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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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sich seine Arbeit im besten Fall darauf beschränkt hat, die Citate aus seiner
einzigen Quelle ("Geschichte der Vereinigten Niederlande", die ihm übrigens,
was er an Material brauchte, in zweckmäßigen Uebersetzungen gab) zu veri-
ficiren -- was höchst überflüssig gewesen wäre, da er nicht im Stande war,
den Werth der Quellen zu beurtheilen. -- So citirt er im ersten Buch fort¬
während den Commes. -- Ein halb Jahr darauf, 12. März 1789, schreibt
er an Körner, als er ihm seinen Plan ankündigt, die Memoires in Auszügen
herauszugeben: "Die Collectio" der französischen Memoires, die jetzt periodisch
in Paris herauskommt, fängt mit Joinville (unter Ludwig dem Heiligen) an.
Ich werde aber die Memoires des Commes, die noch früher sind, voraus¬
gehen lassen." Also ein halb Jahr nach jenen Citaten aus Commes wußte
er noch nicht, in welchem Jahrhundert dieser gelebt habe!*) -- Ferner wird
in demselben Buch häufig Tacitus, Dio Cassius, Sueton u. f. w. citirt, Stellen,
die man nicht beim ersten Durchblättern findet; ein Jahr darauf (Sept. 1789)
liest er -- den Livius "zum allerersten Mal". -- Bei Metcren und Bentivog-
lio scheint er über die Sprache, in der diese geschrieben, im Unklaren gewesen
zu sein; Strada, Thuanus, Grotius u. s. w. sind nicht so geschrieben, daß
sie ein im Latein Ungeübter so ohne weiteres lesen könnte, ganz abgesehen
davon, daß zum Verständniß solcher Quellen allgemeine historische Bildung
nöthig ist. Und diese Studien will er im Lauf von wenig Monaten getrieben
haben, während er zugleich am Geisterseher, am Menschenfeind arbeitete, die
Götter Griechenlands schrieb und eine sehr lebhafte Geselligkeit unterhielt! --
Glücklicherweise hat er in seinen spätern historischen Schriften diese Charla-
tanerie ganz ausgegeben.

Abstrahiren wir nun von der Unvollkommenheit der eignen Forschung, so
können wir der Niederländischen Geschichte das Lob eines geistvollen
und anziehenden Buchs nicht versagen. Am schwächsten ist Schiller in der
Einleitung, wo er sehr weit ausholt und die Unsicherheit seiner Kenntniß durch
Redewendungen zu verstecken sucht, die viel zu sagen scheinen, und doch im
Grunde leer sind; je mehr er sich aber in den Ereignissen zurechtfindet, desto
mehr Haltung gewinnt auch seine Darstellung. Zu einer pragmatischen Ge¬
schichte im eigentlichen Sinn wie zu einer epischen Ausmalung der Zustände
fehlt ihm die Kenntniß der Acten, die Localfarbe. kurz alles Detail. Er



") Die Stiche ist arg, und es wäre dock) noch ein Mißverständnis; möglich. Die Stelle
steht im Briefwechsel I. S. 61. Sollte etwa des Commes ein Druckfehler für der
Comncna sein? Es ist wunderbar, daß man aus die Sache nicht früher geachtet hat. --
Wie weit seine Unbefangenheit in wissenschaftlichen Dingen ging, zeigt der Brief an Herder,
30. Oct. 1795, wegen des beabsichtigten Angriffs gegen F. A. Wolf: er müßte, um zu wis¬
sen, was derselbe geleistet, doch die Prolegomena durchlesen! Er wollte die Prolegomena in
ein paar Wochen beurtheilen, obgleich er kein Griechisch verstand. Und das war ganz ernst
und naiv.

sich seine Arbeit im besten Fall darauf beschränkt hat, die Citate aus seiner
einzigen Quelle („Geschichte der Vereinigten Niederlande", die ihm übrigens,
was er an Material brauchte, in zweckmäßigen Uebersetzungen gab) zu veri-
ficiren — was höchst überflüssig gewesen wäre, da er nicht im Stande war,
den Werth der Quellen zu beurtheilen. — So citirt er im ersten Buch fort¬
während den Commes. — Ein halb Jahr darauf, 12. März 1789, schreibt
er an Körner, als er ihm seinen Plan ankündigt, die Memoires in Auszügen
herauszugeben: „Die Collectio» der französischen Memoires, die jetzt periodisch
in Paris herauskommt, fängt mit Joinville (unter Ludwig dem Heiligen) an.
Ich werde aber die Memoires des Commes, die noch früher sind, voraus¬
gehen lassen." Also ein halb Jahr nach jenen Citaten aus Commes wußte
er noch nicht, in welchem Jahrhundert dieser gelebt habe!*) — Ferner wird
in demselben Buch häufig Tacitus, Dio Cassius, Sueton u. f. w. citirt, Stellen,
die man nicht beim ersten Durchblättern findet; ein Jahr darauf (Sept. 1789)
liest er — den Livius „zum allerersten Mal". — Bei Metcren und Bentivog-
lio scheint er über die Sprache, in der diese geschrieben, im Unklaren gewesen
zu sein; Strada, Thuanus, Grotius u. s. w. sind nicht so geschrieben, daß
sie ein im Latein Ungeübter so ohne weiteres lesen könnte, ganz abgesehen
davon, daß zum Verständniß solcher Quellen allgemeine historische Bildung
nöthig ist. Und diese Studien will er im Lauf von wenig Monaten getrieben
haben, während er zugleich am Geisterseher, am Menschenfeind arbeitete, die
Götter Griechenlands schrieb und eine sehr lebhafte Geselligkeit unterhielt! —
Glücklicherweise hat er in seinen spätern historischen Schriften diese Charla-
tanerie ganz ausgegeben.

Abstrahiren wir nun von der Unvollkommenheit der eignen Forschung, so
können wir der Niederländischen Geschichte das Lob eines geistvollen
und anziehenden Buchs nicht versagen. Am schwächsten ist Schiller in der
Einleitung, wo er sehr weit ausholt und die Unsicherheit seiner Kenntniß durch
Redewendungen zu verstecken sucht, die viel zu sagen scheinen, und doch im
Grunde leer sind; je mehr er sich aber in den Ereignissen zurechtfindet, desto
mehr Haltung gewinnt auch seine Darstellung. Zu einer pragmatischen Ge¬
schichte im eigentlichen Sinn wie zu einer epischen Ausmalung der Zustände
fehlt ihm die Kenntniß der Acten, die Localfarbe. kurz alles Detail. Er



") Die Stiche ist arg, und es wäre dock) noch ein Mißverständnis; möglich. Die Stelle
steht im Briefwechsel I. S. 61. Sollte etwa des Commes ein Druckfehler für der
Comncna sein? Es ist wunderbar, daß man aus die Sache nicht früher geachtet hat. —
Wie weit seine Unbefangenheit in wissenschaftlichen Dingen ging, zeigt der Brief an Herder,
30. Oct. 1795, wegen des beabsichtigten Angriffs gegen F. A. Wolf: er müßte, um zu wis¬
sen, was derselbe geleistet, doch die Prolegomena durchlesen! Er wollte die Prolegomena in
ein paar Wochen beurtheilen, obgleich er kein Griechisch verstand. Und das war ganz ernst
und naiv.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/457>, abgerufen am 23.12.2024.