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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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beschäftigt, eine der mächtigen Kalksteinquadern, die das berühmte Pflaster
der Arnostadt bilden, aufzuheben und den Baum seiner Aeste zu entledigen.
Die rothe phrygische Mütze --- freilich kein Prachtexemplar -- war schon an
der Spitze befestigt, man begann bereits, den Baum mit Stricken in die
Höhe zu ziehen, und ein höchst populärer Redner, wenigstens nach der Offen¬
herzigkeit und malerischen Auszacknng seiner Kleidung zu schließen, hielt eine
Eiuweihungsrede, deren Sinn ungefähr darauf hinauslief, daß man diesen
Freiheitsbaum pflanze, weil man jetzt endlich frei geworden, und daß man
jetzt frei geworden, da man ja einen Freiheitsbaum pflanze. Die Logik war
zwar etwas unklar und verwickelt, die Sprache weder sehr geläufig noch
schwungvoll, die Zunge etwas natürlich- oder weinschwer, der Redner schien
sein demokratisches malten-spLeen zu halten; -- aber das viva l'alosro, viva,
1a rexudlies.! am Ende machte alles gut. Indessen war die Scene vom Ne-
gierungspalast aus, wo die drei Dictatoren mit ihrem neuen Ministerium
rathschlagend saßen, nicht unbemerkt geblieben. Noch war das Werk unten
nicht vollendet, da tönte Guerrazzis mächtige, wohlbekannte Stimme vom
nahen Balcon herab.

"Was heißt das?" rief er. "Wer will einen Freiheitsbaum aufrichten?
Pflanzt ihn erst in eure Herzen, und wenn er da festsitzt, dann möget ihr ihn
meinetwegen auch auf den Straßen eingraben. Aber die durch das allgemeine
Stimmrecht frei erwählten Vertreter des ganzen toscanischen Volkes haben
allein das Recht, die Republik zu proclamiren, nicht ihr, ein kleiner, unbe¬
fugter Haufen. Hört ihr also? Die evviva 1a rexuliliea! sind noch nicht an
der Zeit, und herunter mit dem Baum auf der Stelle!"

Die Stimme wirkte wie ein Zauber; der Baum senkte sich augenblicklich,
die Wortführer verstummten und sahen sich verlegen an; sie merkten wol,
daß sie aus der Coulisse getreten, ehe das Stichwort gefallen war, und schli¬
chen heimlich davon, einer nach dem andern. Der Haufen aber, der ihnen
nachgelaufen war, gaffte die hingestreckte Pappel noch eine Zeit lang mit ziem¬
lich dumm verwunderten Blicken an, verlief sich dann nllmälig und ließ den
Platz ruhig und öde, daß die Schritte der einzelnen Vorübergehenden von
den Häusern widerhallten, während die hellen Mondstrahlen mit der Rinde
des unglücklichen Stammes spielten, der keine gemeine Pappel mehr war und
doch kein Freiheitsbaum werden konnte. Der Club beruft nun eine große
Volksversammlung im Theater Alfieri. -- Das Theater selbst machte einen
eigenthümlichen Eindruck. Der Vorhang war aufgezogen, die Lampen auf
der Bühne angezündet; hinter einer langen Tafel saß der Vorstand des Cir-
eolo, von einem Theil der einflußreichsten Mitglieder umgeben, deren Gestal¬
ten, vom grellen Lampenlicht hell beleuchtet, aus der Tiefe des übrigen dunk¬
len Theaters hervortraten. Denn der große Kronleuchter brannte nicht, und


Grenzboten II. 1859. 54

beschäftigt, eine der mächtigen Kalksteinquadern, die das berühmte Pflaster
der Arnostadt bilden, aufzuheben und den Baum seiner Aeste zu entledigen.
Die rothe phrygische Mütze —- freilich kein Prachtexemplar — war schon an
der Spitze befestigt, man begann bereits, den Baum mit Stricken in die
Höhe zu ziehen, und ein höchst populärer Redner, wenigstens nach der Offen¬
herzigkeit und malerischen Auszacknng seiner Kleidung zu schließen, hielt eine
Eiuweihungsrede, deren Sinn ungefähr darauf hinauslief, daß man diesen
Freiheitsbaum pflanze, weil man jetzt endlich frei geworden, und daß man
jetzt frei geworden, da man ja einen Freiheitsbaum pflanze. Die Logik war
zwar etwas unklar und verwickelt, die Sprache weder sehr geläufig noch
schwungvoll, die Zunge etwas natürlich- oder weinschwer, der Redner schien
sein demokratisches malten-spLeen zu halten; — aber das viva l'alosro, viva,
1a rexudlies.! am Ende machte alles gut. Indessen war die Scene vom Ne-
gierungspalast aus, wo die drei Dictatoren mit ihrem neuen Ministerium
rathschlagend saßen, nicht unbemerkt geblieben. Noch war das Werk unten
nicht vollendet, da tönte Guerrazzis mächtige, wohlbekannte Stimme vom
nahen Balcon herab.

