Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wir wollen nun genauer zusehen, wie die Vertreter des Christenthums in der
vorkonstantinischen Zeit grade zu dem Abzeichen der Philosophen gekommen
sind. -- Wer von der Kirche einseitigerweise nichts weiter kennt oder böswilliger¬
weise nichts weiter kennen will als die hochgepriesene Zeit des Mittelalters,
und wer daher allen Wust derselben noch dazu mit dem Heiligenschein der
Wissenschaft uns wieder aufdrängen will, dem muß freilich auch die äußer¬
liche Verbindung von Christenthum und Philosophie bereits bedenklich erschei¬
nen und er wird daher wie über einen wunden Fleck rasch über dieselbe Hin¬
wegsahren. Was heut stattfindet, existirte in früheren Jahrhunderten noch nicht.

Die im neunten Jahrhundert geschriebene Chronik des Abtes Regino von
Prüm beginnt noch mit den Worten: "dem an Geist hervorragendsten und
im Studium der gesammten Philosophie vielfältig ausgezeichneten Herrn Bi¬
schof Adalbero sendet Negino" u. s. w. und ebendieselbe Chronik bemerkt
tadelnd noch von dem Bischof Walthar, daß er seinen Vorgängern in den
Sitten, in der Religion, wie dem Studium der Philosophie weit nachgestan¬
den habe. Ebenso Wird in dem demselben Jahrhundert angehörigen Leben
Rimberts mit Hindeutung auf einen Ausspruch Platos "die Betrachtung des
Todes" als das Endziel aller Weisheit und "die erste Aufgabe der Philo¬
sophie" angesehen. Leider indeß sollte es bald genug anders werden. Die
Vernunft, welche die Kirchenväter noch als eine von Gott gegebene Kraft
gelten ließen, deren sie sich zur Erforschung der göttlichen Geheimnisse unge-
scheut bedienten und die selbst im achten Jahrhundert noch Abt Fredegis über
den bloßen Autoritätsglauben setzen durfte, wird bereits im neunten Jahrhundert
der Autorität der Kirchenväter unterstellt. Das Concil zu Lyon machte es
dem Johannes Skotus und seinen Anhängern bereits zum Vorwurf, daß sie
"Gründen menschlicher und philosophischer Weisheit mehr trauten, als den
Aussprüchen der Väter. " Hier stehen wir also an der Grenze, wo die gesunde
Vernunft, die wahre Philosophie und die Kirche sich trennen. Wer wird dem
System mittelalterlicher Spitzfindigkeiten noch den Ehrentitel der Philosophie
zugestehn! Ich will mich auf die Phrasen über die natürliche Verwandtschaft
der Philosophie, der Religion und der Kunst hier nicht näher einlassen. Un¬
sere Zeit ist reich an solchen feingewebten Producten der Feigheit und der
Heuchelei, welche den Kern verhüllen oder doch höchstens hindurchschimmern
lassen, etwa wie die s. g. naß angelegten Gewänder der Alten die
natürliche Körperform. Eine derselben aber will ich doch wenigstens anführen,
weil darin von ihrem Urheber, einem geschickten Taschenspieler gleich, da wo
es zum Klappen kommt, die Wissenschaft für die Philosophie eingeschmuggelt
wird, offenbar nur um den Namen zu vermeiden und sich einen scheelen Blick
von seinen Kirchenoberen zu ersparen. Die schön klingenden Worte lauten :
"die Philosophie ist die Erkenntniß des inneren Lebens, die Religion


Wir wollen nun genauer zusehen, wie die Vertreter des Christenthums in der
vorkonstantinischen Zeit grade zu dem Abzeichen der Philosophen gekommen
sind. — Wer von der Kirche einseitigerweise nichts weiter kennt oder böswilliger¬
weise nichts weiter kennen will als die hochgepriesene Zeit des Mittelalters,
und wer daher allen Wust derselben noch dazu mit dem Heiligenschein der
Wissenschaft uns wieder aufdrängen will, dem muß freilich auch die äußer¬
liche Verbindung von Christenthum und Philosophie bereits bedenklich erschei¬
nen und er wird daher wie über einen wunden Fleck rasch über dieselbe Hin¬
wegsahren. Was heut stattfindet, existirte in früheren Jahrhunderten noch nicht.

