Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

beiden sind nur meiner Laune möglich; forcire ich diese, so mißrathen sie. 3) Du
wirst es für eine stolze Demuth halten, wenn ich dir sage, daß ich zu erschöpfen
bin. Meiner Kenntnisse sind wenig. Was ich bin, bin ich durch eine oft unnatür¬
liche Spannung meiner Kraft. Täglich arbeite ich schwerer, weil ich viel schreibe.
Was ich von mir gebe, steht nicht in Proportion mit dem, was ich empfange.
Ich bin in Gefahr, mich auf diesem Wege auszuschreiben. 4) Es fehlt mir die
Zeit, Lernen und Schreiben gehörig zu verbinden. Ich muß also darauf sehn,
daß auch Lernen als Lernen mir rentire. 5) Zu einem Schauspiel brauche ich
kein Buch, aber meine ganze Seele und all meine Zeit. Zu einer historischen
Arbeit tragen mir Bücher die Hälfte bei. Die Zeit, welche ick) für beide ver¬
wende, ist ungefähr gleich groß. Aber am Ende eines historischen Buchs habe
ich Ideen erweitert, neue empfangen; am Ende eines verfertigten Schauspiels
vielmehr verloren. 6) Bei einem großen Kopf ist jeder Gegenstand der Größe
fähig. Bin ich einer, so werde ich Größe in mein historisches Fach legen."
12. Febr. "Eigentlich finde ich doch mit jedem Tage, daß ich für das Ge¬
schäft, welches ich jetzt treibe, so ziemlich tauge. Die Geschichte wird unter
meiner Feder, hier und dort, manches was sie nicht war." "Freilich schnell
geht es damit nicht; aber dies ist für jetzt mehr die Schuld meiner Neulings¬
schaft in der Historie und wird sich heben, wenn wir erst besser miteinander
bekannt sind. Wie weit mich diese Art von Geistesthätigkeit führen wird, ist
schwer zu sagen; aber mir schwand, daß, wenn sich meine Lust nach der Proportion,
wie sie angefangen hat, vermehrt, ich am Ende dem Publicisten näher bin
als dem Dichter, wenigstens näher dem Montesquieu als dem Sophokles."
6. März. "Du mußt mir einräumen, daß es keine leichte Sache für mich
war, mich in der Historie so schnell von der poetischen Diction zu entwöhnen.
Laß mir nur Zeit und es wird werden. Wenn ich meinen Stoff mehr in der
Gewalt, meine Ideen überhaupt einen weitern Kreis haben, so werde ich auch
der Einkleidung und dem Schmuck weniger nachfragen. Simplicität ist das
Resultat der Reife, und ich fühle, daß ich ihr schon viel näher gerückt bin,
als in vorigen Jahren. -- Aber du glaubst kaum, wie zufrieden ich mit mei¬
nem neuen Fache bin. Ahnung großer unbebauter Felder hat für mich so
viel Reizendes. Mit jedem Schritt gewinne ich an Ideen, und meine Seele .
wird weiter mit ihrer Welt. Ich habe mir den Montesquieu, Pütters Staats-
verfassung des deutschen Reichs und Schmidts Geschichte der Deutschen gekauft.
Die Bücher brauche ich zu oft, um sie von der Discretion andrer zu besitzen."
17. März. "Uebrigens denke ja nicht, als ob es mir jemals im Ernst ein¬
fallen könnte, mich in diesem Fach zu begraben, oder ihm in meiner Neigung
diejenige Stelle einzuräumen, die es wie billig in meiner Zeit hat. Auch sehe
ich recht gut voraus, daß ich durch meine Arbeit in der Historie mir einen
wesentlichem Dienst leisten werde als der Historie selbst, und dem Publicum


beiden sind nur meiner Laune möglich; forcire ich diese, so mißrathen sie. 3) Du
wirst es für eine stolze Demuth halten, wenn ich dir sage, daß ich zu erschöpfen
bin. Meiner Kenntnisse sind wenig. Was ich bin, bin ich durch eine oft unnatür¬
liche Spannung meiner Kraft. Täglich arbeite ich schwerer, weil ich viel schreibe.