„Was heißt das?" rief er. „Wer will einen Freiheitsbaum aufrichten?
Pflanzt ihn erst in eure Herzen, und wenn er da festsitzt, dann möget ihr ihn
meinetwegen auch auf den Straßen eingraben. Aber die durch das allgemeine
Stimmrecht frei erwählten Vertreter des ganzen toscanischen Volkes haben
allein das Recht, die Republik zu proclamiren, nicht ihr, ein kleiner, unbe¬
fugter Haufen. Hört ihr also? Die evviva 1a rexuliliea! sind noch nicht an
der Zeit, und herunter mit dem Baum auf der Stelle!"

Die Stimme wirkte wie ein Zauber; der Baum senkte sich augenblicklich,
die Wortführer verstummten und sahen sich verlegen an; sie merkten wol,
daß sie aus der Coulisse getreten, ehe das Stichwort gefallen war, und schli¬
chen heimlich davon, einer nach dem andern. Der Haufen aber, der ihnen
nachgelaufen war, gaffte die hingestreckte Pappel noch eine Zeit lang mit ziem¬
lich dumm verwunderten Blicken an, verlief sich dann nllmälig und ließ den
Platz ruhig und öde, daß die Schritte der einzelnen Vorübergehenden von
den Häusern widerhallten, während die hellen Mondstrahlen mit der Rinde
des unglücklichen Stammes spielten, der keine gemeine Pappel mehr war und
doch kein Freiheitsbaum werden konnte. Der Club beruft nun eine große
Volksversammlung im Theater Alfieri. — Das Theater selbst machte einen
eigenthümlichen Eindruck. Der Vorhang war aufgezogen, die Lampen auf
der Bühne angezündet; hinter einer langen Tafel saß der Vorstand des Cir-
eolo, von einem Theil der einflußreichsten Mitglieder umgeben, deren Gestal¬
ten, vom grellen Lampenlicht hell beleuchtet, aus der Tiefe des übrigen dunk¬
len Theaters hervortraten. Denn der große Kronleuchter brannte nicht, und


Grenzboten II. 1859. 54
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[0435] beschäftigt, eine der mächtigen Kalksteinquadern, die das berühmte Pflaster der Arnostadt bilden, aufzuheben und den Baum seiner Aeste zu entledigen. Die rothe phrygische Mütze —- freilich kein Prachtexemplar — war schon an der Spitze befestigt, man begann bereits, den Baum mit Stricken in die Höhe zu ziehen, und ein höchst populärer Redner, wenigstens nach der Offen¬ herzigkeit und malerischen Auszacknng seiner Kleidung zu schließen, hielt eine Eiuweihungsrede, deren Sinn ungefähr darauf hinauslief, daß man diesen Freiheitsbaum pflanze, weil man jetzt endlich frei geworden, und daß man jetzt frei geworden, da man ja einen Freiheitsbaum pflanze. Die Logik war zwar etwas unklar und verwickelt, die Sprache weder sehr geläufig noch schwungvoll, die Zunge etwas natürlich- oder weinschwer, der Redner schien sein demokratisches malten-spLeen zu halten; — aber das viva l'alosro, viva, 1a rexudlies.! am Ende machte alles gut. Indessen war die Scene vom Ne- gierungspalast aus, wo die drei Dictatoren mit ihrem neuen Ministerium rathschlagend saßen, nicht unbemerkt geblieben. Noch war das Werk unten nicht vollendet, da tönte Guerrazzis mächtige, wohlbekannte Stimme vom nahen Balcon herab. „Was heißt das?" rief er. „Wer will einen Freiheitsbaum aufrichten? Pflanzt ihn erst in eure Herzen, und wenn er da festsitzt, dann möget ihr ihn meinetwegen auch auf den Straßen eingraben. Aber die durch das allgemeine Stimmrecht frei erwählten Vertreter des ganzen toscanischen Volkes haben allein das Recht, die Republik zu proclamiren, nicht ihr, ein kleiner, unbe¬ fugter Haufen. Hört ihr also? Die evviva 1a rexuliliea! sind noch nicht an der Zeit, und herunter mit dem Baum auf der Stelle!" Die Stimme wirkte wie ein Zauber; der Baum senkte sich augenblicklich, die Wortführer verstummten und sahen sich verlegen an; sie merkten wol, daß sie aus der Coulisse getreten, ehe das Stichwort gefallen war, und schli¬ chen heimlich davon, einer nach dem andern. Der Haufen aber, der ihnen nachgelaufen war, gaffte die hingestreckte Pappel noch eine Zeit lang mit ziem¬ lich dumm verwunderten Blicken an, verlief sich dann nllmälig und ließ den Platz ruhig und öde, daß die Schritte der einzelnen Vorübergehenden von den Häusern widerhallten, während die hellen Mondstrahlen mit der Rinde des unglücklichen Stammes spielten, der keine gemeine Pappel mehr war und doch kein Freiheitsbaum werden konnte. Der Club beruft nun eine große Volksversammlung im Theater Alfieri. — Das Theater selbst machte einen eigenthümlichen Eindruck. Der Vorhang war aufgezogen, die Lampen auf der Bühne angezündet; hinter einer langen Tafel saß der Vorstand des Cir- eolo, von einem Theil der einflußreichsten Mitglieder umgeben, deren Gestal¬ ten, vom grellen Lampenlicht hell beleuchtet, aus der Tiefe des übrigen dunk¬ len Theaters hervortraten. Denn der große Kronleuchter brannte nicht, und Grenzboten II. 1859. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/435>, abgerufen am 23.12.2024.