Die im neunten Jahrhundert geschriebene Chronik des Abtes Regino von
Prüm beginnt noch mit den Worten: „dem an Geist hervorragendsten und
im Studium der gesammten Philosophie vielfältig ausgezeichneten Herrn Bi¬
schof Adalbero sendet Negino" u. s. w. und ebendieselbe Chronik bemerkt
tadelnd noch von dem Bischof Walthar, daß er seinen Vorgängern in den
Sitten, in der Religion, wie dem Studium der Philosophie weit nachgestan¬
den habe. Ebenso Wird in dem demselben Jahrhundert angehörigen Leben
Rimberts mit Hindeutung auf einen Ausspruch Platos „die Betrachtung des
Todes" als das Endziel aller Weisheit und „die erste Aufgabe der Philo¬
sophie" angesehen. Leider indeß sollte es bald genug anders werden. Die
Vernunft, welche die Kirchenväter noch als eine von Gott gegebene Kraft
gelten ließen, deren sie sich zur Erforschung der göttlichen Geheimnisse unge-
scheut bedienten und die selbst im achten Jahrhundert noch Abt Fredegis über
den bloßen Autoritätsglauben setzen durfte, wird bereits im neunten Jahrhundert
der Autorität der Kirchenväter unterstellt. Das Concil zu Lyon machte es
dem Johannes Skotus und seinen Anhängern bereits zum Vorwurf, daß sie
„Gründen menschlicher und philosophischer Weisheit mehr trauten, als den
Aussprüchen der Väter. " Hier stehen wir also an der Grenze, wo die gesunde
Vernunft, die wahre Philosophie und die Kirche sich trennen. Wer wird dem
System mittelalterlicher Spitzfindigkeiten noch den Ehrentitel der Philosophie
zugestehn! Ich will mich auf die Phrasen über die natürliche Verwandtschaft
der Philosophie, der Religion und der Kunst hier nicht näher einlassen. Un¬
sere Zeit ist reich an solchen feingewebten Producten der Feigheit und der
Heuchelei, welche den Kern verhüllen oder doch höchstens hindurchschimmern
lassen, etwa wie die s. g. naß angelegten Gewänder der Alten die
natürliche Körperform. Eine derselben aber will ich doch wenigstens anführen,
weil darin von ihrem Urheber, einem geschickten Taschenspieler gleich, da wo
es zum Klappen kommt, die Wissenschaft für die Philosophie eingeschmuggelt
wird, offenbar nur um den Namen zu vermeiden und sich einen scheelen Blick
von seinen Kirchenoberen zu ersparen. Die schön klingenden Worte lauten :
»die Philosophie ist die Erkenntniß des inneren Lebens, die Religion


