Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

"Glaube mir, schreibt ihm Körner 17. Nov.*), dein Vortrag ist zu gut für
diese Menschen. Sie wollen als Schüler behandelt sein. Lernen ist ihr Zweck,
nicht Denken und Genießen . . . In einer Hauptstadt für einen Cirkel gebil¬
deter Menschen, die den philosophischen Geist und die Schönheit der Dar¬
stellung in der Geschichte zu schätzen wissen, wären deine Vorlesungen an ihrem
Platz . . . Preußischer Historiograph und Mitglied der Akademie, das ist die
Stelle, die ich dir wünsche." Schiller sieht sich in der That nach dieser Seite
um, auch in Mainz: "Ich wollte es (11. Dec.) in meinen letzten Briefen nur
nicht grade heraussagen, daß mir dies Professorleben herzlich verleidet ist."
..Gegenwärtig (26. März 1790) fehlt es mir sehr an einer angenehmen und
befriedigenden Geistesarbeit; die Memoires, die Collegien, die Beiträge zur
Thalia nehmen meine ganze Zeit, und mein Kops ist überladen, ohne Genuß
dabei zu haben. Wie sehne ich mich nach einer ruhigen und selbstgewählten
Beschäftigung!" -- Die historischen Collegien wichen auch bald ästhetischen;
durch eine Krankheit wurden sie dann ganz unterbrochen.

Wie nun der junge Professor seinen Studenten Geschichte vortrug, läßt
sich noch ziemlich genau verfolgen, da Schiller, dem es darauf ankam, seine
Studien so schnell und so vielseitig als möglich zu verwerthen, bald darauf
einen guten Theil seiner Vorlesungen, theils im Merkur, theils in der Thalia
abdrucken ließ. Zwar hatte er dieselben sorgfältiger überarbeitet, da man
doch "dem Publicum nicht etwas so Leichtes bieten dürfe, als den jungen
Musensöhnen," allein es ist zweifelhaft, ob diese Ueberarbeitung durchweg eine
Verbesserung war. Auch in Bezug aus die ästhetischen Abhandlungen machen
wir die Bemerkung, daß die erste unmittelbare Form in den Briefen oft viel
sachgemäßer ist, als die stilisirte für das Publicum; in diesen universalhisto-
rischen Fragmenten finden sich die hochklingenden Perioden ohne bestimmten
Inhalt, schmückende Beiworte, die nichts charakterisiren und gemachte Dekla¬
mationen noch viel zahlreicher als in der Einleitung zur niederländischen Re¬
bellion. Nicht etwa als ob diese Rhetorik in Schillers Absicht gelegen hätte,
im Gegentheil erkannte er schon damals sehr deutlich, daß Simplicität das
höchste Streben des historischen Stils sein müsse; aber zur Simplicität gehört
eine vollständige und tief eindringende Kenntniß, die dem Schriftsteller in jedem
Augenblick das treffende Wort eingibt. Den Mangel an vollständiger Kennt¬
niß kann man nur dadurch ersetzen, daß man sich ein sehr genaues Bewußt-



") Vorher hatte er ihm schon (31, März) bemerkt- "Es scheint dir mit der Geschichte zu
gehn wie mit andern Dingen, die du nebenher treiben wolltest, die aber unvermerkt eine
Leidenschaft in dir erweckten, die mit deinen Verhältnissen collidirte. Dein Ideal von Universal¬
geschichte ist vortrefflich, aber um es zu deiner Befriedigung zu erreichen, müßtest du aller an¬
dern Thätigkeit absterben. Es fordert den ganzen Mann durch ein ganzes Menschenleben.
Es sei sern von mir, dir den Gesichtspunkt zu verleiden, wodurch du dir deine jeßige Haupt¬
beschäftigung anziehender machst!" u. s, w.
Grenzboten II. 18os. 58