Was ich von mir gebe, steht nicht in Proportion mit dem, was ich empfange.
Ich bin in Gefahr, mich auf diesem Wege auszuschreiben. 4) Es fehlt mir die
Zeit, Lernen und Schreiben gehörig zu verbinden. Ich muß also darauf sehn,
daß auch Lernen als Lernen mir rentire. 5) Zu einem Schauspiel brauche ich
kein Buch, aber meine ganze Seele und all meine Zeit. Zu einer historischen
Arbeit tragen mir Bücher die Hälfte bei. Die Zeit, welche ick) für beide ver¬
wende, ist ungefähr gleich groß. Aber am Ende eines historischen Buchs habe
ich Ideen erweitert, neue empfangen; am Ende eines verfertigten Schauspiels
vielmehr verloren. 6) Bei einem großen Kopf ist jeder Gegenstand der Größe
fähig. Bin ich einer, so werde ich Größe in mein historisches Fach legen."
12. Febr. „Eigentlich finde ich doch mit jedem Tage, daß ich für das Ge¬
schäft, welches ich jetzt treibe, so ziemlich tauge. Die Geschichte wird unter
meiner Feder, hier und dort, manches was sie nicht war." „Freilich schnell
geht es damit nicht; aber dies ist für jetzt mehr die Schuld meiner Neulings¬
schaft in der Historie und wird sich heben, wenn wir erst besser miteinander
bekannt sind. Wie weit mich diese Art von Geistesthätigkeit führen wird, ist
schwer zu sagen; aber mir schwand, daß, wenn sich meine Lust nach der Proportion,
wie sie angefangen hat, vermehrt, ich am Ende dem Publicisten näher bin
als dem Dichter, wenigstens näher dem Montesquieu als dem Sophokles."
6. März. „Du mußt mir einräumen, daß es keine leichte Sache für mich
war, mich in der Historie so schnell von der poetischen Diction zu entwöhnen.
Laß mir nur Zeit und es wird werden. Wenn ich meinen Stoff mehr in der
Gewalt, meine Ideen überhaupt einen weitern Kreis haben, so werde ich auch
der Einkleidung und dem Schmuck weniger nachfragen. Simplicität ist das
Resultat der Reife, und ich fühle, daß ich ihr schon viel näher gerückt bin,
als in vorigen Jahren. — Aber du glaubst kaum, wie zufrieden ich mit mei¬
nem neuen Fache bin. Ahnung großer unbebauter Felder hat für mich so
viel Reizendes. Mit jedem Schritt gewinne ich an Ideen, und meine Seele .
wird weiter mit ihrer Welt. Ich habe mir den Montesquieu, Pütters Staats-
verfassung des deutschen Reichs und Schmidts Geschichte der Deutschen gekauft.
Die Bücher brauche ich zu oft, um sie von der Discretion andrer zu besitzen."
