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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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wirst sehen, wie der Löwe von Florenz das Lilienbanner kühn und unbe-
zwinglich vertheidigt wie vormals, und die grünweißrothe Fahne auf den
Gipfel der Alpen trägt."

Ermüdet vom langen Umherschlendern, nach der Aufregung abgespannt
und wenig befriedigt von dem Gesehenen und Gehörten, eilte-ich heimwärts.
Zahlreiche Scharen durchzogen friedlich und unbewaffnet die Straßen, eine
oder die andre der zahllosen Volkshymnen singend, welche die beiden letzten
Jahre geboren hatten. Einige derselben waren ziemlich populär geworden;
schöne, volksgemäße Melodien hatten sehr wenige, einen wahrhaft poetischen
Text keine. Doch darauf kam es nicht an; einem allgemeinen, dunkel em¬
pfundenen Drange mußte im Liede Ausdruck gegeben werden; genug, daß die
Melodie leicht, die Worte klingend waren: von dem Einzelnen sich Rechen¬
schaft zu geben, ist des Volkes Sache nicht, am wenigsten des italienischen.
Zwischen den Scharen der jungen Sänger sah man auch wol hier und da
eine jener typischen Galgenphysiognomien umherschleichen, die bei jeder Revo¬
lution plötzlich wie der Erde entstiegene Geister erscheinen und sich sammeln,
wie um das Aas die Adler, um an der Zerfleischung des kranken Staatskör¬
pers mitzuarbeiten und sich von den Abfällen zu mästen. Der tief schaltende-
Calabreserhut, das halb in den verschossenen Mantel vergrabene Gesicht, ge¬
furcht von den Spuren des Lasters und Elends, die unheimlich glühenden
Augen, die über die Schulter geworfene Flinte ließen unwillkürlich die Vor¬
übergehenden weithin zur Linken und zur Rechten ausweichen. Die stillen
Bürger der Hauptstadt (denn an dem echten Philisterthum, nur in etwas
verschiedener Art, fehlt es auch im Süden der Alpen, insbesondere aber in
Toscana nicht), die einzeln und sparsam durch die Straßen schlichen oder vor
den noch geöffneten Magazinen standen, hatten einen guten Theil ihrer be¬
haglichen Sorglosigkeit verloren und sahen gar ängstlich und albern darein.

Im Hause litt es mich nicht lange. Ich wollte sehen, ob Florenz
triumphire oder traure, ub die durch Ueberrumpelung besiegte constitutionell-
monarchische Partei sich von ihrem Schrecken erholt habe und ob die Sieger noch
nicht von ihrem Siege erschreckt seien. Auf den Straßen sah und hörte man
nichts, als die singende, springende Jugend der Monelli. der damins as ?lo-
rerree, dieser großen Gönner aller Revolutionen, die ihnen einen Feiertag und
manchen Hauptspaß zu Wege bringen. Dünne Diskantstimmen suchten durch
das unaufhörliche Geschrei: lumi, lumi! eine Illumination zu improvisiren,
brachten jedoch nur wenige, ziemlich armselige Oellampen zum Vorschein. Nur
auf der neugetauften "iMWk cksl xopotv" hatten die Drohungen des zahlreich
versammelten Pöbels ein wenig mehr künstlicher Helle hervorgebracht. Von
den baumbepflanztcn Wällen der Citadelle hatte ein Volkshaufe eine mächtige
Pappel herbeigeschleppt; hundert Hände mit Axt, Hacke und Grabscheit waren


wirst sehen, wie der Löwe von Florenz das Lilienbanner kühn und unbe-
zwinglich vertheidigt wie vormals, und die grünweißrothe Fahne auf den
Gipfel der Alpen trägt."

Ermüdet vom langen Umherschlendern, nach der Aufregung abgespannt
und wenig befriedigt von dem Gesehenen und Gehörten, eilte-ich heimwärts.
Zahlreiche Scharen durchzogen friedlich und unbewaffnet die Straßen, eine
oder die andre der zahllosen Volkshymnen singend, welche die beiden letzten
Jahre geboren hatten. Einige derselben waren ziemlich populär geworden;
schöne, volksgemäße Melodien hatten sehr wenige, einen wahrhaft poetischen
Text keine. Doch darauf kam es nicht an; einem allgemeinen, dunkel em¬
pfundenen Drange mußte im Liede Ausdruck gegeben werden; genug, daß die
Melodie leicht, die Worte klingend waren: von dem Einzelnen sich Rechen¬
schaft zu geben, ist des Volkes Sache nicht, am wenigsten des italienischen.
Zwischen den Scharen der jungen Sänger sah man auch wol hier und da
eine jener typischen Galgenphysiognomien umherschleichen, die bei jeder Revo¬
lution plötzlich wie der Erde entstiegene Geister erscheinen und sich sammeln,
wie um das Aas die Adler, um an der Zerfleischung des kranken Staatskör¬
pers mitzuarbeiten und sich von den Abfällen zu mästen. Der tief schaltende-
Calabreserhut, das halb in den verschossenen Mantel vergrabene Gesicht, ge¬
furcht von den Spuren des Lasters und Elends, die unheimlich glühenden
Augen, die über die Schulter geworfene Flinte ließen unwillkürlich die Vor¬
übergehenden weithin zur Linken und zur Rechten ausweichen. Die stillen
Bürger der Hauptstadt (denn an dem echten Philisterthum, nur in etwas
verschiedener Art, fehlt es auch im Süden der Alpen, insbesondere aber in
Toscana nicht), die einzeln und sparsam durch die Straßen schlichen oder vor
den noch geöffneten Magazinen standen, hatten einen guten Theil ihrer be¬
haglichen Sorglosigkeit verloren und sahen gar ängstlich und albern darein.

Im Hause litt es mich nicht lange. Ich wollte sehen, ob Florenz
triumphire oder traure, ub die durch Ueberrumpelung besiegte constitutionell-
monarchische Partei sich von ihrem Schrecken erholt habe und ob die Sieger noch
nicht von ihrem Siege erschreckt seien. Auf den Straßen sah und hörte man
nichts, als die singende, springende Jugend der Monelli. der damins as ?lo-
rerree, dieser großen Gönner aller Revolutionen, die ihnen einen Feiertag und
manchen Hauptspaß zu Wege bringen. Dünne Diskantstimmen suchten durch
das unaufhörliche Geschrei: lumi, lumi! eine Illumination zu improvisiren,
brachten jedoch nur wenige, ziemlich armselige Oellampen zum Vorschein. Nur
auf der neugetauften „iMWk cksl xopotv" hatten die Drohungen des zahlreich
versammelten Pöbels ein wenig mehr künstlicher Helle hervorgebracht. Von
den baumbepflanztcn Wällen der Citadelle hatte ein Volkshaufe eine mächtige
Pappel herbeigeschleppt; hundert Hände mit Axt, Hacke und Grabscheit waren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/434>, abgerufen am 23.12.2024.