„Glaube mir, schreibt ihm Körner 17. Nov.*), dein Vortrag ist zu gut für
diese Menschen. Sie wollen als Schüler behandelt sein. Lernen ist ihr Zweck,
nicht Denken und Genießen . . . In einer Hauptstadt für einen Cirkel gebil¬
deter Menschen, die den philosophischen Geist und die Schönheit der Dar¬
stellung in der Geschichte zu schätzen wissen, wären deine Vorlesungen an ihrem
Platz . . . Preußischer Historiograph und Mitglied der Akademie, das ist die
Stelle, die ich dir wünsche." Schiller sieht sich in der That nach dieser Seite
um, auch in Mainz: „Ich wollte es (11. Dec.) in meinen letzten Briefen nur
nicht grade heraussagen, daß mir dies Professorleben herzlich verleidet ist."
..Gegenwärtig (26. März 1790) fehlt es mir sehr an einer angenehmen und
befriedigenden Geistesarbeit; die Memoires, die Collegien, die Beiträge zur
Thalia nehmen meine ganze Zeit, und mein Kops ist überladen, ohne Genuß
dabei zu haben. Wie sehne ich mich nach einer ruhigen und selbstgewählten
Beschäftigung!" — Die historischen Collegien wichen auch bald ästhetischen;
durch eine Krankheit wurden sie dann ganz unterbrochen.

Wie nun der junge Professor seinen Studenten Geschichte vortrug, läßt
sich noch ziemlich genau verfolgen, da Schiller, dem es darauf ankam, seine
Studien so schnell und so vielseitig als möglich zu verwerthen, bald darauf
einen guten Theil seiner Vorlesungen, theils im Merkur, theils in der Thalia
abdrucken ließ. Zwar hatte er dieselben sorgfältiger überarbeitet, da man
doch „dem Publicum nicht etwas so Leichtes bieten dürfe, als den jungen
Musensöhnen," allein es ist zweifelhaft, ob diese Ueberarbeitung durchweg eine
Verbesserung war. Auch in Bezug aus die ästhetischen Abhandlungen machen
wir die Bemerkung, daß die erste unmittelbare Form in den Briefen oft viel
sachgemäßer ist, als die stilisirte für das Publicum; in diesen universalhisto-
rischen Fragmenten finden sich die hochklingenden Perioden ohne bestimmten
Inhalt, schmückende Beiworte, die nichts charakterisiren und gemachte Dekla¬
mationen noch viel zahlreicher als in der Einleitung zur niederländischen Re¬
bellion. Nicht etwa als ob diese Rhetorik in Schillers Absicht gelegen hätte,
im Gegentheil erkannte er schon damals sehr deutlich, daß Simplicität das
höchste Streben des historischen Stils sein müsse; aber zur Simplicität gehört
eine vollständige und tief eindringende Kenntniß, die dem Schriftsteller in jedem
Augenblick das treffende Wort eingibt. Den Mangel an vollständiger Kennt¬
niß kann man nur dadurch ersetzen, daß man sich ein sehr genaues Bewußt-



