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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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ferne zu meinen, daß Oestreich durch sein Ultimatum erst den Krieg unver¬
meidlich gemacht habe-, aber sie können nicht umhin zu bedauern, daß dasselbe
gegen den Willen und den Rath Englands und Preußens gestellt ward, welche
die Weltlage zu den natürlichen Verbündeten Oestreichs macht.

Durch das Ultimatum erklärte Oestreich: 1'^ustrig. tara äa hö. Es
gab seinen natürlichen Verbündeten, wenn nicht den Anlaß, so den Vorwand,
sich in den Schmollwinkel zurückzuziehen, um mürrisch und vielleicht selbst ohne
Interesse für Oestreich, vielleicht schadenfroh, dem Schauspiel zuzusehen, welches
auf den Feldern Italiens in Scene gesetzt ward. Hatte Oestreich geglaubt, seine
natürlichen Verbündeten durch seinen Schritt in den Krieg mit hineinreißen
zu können? Wir vermögen uns das nicht zu denken. Wir sehen allerdings
kaum ein, wie auf die Dauer England und Preußen und mit diesem das
übrige Deutschland ihre Neutralität werden bewahren können. Aber wol
scheint es uns möglich, daß sie zu spät -- insbesondere zu spät für Oestreich
-- auf die Bühne treten. Und wol schien es uns möglich, daß mit etwas
mehr Geduld und Entgegenkommen Oestreich sich die Unterstützung Englands,
Preußens, Deutschlands schon für den Beginn des Kampfes sichern konnte.

Da der Krieg nichts Anderes ist als Gewaltpolitik, so ist erste Bedingung
für den Erfolg im Kriege, daß das militärische Verfahren dem politischen oder
diplomatischen Verfahren entspreche. Ist dies aus östreichischer Seite der
Fall gewesen? Wir haben gestern von dem ersten großen Schlage gehört, der
am 4. Juni in Italien gefallen ist. Diese erste große Schlacht, welche von
den Franzosen wahrscheinlich die Schlacht von Magenta genannt werden wird,
doppelt so, weil der Name an Marengo erinnert, mit dem er fast alle Buch¬
staben gemein hat, ist bereits aus den Feldern der Lombardei geliefert worden
und soll eine entschiedene Niederlage der Oestreicher sein. Dann stände Mai¬
land wol Napoleon dem Dritten offen und wieder einmal würden die Linien
der Etsch und des Mincio der Schauplatz der Hauptentscheidung werden.

Doch wir wollen von diesem Kampfe noch nicht reden; es ist erst eine
bloße Skizze von einer Nachricht über den Sieg bei Magenta zu uns gedrungen,
und bei genauerer Ansicht kann sich manches ganz anders stellen, als wir es
uns heute denken. Wir wollen nur an demjenigen, was vorhergegangen ist,
prüfen, ob Oestreichs militärisches Verfahren dem diplomatischen entsprochen hat.

Sollte dies der Fall sein, so mußte ein kriegerisches Ultimatum, ein gro¬
ßer Sieg über die Piemontesen oder über ihre Verbündeten oder über beide
dem diplomatischen Ultimatum auf dem Füße folgen. Dieser Sieg ist aus¬
geblieben, und vor allen Dingen sehen wir auch nicht einmal den Ansatz zu
ihm, Schwanken und Unentschlossenheit begegnen uns bald überall auf östrei¬
chischer Seite.

Auf denselben Punkten, aus welchen Radetzki 1849 den Tessin überschritt,


ferne zu meinen, daß Oestreich durch sein Ultimatum erst den Krieg unver¬
meidlich gemacht habe-, aber sie können nicht umhin zu bedauern, daß dasselbe
gegen den Willen und den Rath Englands und Preußens gestellt ward, welche
die Weltlage zu den natürlichen Verbündeten Oestreichs macht.

Durch das Ultimatum erklärte Oestreich: 1'^ustrig. tara äa hö. Es
gab seinen natürlichen Verbündeten, wenn nicht den Anlaß, so den Vorwand,
sich in den Schmollwinkel zurückzuziehen, um mürrisch und vielleicht selbst ohne
Interesse für Oestreich, vielleicht schadenfroh, dem Schauspiel zuzusehen, welches
auf den Feldern Italiens in Scene gesetzt ward. Hatte Oestreich geglaubt, seine
natürlichen Verbündeten durch seinen Schritt in den Krieg mit hineinreißen
zu können? Wir vermögen uns das nicht zu denken. Wir sehen allerdings
kaum ein, wie auf die Dauer England und Preußen und mit diesem das
übrige Deutschland ihre Neutralität werden bewahren können. Aber wol
scheint es uns möglich, daß sie zu spät — insbesondere zu spät für Oestreich
— auf die Bühne treten. Und wol schien es uns möglich, daß mit etwas
mehr Geduld und Entgegenkommen Oestreich sich die Unterstützung Englands,
Preußens, Deutschlands schon für den Beginn des Kampfes sichern konnte.

