebenso überflüssig als unmöglich ist; aber... der verachtende Blick,
den wir gewohnt sind aus jene Periode des Aberglaubens zu werfen, ver¬
räth weniger den rühmlichen Stolz der sich fühlenden Stärke, als den klein¬
lichen Triumph der Schwäche, die durch einen urmächtigen Spott die Be¬
schämung rächt, die das höhere Verdienst ihr abnöthigte ... Der Vorzug
hellerer Begriffe — wenn wir ihn wirklich zu erweisen im Stande sind, kostet
uns das wichtige Opfer praktischer Tugend. Dieselbe Cultur, welche in unserm
Gehirn das Feuer eines fanatischen Eifers auslöschte, hat zugleich die Glut
der Begeisterung in unserm Herzen erstickt, den Schwung der Gesinnungen ge¬
lähmt, die thatenreifende Energie des Charakters vernichtet. Die Heroen des
M. A. setzten an einen Wahn, eben weil er ihnen Weisheit war, Blut,
Leben und Eigenthum; so schlecht ihre Vernunft belehrt war, so heldenmäßig
gehorchten sie ihren höchsten Gesetzen — und können wir. ihre verfeinerten
Enkel, uns wol rühmen, daß wir an unsere Weisheit nur halb so viel als
sie an ihre Thorheit wagen?. . . Derselbe excentrische Flug der Einbildungs¬
kraft, der den kalten Politiker an jenem Zeitalter irremacht, findet an dem
Moralphilosophen einen weit billigern Richter, ja nicht selten einen Bewun¬
derer . . . Waren gleich die Zeiten der Kreuzzüge ein langer trauriger Still¬
stand in der Cultur, ein Rückfall in die vorige Wildheit, so war die Mensch¬
heit doch offenbar ihrer höchsten Würde nie vorher so nahe gewesen als sie
es damals war, wenn es anders entschieden ist, daß nur die Herrschaft seiner
Ideen über seine Gefühle dem Menschen Würde verleiht. Die Willigkeit des
Gemüthes, sich von übersinnlichen Triebfedern leiten zu lassen, dieses edelste
aller menschlichen Vermögen, söhnt den philosophischen Beurtheiler mit allen
rohen Geburten eines unmündigen Verstandes, einer gesetzlosen Sinnlichkeit
aus . . . Suchte doch der Mensch schon seit Jahrtausenden den Gesetzgeber
über den Sternen, der in seinem eignen Busen wohnt — warum diesen Hel¬
den es verargen, daß sie die Sanction einer Menschenpflicht von einem Apostel
entlehnen? . . . Fühle man noch so sehr das Widersinnige eines Glaubens,
der für die Scheingüter einer schwärmenden Einbildungskraft, für leblose
Heiligthiimer zu bluten befiehlt — wer kann der heroischen Treue, womit
diesem Wahnglauben von den geistlichen Rittern Gehorsam geleistet wird, seine
Achtung versagen? ... Der Grieche, der Römer kämpfte für seine Existenz,
für zeitliche Güter, für das begeisternde Phantom der Weltherrschaft und der
Ehre, kämpfte vor den Augen eines dankbaren Vaterlandes, das ihm den
Lorbeer schon von fern zeigte: — der Muth jener christlichen Helden entbehrte
dieser Hilfe und hatte keine andere Nahrung als sein eignes unerschöpfliches
Feuer."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/509>, abgerufen am 22.12.2024.