") Vorher hatte er ihm schon (31, März) bemerkt- „Es scheint dir mit der Geschichte zu
gehn wie mit andern Dingen, die du nebenher treiben wolltest, die aber unvermerkt eine
Leidenschaft in dir erweckten, die mit deinen Verhältnissen collidirte. Dein Ideal von Universal¬
geschichte ist vortrefflich, aber um es zu deiner Befriedigung zu erreichen, müßtest du aller an¬
dern Thätigkeit absterben. Es fordert den ganzen Mann durch ein ganzes Menschenleben.
Es sei sern von mir, dir den Gesichtspunkt zu verleiden, wodurch du dir deine jeßige Haupt¬
beschäftigung anziehender machst!" u. s, w.
Grenzboten II. 18os. 58
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0467" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107514"/>
          <p xml:id="ID_1411" prev="#ID_1410"> &#x201E;Glaube mir, schreibt ihm Körner 17. Nov.*), dein Vortrag ist zu gut für<lb/>
diese Menschen. Sie wollen als Schüler behandelt sein. Lernen ist ihr Zweck,<lb/>
nicht Denken und Genießen . . . In einer Hauptstadt für einen Cirkel gebil¬<lb/>
deter Menschen, die den philosophischen Geist und die Schönheit der Dar¬<lb/>
stellung in der Geschichte zu schätzen wissen, wären deine Vorlesungen an ihrem<lb/>
Platz . . . Preußischer Historiograph und Mitglied der Akademie, das ist die<lb/>
Stelle, die ich dir wünsche." Schiller sieht sich in der That nach dieser Seite<lb/>
um, auch in Mainz: &#x201E;Ich wollte es (11. Dec.) in meinen letzten Briefen nur<lb/>
nicht grade heraussagen, daß mir dies Professorleben herzlich verleidet ist."<lb/>
..Gegenwärtig (26. März 1790) fehlt es mir sehr an einer angenehmen und<lb/>
befriedigenden Geistesarbeit; die Memoires, die Collegien, die Beiträge zur<lb/>
Thalia nehmen meine ganze Zeit, und mein Kops ist überladen, ohne Genuß<lb/>
dabei zu haben. Wie sehne ich mich nach einer ruhigen und selbstgewählten<lb/>
Beschäftigung!" &#x2014; Die historischen Collegien wichen auch bald ästhetischen;<lb/>
durch eine Krankheit wurden sie dann ganz unterbrochen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1412" next="#ID_1413"> Wie nun der junge Professor seinen Studenten Geschichte vortrug, läßt<lb/>
sich noch ziemlich genau verfolgen, da Schiller, dem es darauf ankam, seine<lb/>
Studien so schnell und so vielseitig als möglich zu verwerthen, bald darauf<lb/>
einen guten Theil seiner Vorlesungen, theils im Merkur, theils in der Thalia<lb/>
abdrucken ließ. Zwar hatte er dieselben sorgfältiger überarbeitet, da man<lb/>
doch &#x201E;dem Publicum nicht etwas so Leichtes bieten dürfe, als den jungen<lb/>
Musensöhnen," allein es ist zweifelhaft, ob diese Ueberarbeitung durchweg eine<lb/>
Verbesserung war. Auch in Bezug aus die ästhetischen Abhandlungen machen<lb/>
wir die Bemerkung, daß die erste unmittelbare Form in den Briefen oft viel<lb/>
sachgemäßer ist, als die stilisirte für das Publicum; in diesen universalhisto-<lb/>
rischen Fragmenten finden sich die hochklingenden Perioden ohne bestimmten<lb/>
Inhalt, schmückende Beiworte, die nichts charakterisiren und gemachte Dekla¬<lb/>
mationen noch viel zahlreicher als in der Einleitung zur niederländischen Re¬<lb/>
bellion. Nicht etwa als ob diese Rhetorik in Schillers Absicht gelegen hätte,<lb/>
im Gegentheil erkannte er schon damals sehr deutlich, daß Simplicität das<lb/>
höchste Streben des historischen Stils sein müsse; aber zur Simplicität gehört<lb/>
eine vollständige und tief eindringende Kenntniß, die dem Schriftsteller in jedem<lb/>
Augenblick das treffende Wort eingibt. Den Mangel an vollständiger Kennt¬<lb/>
niß kann man nur dadurch ersetzen, daß man sich ein sehr genaues Bewußt-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_46" place="foot"> ") Vorher hatte er ihm schon (31, März) bemerkt- &#x201E;Es scheint dir mit der Geschichte zu<lb/>
gehn wie mit andern Dingen, die du nebenher treiben wolltest, die aber unvermerkt eine<lb/>