Da der Krieg nichts Anderes ist als Gewaltpolitik, so ist erste Bedingung
für den Erfolg im Kriege, daß das militärische Verfahren dem politischen oder
diplomatischen Verfahren entspreche. Ist dies aus östreichischer Seite der
Fall gewesen? Wir haben gestern von dem ersten großen Schlage gehört, der
am 4. Juni in Italien gefallen ist. Diese erste große Schlacht, welche von
den Franzosen wahrscheinlich die Schlacht von Magenta genannt werden wird,
doppelt so, weil der Name an Marengo erinnert, mit dem er fast alle Buch¬
staben gemein hat, ist bereits aus den Feldern der Lombardei geliefert worden
und soll eine entschiedene Niederlage der Oestreicher sein. Dann stände Mai¬
land wol Napoleon dem Dritten offen und wieder einmal würden die Linien
der Etsch und des Mincio der Schauplatz der Hauptentscheidung werden.

Doch wir wollen von diesem Kampfe noch nicht reden; es ist erst eine
bloße Skizze von einer Nachricht über den Sieg bei Magenta zu uns gedrungen,
und bei genauerer Ansicht kann sich manches ganz anders stellen, als wir es
uns heute denken. Wir wollen nur an demjenigen, was vorhergegangen ist,
prüfen, ob Oestreichs militärisches Verfahren dem diplomatischen entsprochen hat.

Sollte dies der Fall sein, so mußte ein kriegerisches Ultimatum, ein gro¬
ßer Sieg über die Piemontesen oder über ihre Verbündeten oder über beide
dem diplomatischen Ultimatum auf dem Füße folgen. Dieser Sieg ist aus¬
geblieben, und vor allen Dingen sehen wir auch nicht einmal den Ansatz zu
ihm, Schwanken und Unentschlossenheit begegnen uns bald überall auf östrei¬
chischer Seite.

Auf denselben Punkten, aus welchen Radetzki 1849 den Tessin überschritt,


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[0482] ferne zu meinen, daß Oestreich durch sein Ultimatum erst den Krieg unver¬ meidlich gemacht habe-, aber sie können nicht umhin zu bedauern, daß dasselbe gegen den Willen und den Rath Englands und Preußens gestellt ward, welche die Weltlage zu den natürlichen Verbündeten Oestreichs macht. Durch das Ultimatum erklärte Oestreich: 1'^ustrig. tara äa hö. Es gab seinen natürlichen Verbündeten, wenn nicht den Anlaß, so den Vorwand, sich in den Schmollwinkel zurückzuziehen, um mürrisch und vielleicht selbst ohne Interesse für Oestreich, vielleicht schadenfroh, dem Schauspiel zuzusehen, welches auf den Feldern Italiens in Scene gesetzt ward. Hatte Oestreich geglaubt, seine natürlichen Verbündeten durch seinen Schritt in den Krieg mit hineinreißen zu können? Wir vermögen uns das nicht zu denken. Wir sehen allerdings kaum ein, wie auf die Dauer England und Preußen und mit diesem das übrige Deutschland ihre Neutralität werden bewahren können. Aber wol scheint es uns möglich, daß sie zu spät — insbesondere zu spät für Oestreich — auf die Bühne treten. Und wol schien es uns möglich, daß mit etwas mehr Geduld und Entgegenkommen Oestreich sich die Unterstützung Englands, Preußens, Deutschlands schon für den Beginn des Kampfes sichern konnte. Da der Krieg nichts Anderes ist als Gewaltpolitik, so ist erste Bedingung für den Erfolg im Kriege, daß das militärische Verfahren dem politischen oder diplomatischen Verfahren entspreche. Ist dies aus östreichischer Seite der Fall gewesen? Wir haben gestern von dem ersten großen Schlage gehört, der am 4. Juni in Italien gefallen ist. Diese erste große Schlacht, welche von den Franzosen wahrscheinlich die Schlacht von Magenta genannt werden wird, doppelt so, weil der Name an Marengo erinnert, mit dem er fast alle Buch¬ staben gemein hat, ist bereits aus den Feldern der Lombardei geliefert worden und soll eine entschiedene Niederlage der Oestreicher sein. Dann stände Mai¬ land wol Napoleon dem Dritten offen und wieder einmal würden die Linien der Etsch und des Mincio der Schauplatz der Hauptentscheidung werden. Doch wir wollen von diesem Kampfe noch nicht reden; es ist erst eine bloße Skizze von einer Nachricht über den Sieg bei Magenta zu uns gedrungen, und bei genauerer Ansicht kann sich manches ganz anders stellen, als wir es uns heute denken. Wir wollen nur an demjenigen, was vorhergegangen ist, prüfen, ob Oestreichs militärisches Verfahren dem diplomatischen entsprochen hat. Sollte dies der Fall sein, so mußte ein kriegerisches Ultimatum, ein gro¬ ßer Sieg über die Piemontesen oder über ihre Verbündeten oder über beide dem diplomatischen Ultimatum auf dem Füße folgen. Dieser Sieg ist aus¬ geblieben, und vor allen Dingen sehen wir auch nicht einmal den Ansatz zu ihm, Schwanken und Unentschlossenheit begegnen uns bald überall auf östrei¬ chischer Seite. Auf denselben Punkten, aus welchen Radetzki 1849 den Tessin überschritt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/482>, abgerufen am 22.12.2024.