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0423" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107470"/>
          <p xml:id="ID_1263"> Wir wollen nun genauer zusehen, wie die Vertreter des Christenthums in der<lb/>
vorkonstantinischen Zeit grade zu dem Abzeichen der Philosophen gekommen<lb/>
sind. &#x2014; Wer von der Kirche einseitigerweise nichts weiter kennt oder böswilliger¬<lb/>
weise nichts weiter kennen will als die hochgepriesene Zeit des Mittelalters,<lb/>
und wer daher allen Wust derselben noch dazu mit dem Heiligenschein der<lb/>
Wissenschaft uns wieder aufdrängen will, dem muß freilich auch die äußer¬<lb/>
liche Verbindung von Christenthum und Philosophie bereits bedenklich erschei¬<lb/>
nen und er wird daher wie über einen wunden Fleck rasch über dieselbe Hin¬<lb/>
wegsahren. Was heut stattfindet, existirte in früheren Jahrhunderten noch nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1264" next="#ID_1265"> Die im neunten Jahrhundert geschriebene Chronik des Abtes Regino von<lb/>
Prüm beginnt noch mit den Worten: &#x201E;dem an Geist hervorragendsten und<lb/>
im Studium der gesammten Philosophie vielfältig ausgezeichneten Herrn Bi¬<lb/>
schof Adalbero sendet Negino" u. s. w. und ebendieselbe Chronik bemerkt<lb/>
tadelnd noch von dem Bischof Walthar, daß er seinen Vorgängern in den<lb/>
Sitten, in der Religion, wie dem Studium der Philosophie weit nachgestan¬<lb/>
den habe. Ebenso Wird in dem demselben Jahrhundert angehörigen Leben<lb/>
Rimberts mit Hindeutung auf einen Ausspruch Platos &#x201E;die Betrachtung des<lb/>
Todes" als das Endziel aller Weisheit und &#x201E;die erste Aufgabe der Philo¬<lb/>
sophie" angesehen. Leider indeß sollte es bald genug anders werden. Die<lb/>
Vernunft, welche die Kirchenväter noch als eine von Gott gegebene Kraft<lb/>
gelten ließen, deren sie sich zur Erforschung der göttlichen Geheimnisse unge-<lb/>
scheut bedienten und die selbst im achten Jahrhundert noch Abt Fredegis über<lb/>
den bloßen Autoritätsglauben setzen durfte, wird bereits im neunten Jahrhundert<lb/>
der Autorität der Kirchenväter unterstellt. Das Concil zu Lyon machte es<lb/>
dem Johannes Skotus und seinen Anhängern bereits zum Vorwurf, daß sie<lb/>
&#x201E;Gründen menschlicher und philosophischer Weisheit mehr trauten, als den<lb/>
Aussprüchen der Väter. " Hier stehen wir also an der Grenze, wo die gesunde<lb/>
Vernunft, die wahre Philosophie und die Kirche sich trennen. Wer wird dem<lb/>
System mittelalterlicher Spitzfindigkeiten noch den Ehrentitel der Philosophie<lb/>
zugestehn! Ich will mich auf die Phrasen über die natürliche Verwandtschaft<lb/>
der Philosophie, der Religion und der Kunst hier nicht näher einlassen. Un¬<lb/>
sere Zeit ist reich an solchen feingewebten Producten der Feigheit und der<lb/>
Heuchelei, welche den Kern verhüllen oder doch höchstens hindurchschimmern<lb/>
lassen, etwa wie die s. g. naß angelegten Gewänder der Alten die<lb/>
natürliche Körperform. Eine derselben aber will ich doch wenigstens anführen,<lb/>
weil darin von ihrem Urheber, einem geschickten Taschenspieler gleich, da wo<lb/>
es zum Klappen kommt, die Wissenschaft für die Philosophie eingeschmuggelt<lb/>
wird, offenbar nur um den Namen zu vermeiden und sich einen scheelen Blick<lb/>
von seinen Kirchenoberen zu ersparen. Die schön klingenden Worte lauten :<lb/>
»die Philosophie ist die Erkenntniß des inneren Lebens, die Religion</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0423] Wir wollen nun genauer zusehen, wie die Vertreter des Christenthums in der vorkonstantinischen Zeit grade zu dem Abzeichen der Philosophen gekommen sind. — Wer von der Kirche einseitigerweise nichts weiter kennt oder böswilliger¬ weise nichts weiter kennen will als die hochgepriesene Zeit des Mittelalters, und wer daher allen Wust derselben noch dazu mit dem Heiligenschein der Wissenschaft uns wieder aufdrängen will, dem muß freilich auch die äußer¬ liche Verbindung von Christenthum und Philosophie bereits bedenklich erschei¬ nen und er wird daher wie über einen wunden Fleck rasch über dieselbe Hin¬ wegsahren. Was heut stattfindet, existirte in früheren Jahrhunderten noch nicht. Die im neunten Jahrhundert geschriebene Chronik des Abtes Regino von Prüm beginnt noch mit den Worten: „dem an Geist hervorragendsten und im Studium der gesammten Philosophie vielfältig ausgezeichneten Herrn Bi¬ schof Adalbero sendet Negino" u. s. w. und ebendieselbe Chronik bemerkt tadelnd noch von dem Bischof Walthar, daß er seinen Vorgängern in den Sitten, in der Religion, wie dem Studium der Philosophie weit nachgestan¬ den habe. Ebenso Wird in dem demselben Jahrhundert angehörigen Leben Rimberts mit Hindeutung auf einen Ausspruch Platos „die Betrachtung des Todes" als das Endziel aller Weisheit und „die erste Aufgabe der Philo¬ sophie" angesehen. Leider indeß sollte es bald genug anders werden. Die Vernunft, welche die Kirchenväter noch als eine von Gott gegebene Kraft gelten ließen, deren sie sich zur Erforschung der göttlichen Geheimnisse unge- scheut bedienten und die selbst im achten Jahrhundert noch Abt Fredegis über den bloßen Autoritätsglauben setzen durfte, wird bereits im neunten Jahrhundert der Autorität der Kirchenväter unterstellt. Das Concil zu Lyon machte es dem Johannes Skotus und seinen Anhängern bereits zum Vorwurf, daß sie „Gründen menschlicher und philosophischer Weisheit mehr trauten, als den Aussprüchen der Väter. " Hier stehen wir also an der Grenze, wo die gesunde Vernunft, die wahre Philosophie und die Kirche sich trennen. Wer wird dem System mittelalterlicher Spitzfindigkeiten noch den Ehrentitel der Philosophie zugestehn! Ich will mich auf die Phrasen über die natürliche Verwandtschaft der Philosophie, der Religion und der Kunst hier nicht näher einlassen. Un¬ sere Zeit ist reich an solchen feingewebten Producten der Feigheit und der Heuchelei, welche den Kern verhüllen oder doch höchstens hindurchschimmern lassen, etwa wie die s. g. naß angelegten Gewänder der Alten die natürliche Körperform. Eine derselben aber will ich doch wenigstens anführen, weil darin von ihrem Urheber, einem geschickten Taschenspieler gleich, da wo es zum Klappen kommt, die Wissenschaft für die Philosophie eingeschmuggelt wird, offenbar nur um den Namen zu vermeiden und sich einen scheelen Blick von seinen Kirchenoberen zu ersparen. Die schön klingenden Worte lauten : »die Philosophie ist die Erkenntniß des inneren Lebens, die Religion

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/423
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/423>, abgerufen am 23.12.2024.