17. März. „Uebrigens denke ja nicht, als ob es mir jemals im Ernst ein¬
fallen könnte, mich in diesem Fach zu begraben, oder ihm in meiner Neigung
diejenige Stelle einzuräumen, die es wie billig in meiner Zeit hat. Auch sehe
ich recht gut voraus, daß ich durch meine Arbeit in der Historie mir einen
wesentlichem Dienst leisten werde als der Historie selbst, und dem Publicum


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0455" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107502"/>
          <p xml:id="ID_1386" prev="#ID_1385" next="#ID_1387"> beiden sind nur meiner Laune möglich; forcire ich diese, so mißrathen sie. 3) Du<lb/>
wirst es für eine stolze Demuth halten, wenn ich dir sage, daß ich zu erschöpfen<lb/>
bin. Meiner Kenntnisse sind wenig. Was ich bin, bin ich durch eine oft unnatür¬<lb/>
liche Spannung meiner Kraft. Täglich arbeite ich schwerer, weil ich viel schreibe.<lb/>
Was ich von mir gebe, steht nicht in Proportion mit dem, was ich empfange.<lb/>
Ich bin in Gefahr, mich auf diesem Wege auszuschreiben. 4) Es fehlt mir die<lb/>
Zeit, Lernen und Schreiben gehörig zu verbinden. Ich muß also darauf sehn,<lb/>
daß auch Lernen als Lernen mir rentire. 5) Zu einem Schauspiel brauche ich<lb/>
kein Buch, aber meine ganze Seele und all meine Zeit. Zu einer historischen<lb/>
Arbeit tragen mir Bücher die Hälfte bei. Die Zeit, welche ick) für beide ver¬<lb/>
wende, ist ungefähr gleich groß. Aber am Ende eines historischen Buchs habe<lb/>
ich Ideen erweitert, neue empfangen; am Ende eines verfertigten Schauspiels<lb/>
vielmehr verloren. 6) Bei einem großen Kopf ist jeder Gegenstand der Größe<lb/>
fähig. Bin ich einer, so werde ich Größe in mein historisches Fach legen."<lb/>
12. Febr. &#x201E;Eigentlich finde ich doch mit jedem Tage, daß ich für das Ge¬<lb/>
schäft, welches ich jetzt treibe, so ziemlich tauge. Die Geschichte wird unter<lb/>
meiner Feder, hier und dort, manches was sie nicht war." &#x201E;Freilich schnell<lb/>
geht es damit nicht; aber dies ist für jetzt mehr die Schuld meiner Neulings¬<lb/>
schaft in der Historie und wird sich heben, wenn wir erst besser miteinander<lb/>
bekannt sind. Wie weit mich diese Art von Geistesthätigkeit führen wird, ist<lb/>
schwer zu sagen; aber mir schwand, daß, wenn sich meine Lust nach der Proportion,<lb/>
wie sie angefangen hat, vermehrt, ich am Ende dem Publicisten näher bin<lb/>
als dem Dichter, wenigstens näher dem Montesquieu als dem Sophokles."<lb/>
6. März. &#x201E;Du mußt mir einräumen, daß es keine leichte Sache für mich<lb/>
war, mich in der Historie so schnell von der poetischen Diction zu entwöhnen.<lb/>
Laß mir nur Zeit und es wird werden. Wenn ich meinen Stoff mehr in der<lb/>
Gewalt, meine Ideen überhaupt einen weitern Kreis haben, so werde ich auch<lb/>
der Einkleidung und dem Schmuck weniger nachfragen. Simplicität ist das<lb/>
Resultat der Reife, und ich fühle, daß ich ihr schon viel näher gerückt bin,<lb/>
als in vorigen Jahren. &#x2014; Aber du glaubst kaum, wie zufrieden ich mit mei¬<lb/>
nem neuen Fache bin. Ahnung großer unbebauter Felder hat für mich so<lb/>
viel Reizendes. Mit jedem Schritt gewinne ich an Ideen, und meine Seele .<lb/>
wird weiter mit ihrer Welt. Ich habe mir den Montesquieu, Pütters Staats-<lb/>
verfassung des deutschen Reichs und Schmidts Geschichte der Deutschen gekauft.<lb/>
Die Bücher brauche ich zu oft, um sie von der Discretion andrer zu besitzen."<lb/>
17. März. &#x201E;Uebrigens denke ja nicht, als ob es mir jemals im Ernst ein¬<lb/>