Leidenschaft in dir erweckten, die mit deinen Verhältnissen collidirte. Dein Ideal von Universal¬<lb/>
geschichte ist vortrefflich, aber um es zu deiner Befriedigung zu erreichen, müßtest du aller an¬<lb/>
dern Thätigkeit absterben. Es fordert den ganzen Mann durch ein ganzes Menschenleben.<lb/>
Es sei sern von mir, dir den Gesichtspunkt zu verleiden, wodurch du dir deine jeßige Haupt¬<lb/>
beschäftigung anziehender machst!" u. s, w.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 18os. 58</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0467] „Glaube mir, schreibt ihm Körner 17. Nov.*), dein Vortrag ist zu gut für diese Menschen. Sie wollen als Schüler behandelt sein. Lernen ist ihr Zweck, nicht Denken und Genießen . . . In einer Hauptstadt für einen Cirkel gebil¬ deter Menschen, die den philosophischen Geist und die Schönheit der Dar¬ stellung in der Geschichte zu schätzen wissen, wären deine Vorlesungen an ihrem Platz . . . Preußischer Historiograph und Mitglied der Akademie, das ist die Stelle, die ich dir wünsche." Schiller sieht sich in der That nach dieser Seite um, auch in Mainz: „Ich wollte es (11. Dec.) in meinen letzten Briefen nur nicht grade heraussagen, daß mir dies Professorleben herzlich verleidet ist." ..Gegenwärtig (26. März 1790) fehlt es mir sehr an einer angenehmen und befriedigenden Geistesarbeit; die Memoires, die Collegien, die Beiträge zur Thalia nehmen meine ganze Zeit, und mein Kops ist überladen, ohne Genuß dabei zu haben. Wie sehne ich mich nach einer ruhigen und selbstgewählten Beschäftigung!" — Die historischen Collegien wichen auch bald ästhetischen; durch eine Krankheit wurden sie dann ganz unterbrochen. Wie nun der junge Professor seinen Studenten Geschichte vortrug, läßt sich noch ziemlich genau verfolgen, da Schiller, dem es darauf ankam, seine Studien so schnell und so vielseitig als möglich zu verwerthen, bald darauf einen guten Theil seiner Vorlesungen, theils im Merkur, theils in der Thalia abdrucken ließ. Zwar hatte er dieselben sorgfältiger überarbeitet, da man doch „dem Publicum nicht etwas so Leichtes bieten dürfe, als den jungen Musensöhnen," allein es ist zweifelhaft, ob diese Ueberarbeitung durchweg eine Verbesserung war. Auch in Bezug aus die ästhetischen Abhandlungen machen wir die Bemerkung, daß die erste unmittelbare Form in den Briefen oft viel sachgemäßer ist, als die stilisirte für das Publicum; in diesen universalhisto- rischen Fragmenten finden sich die hochklingenden Perioden ohne bestimmten Inhalt, schmückende Beiworte, die nichts charakterisiren und gemachte Dekla¬ mationen noch viel zahlreicher als in der Einleitung zur niederländischen Re¬ bellion. Nicht etwa als ob diese Rhetorik in Schillers Absicht gelegen hätte, im Gegentheil erkannte er schon damals sehr deutlich, daß Simplicität das höchste Streben des historischen Stils sein müsse; aber zur Simplicität gehört eine vollständige und tief eindringende Kenntniß, die dem Schriftsteller in jedem Augenblick das treffende Wort eingibt. Den Mangel an vollständiger Kennt¬ niß kann man nur dadurch ersetzen, daß man sich ein sehr genaues Bewußt- ") Vorher hatte er ihm schon (31, März) bemerkt- „Es scheint dir mit der Geschichte zu gehn wie mit andern Dingen, die du nebenher treiben wolltest, die aber unvermerkt eine Leidenschaft in dir erweckten, die mit deinen Verhältnissen collidirte. Dein Ideal von Universal¬ geschichte ist vortrefflich, aber um es zu deiner Befriedigung zu erreichen, müßtest du aller an¬ dern Thätigkeit absterben. Es fordert den ganzen Mann durch ein ganzes Menschenleben. Es sei sern von mir, dir den Gesichtspunkt zu verleiden, wodurch du dir deine jeßige Haupt¬ beschäftigung anziehender machst!" u. s, w. Grenzboten II. 18os. 58

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/467
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/467>, abgerufen am 23.12.2024.