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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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die Idee einer Vocation. -- Schiller schreibt an Körner, 15. Dec. 83. "Du
wirst in zwei oder drei Monaten aller Wahrscheinlichkeit nach die Nachricht
erhalten, daß ich Professor der Geschichte in Jena geworden bin. Vor einer
Stunde schickt mir Goethe das Rescript aus der Negierung, worin mir vor¬
läufige Weisung gegeben wird, mich darauf einzurichten. Man hat mich hier
übertölpelt. Meine Idee war es fast immer, aber ich wollte wenigstens ein
oder einige Jahre zu meiner bessern Vorbereitung noch verstreichen lassen. Eich¬
horns Abgang aber macht es gewissermaßen dringend, und auch für meinen
Vortheil dringend. Voigt sortirte mich, an demselben Abend ging ein Brief
an den Herzog von Weimar ab, der just in Gotha war mit Goethe; dort
wurde es gleich von ihnen eingeleitet, und bei ihrer Zurückkunst kams als
eine öffentliche Sache an die Regierung."*) "Ich bin in dem schrecklichsten
Drang, wie ich neben den vielen, vielen Arbeiten, die mir den Winter be-
vorstehn und des Geldes wegen höchst nothwendig sind, nur eine flüchtige
Vorbereitung machen kann. Goethe sagt mir zwar: Zoesnclo cliseitur, aber
die Herren wissen alle nicht, wie wenig Gelehrsamkeit bei mir vorauszusetzen
ist." 25. Dec. "Es müsse doch lächerlich sein, wenn ich in jeder Woche nicht
so viel zusammenlesen und zusammendenken könnte, um es einige Stunden
lang auf eine gefällige Art auskramen zu können. Als privg-wen räth mir
Voigt über die niederländische Rebellion zu lesen. Aber du setzest voraus, daß
mir ein Fixum ausgeworfen werden würde: darin irrst du sehr." "Mein gan¬
zes Absehn bei dieser Sache ist, in eine gewisse Rechtlichkeit und
bürgerliche Verbindung einzutreten." "Es hetzt mich während eines
Jahres in akademische Berufsgeschäfte ein und gibt mir gewissermaßen einen
gelehrten Namen, der mir nöthig ist, um gesucht zu werden. Zugleich bringt
mich die Nothwendigkeit, in die es mich versetzt, mich mit Ernst auf das Gc-
schichtssach zu legen, schneller zu einem gewissen Vorrath von Begriffen und
erleichtert mir nachher das schriftstellerische Arbeiten im historischen Fach. Bei
dem bischen Namen, den ich bereits habe, wird mir das Prädicat als jena¬
scher Professor, nebst einer oder der andern historischen Schrift doch irgendwo
eine Vocation zuziehen, die mit einem honorabeln Fixum verbunden ist." An
Lottchen, 28. Dec. "Also die schönen paar Jahre von Unabhängigkeit, die
ich mir träumte, sind dahin; mein schöner künftiger Sommer ist auch fort;
und dies alles soll mir ein heilloser Katheder ersetzen." "Ist nur erst ein
Jahr überstanden, so liest sichs alsdann im Schlafe, und ich habe meine Seele
wieder frei." "In dieser neuen Lage werde ich mir selbst lächerlich vorkom-



") In einem Conseilbericht von Goethes eigner Hand heißt es: "Ein Herr Friedrich Schiller,
welcher sich durch eine Geschichte des Abfalls der Niederlande bekannt gemacht hat, soll ge¬
neigt sein, sich an der Universität Jena zu etabliren. Die Möglichkeit dieser Acquisition dürste
um so mehr zu beachten sein, als man ihn gratis haben könnte."

die Idee einer Vocation. — Schiller schreibt an Körner, 15. Dec. 83. „Du
wirst in zwei oder drei Monaten aller Wahrscheinlichkeit nach die Nachricht
erhalten, daß ich Professor der Geschichte in Jena geworden bin. Vor einer
Stunde schickt mir Goethe das Rescript aus der Negierung, worin mir vor¬
läufige Weisung gegeben wird, mich darauf einzurichten. Man hat mich hier
übertölpelt. Meine Idee war es fast immer, aber ich wollte wenigstens ein
oder einige Jahre zu meiner bessern Vorbereitung noch verstreichen lassen. Eich¬
horns Abgang aber macht es gewissermaßen dringend, und auch für meinen
Vortheil dringend. Voigt sortirte mich, an demselben Abend ging ein Brief
an den Herzog von Weimar ab, der just in Gotha war mit Goethe; dort
wurde es gleich von ihnen eingeleitet, und bei ihrer Zurückkunst kams als
eine öffentliche Sache an die Regierung."*) „Ich bin in dem schrecklichsten
Drang, wie ich neben den vielen, vielen Arbeiten, die mir den Winter be-
vorstehn und des Geldes wegen höchst nothwendig sind, nur eine flüchtige
Vorbereitung machen kann. Goethe sagt mir zwar: Zoesnclo cliseitur, aber
die Herren wissen alle nicht, wie wenig Gelehrsamkeit bei mir vorauszusetzen
ist." 25. Dec. „Es müsse doch lächerlich sein, wenn ich in jeder Woche nicht
so viel zusammenlesen und zusammendenken könnte, um es einige Stunden
lang auf eine gefällige Art auskramen zu können. Als privg-wen räth mir
Voigt über die niederländische Rebellion zu lesen. Aber du setzest voraus, daß
mir ein Fixum ausgeworfen werden würde: darin irrst du sehr." „Mein gan¬
zes Absehn bei dieser Sache ist, in eine gewisse Rechtlichkeit und
bürgerliche Verbindung einzutreten." „Es hetzt mich während eines
Jahres in akademische Berufsgeschäfte ein und gibt mir gewissermaßen einen
gelehrten Namen, der mir nöthig ist, um gesucht zu werden. Zugleich bringt
mich die Nothwendigkeit, in die es mich versetzt, mich mit Ernst auf das Gc-
schichtssach zu legen, schneller zu einem gewissen Vorrath von Begriffen und
erleichtert mir nachher das schriftstellerische Arbeiten im historischen Fach. Bei
dem bischen Namen, den ich bereits habe, wird mir das Prädicat als jena¬
scher Professor, nebst einer oder der andern historischen Schrift doch irgendwo
eine Vocation zuziehen, die mit einem honorabeln Fixum verbunden ist." An
Lottchen, 28. Dec. „Also die schönen paar Jahre von Unabhängigkeit, die
ich mir träumte, sind dahin; mein schöner künftiger Sommer ist auch fort;
und dies alles soll mir ein heilloser Katheder ersetzen." „Ist nur erst ein
Jahr überstanden, so liest sichs alsdann im Schlafe, und ich habe meine Seele
wieder frei." „In dieser neuen Lage werde ich mir selbst lächerlich vorkom-



") In einem Conseilbericht von Goethes eigner Hand heißt es: „Ein Herr Friedrich Schiller,
welcher sich durch eine Geschichte des Abfalls der Niederlande bekannt gemacht hat, soll ge¬
neigt sein, sich an der Universität Jena zu etabliren. Die Möglichkeit dieser Acquisition dürste
um so mehr zu beachten sein, als man ihn gratis haben könnte."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/462>, abgerufen am 23.12.2024.