fallen könnte, mich in diesem Fach zu begraben, oder ihm in meiner Neigung<lb/>
diejenige Stelle einzuräumen, die es wie billig in meiner Zeit hat. Auch sehe<lb/>
ich recht gut voraus, daß ich durch meine Arbeit in der Historie mir einen<lb/>
wesentlichem Dienst leisten werde als der Historie selbst, und dem Publicum</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0455] beiden sind nur meiner Laune möglich; forcire ich diese, so mißrathen sie. 3) Du wirst es für eine stolze Demuth halten, wenn ich dir sage, daß ich zu erschöpfen bin. Meiner Kenntnisse sind wenig. Was ich bin, bin ich durch eine oft unnatür¬ liche Spannung meiner Kraft. Täglich arbeite ich schwerer, weil ich viel schreibe. Was ich von mir gebe, steht nicht in Proportion mit dem, was ich empfange. Ich bin in Gefahr, mich auf diesem Wege auszuschreiben. 4) Es fehlt mir die Zeit, Lernen und Schreiben gehörig zu verbinden. Ich muß also darauf sehn, daß auch Lernen als Lernen mir rentire. 5) Zu einem Schauspiel brauche ich kein Buch, aber meine ganze Seele und all meine Zeit. Zu einer historischen Arbeit tragen mir Bücher die Hälfte bei. Die Zeit, welche ick) für beide ver¬ wende, ist ungefähr gleich groß. Aber am Ende eines historischen Buchs habe ich Ideen erweitert, neue empfangen; am Ende eines verfertigten Schauspiels vielmehr verloren. 6) Bei einem großen Kopf ist jeder Gegenstand der Größe fähig. Bin ich einer, so werde ich Größe in mein historisches Fach legen." 12. Febr. „Eigentlich finde ich doch mit jedem Tage, daß ich für das Ge¬ schäft, welches ich jetzt treibe, so ziemlich tauge. Die Geschichte wird unter meiner Feder, hier und dort, manches was sie nicht war." „Freilich schnell geht es damit nicht; aber dies ist für jetzt mehr die Schuld meiner Neulings¬ schaft in der Historie und wird sich heben, wenn wir erst besser miteinander bekannt sind. Wie weit mich diese Art von Geistesthätigkeit führen wird, ist schwer zu sagen; aber mir schwand, daß, wenn sich meine Lust nach der Proportion, wie sie angefangen hat, vermehrt, ich am Ende dem Publicisten näher bin als dem Dichter, wenigstens näher dem Montesquieu als dem Sophokles." 6. März. „Du mußt mir einräumen, daß es keine leichte Sache für mich war, mich in der Historie so schnell von der poetischen Diction zu entwöhnen. Laß mir nur Zeit und es wird werden. Wenn ich meinen Stoff mehr in der Gewalt, meine Ideen überhaupt einen weitern Kreis haben, so werde ich auch der Einkleidung und dem Schmuck weniger nachfragen. Simplicität ist das Resultat der Reife, und ich fühle, daß ich ihr schon viel näher gerückt bin, als in vorigen Jahren. — Aber du glaubst kaum, wie zufrieden ich mit mei¬ nem neuen Fache bin. Ahnung großer unbebauter Felder hat für mich so viel Reizendes. Mit jedem Schritt gewinne ich an Ideen, und meine Seele . wird weiter mit ihrer Welt. Ich habe mir den Montesquieu, Pütters Staats- verfassung des deutschen Reichs und Schmidts Geschichte der Deutschen gekauft. Die Bücher brauche ich zu oft, um sie von der Discretion andrer zu besitzen." 17. März. „Uebrigens denke ja nicht, als ob es mir jemals im Ernst ein¬ fallen könnte, mich in diesem Fach zu begraben, oder ihm in meiner Neigung diejenige Stelle einzuräumen, die es wie billig in meiner Zeit hat. Auch sehe ich recht gut voraus, daß ich durch meine Arbeit in der Historie mir einen wesentlichem Dienst leisten werde als der Historie selbst, und dem Publicum

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/455
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/455>, abgerufen am 23.12.2024.