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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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noscirungsdetachement eigentlich erfahren hat. Möglicherweise aber konnte
ihm dasselbe berichten, daß die Franzosen bei Alessandria und in dessen Um¬
gegend noch nicht bereit seien, etwas von Bedeutung zu unternehmen. Dies,
zusammengehalten mit den Erschwerungen, welche die Hochwasser einem Ueber¬
gang auf die Südseite des Po entgegenstellten, vielleicht selbst mit Gewissens¬
bissen, weil er nicht von vornherein auf die Südseite gegangen war und weil
er nun seinen Kopf aufsetzen wollte, um zu beweisen, daß überhaupt die Nord¬
seite die rechte sei, dies also bewog ihn, wieder einmal einen andern Versuch
zu machen.

Am 7. verlegte Giulay sein Hauptquartier von Lomello nach Mortara,
am 8. von Mortara nach Vercelli, er zog Truppen von seinem linken Flügel
auf den rechten, von der Polinie an die Sesialinie; er wollte einen Schlag
gegen die Linie der Dora baltea führen, an welcher damals ein oder zwei
piemontefische Divisionen und die Anfänge eines französischen Corps standen.

Doch blieb es auch hier bei bloßen Anfangen, Detachements, welche zum
Theil bis Jvrea, überhaupt an die Dora streiften, gleichzeitigen Demonstratio-
nen gegen die Polinie oberhalb der Sesiamündung, um durch diese die Be¬
wegung an die Linie der Dora baltea zu decken.

Bald fand sich eine neue Aenderung: am 10. Mai, dem gleichen Tage,
an welchem der Kaiser der Franzosen von Paris abging, verlegte Giulay sein
Hauptquartier von Vercelli nach Mortara zurück. Der pariser Telegraph und
einige Berichte der Detachements am rechten Poufer, daß die Franzosen sich
dort verstärkten, wirkten zusammen.

Am 19. ging das Hauptquartier der Oestreicher von Mortara nach Gar-
lasco, dahin, woher es gekommen. Eine große Recognoscirung auf dem
rechten Ufer des Po war angeordnet; etwa 25.000 M. waren für dieselbe ver¬
fügbar gemacht. Diese Recognoscirung führte zu dem Gefecht von Montebello.
in welchem die Oestreicher nach ihren eignen Angaben etwa 1300 M. verloren.

Diese Rccognoscirungswuth ist ein wahrer Fluch für die Oestreicher.
In der Bibel heißt es irgendwo: "Selig sind diejenigen, welche nicht sehen
und doch glauben." Entweder sind die Oestreicher nicht so bibelsche, als ich
es -- in aller Demuth -- bin. oder sie glauben nicht so fest an die Bibel,
als ich. Ich, für meine Person, kann mir keinen deutschen General denken,
der nicht jeden Morgen sein Capitel aus Luthers Bibelübersetzung mit Andacht
und Verständniß durchliest. Alle andern sind pure Stümper. Giulay scheint
keine Lutherische Bibelübersetzung zu haben. Wozu muß man denn immer
1200 oder 1300 M. auf die Schlachtbank führen, um nicht einmal das zu
erfahren, was man ohne dieses Opfer mit der Bibel in der Hand und im
Herzen jedenfalls wissen konnte? Wir werden weiterhin sehen, wohin dieser
R. antideutsche concordcitliche Unglaube führt.




noscirungsdetachement eigentlich erfahren hat. Möglicherweise aber konnte
ihm dasselbe berichten, daß die Franzosen bei Alessandria und in dessen Um¬
gegend noch nicht bereit seien, etwas von Bedeutung zu unternehmen. Dies,
zusammengehalten mit den Erschwerungen, welche die Hochwasser einem Ueber¬
gang auf die Südseite des Po entgegenstellten, vielleicht selbst mit Gewissens¬
bissen, weil er nicht von vornherein auf die Südseite gegangen war und weil
er nun seinen Kopf aufsetzen wollte, um zu beweisen, daß überhaupt die Nord¬
seite die rechte sei, dies also bewog ihn, wieder einmal einen andern Versuch
zu machen.

Am 7. verlegte Giulay sein Hauptquartier von Lomello nach Mortara,
am 8. von Mortara nach Vercelli, er zog Truppen von seinem linken Flügel
auf den rechten, von der Polinie an die Sesialinie; er wollte einen Schlag
gegen die Linie der Dora baltea führen, an welcher damals ein oder zwei
piemontefische Divisionen und die Anfänge eines französischen Corps standen.

Doch blieb es auch hier bei bloßen Anfangen, Detachements, welche zum
Theil bis Jvrea, überhaupt an die Dora streiften, gleichzeitigen Demonstratio-
nen gegen die Polinie oberhalb der Sesiamündung, um durch diese die Be¬
wegung an die Linie der Dora baltea zu decken.

Bald fand sich eine neue Aenderung: am 10. Mai, dem gleichen Tage,
an welchem der Kaiser der Franzosen von Paris abging, verlegte Giulay sein
Hauptquartier von Vercelli nach Mortara zurück. Der pariser Telegraph und
einige Berichte der Detachements am rechten Poufer, daß die Franzosen sich
dort verstärkten, wirkten zusammen.

Am 19. ging das Hauptquartier der Oestreicher von Mortara nach Gar-
lasco, dahin, woher es gekommen. Eine große Recognoscirung auf dem
rechten Ufer des Po war angeordnet; etwa 25.000 M. waren für dieselbe ver¬
fügbar gemacht. Diese Recognoscirung führte zu dem Gefecht von Montebello.
in welchem die Oestreicher nach ihren eignen Angaben etwa 1300 M. verloren.

Diese Rccognoscirungswuth ist ein wahrer Fluch für die Oestreicher.
In der Bibel heißt es irgendwo: „Selig sind diejenigen, welche nicht sehen
und doch glauben." Entweder sind die Oestreicher nicht so bibelsche, als ich
es — in aller Demuth — bin. oder sie glauben nicht so fest an die Bibel,
als ich. Ich, für meine Person, kann mir keinen deutschen General denken,
der nicht jeden Morgen sein Capitel aus Luthers Bibelübersetzung mit Andacht
und Verständniß durchliest. Alle andern sind pure Stümper. Giulay scheint
keine Lutherische Bibelübersetzung zu haben. Wozu muß man denn immer
1200 oder 1300 M. auf die Schlachtbank führen, um nicht einmal das zu
erfahren, was man ohne dieses Opfer mit der Bibel in der Hand und im
Herzen jedenfalls wissen konnte? Wir werden weiterhin sehen, wohin dieser
R. antideutsche concordcitliche Unglaube führt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/486>, abgerufen am 22.12.2024.