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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Tertullian. Origenes und Cyprian das Märtyrerthum angesehen wissen. Hin
und wieder, wenn auch seltner, werden die Apostel wol auch als zwölf ge¬
schlossene Bücher neben Christus dargestellt.

Diese ältern Symbole treten in dem spätern Mittelalter mehr und mehr
in den Hintergrund, je mehr die persönliche Darstellung die Oberhand gewinnt.
In der Spätzeit des Mittelalters endlich werden die einzelnen Apostel durch
das Alter und die angeblichen Marterwerkzeuge voneinander geschieden. Als
feststehendes unveränderliches Abzeichen indeß verbleibt ihnen bei allen Völ¬
kern und zu allen Zeiten der Bart und der Mantel, so daß der symbolisirende
Rhabanus Maurus bereits den ersteren allein schon als das Symbol der Apo¬
stel und der apostolischen Männer hinzustellen wagen darf, wie er wähnt,
weil der Bart das Zeichen der kräftigsten Männlichkeit sei. Der Schatten des
großen Mannes mag es uns zu Gute halten, wenn wir einen Streit um den
Bart mit ihm anzuknüpfen wagen, so Gott will, soll es keiner um des Kai¬
sers Bart werden!

Hat die römische Kirche das unschuldige Ding wegzuwerfen und ihren
Dienern zu verbieten nicht für zu geringfügig erachtet, warum sollen wir uns
denn schämen, es wieder aufzuheben? Vielleicht entdecken wir hinter ihm einen
charakteristischen Zug, an den die Kirche thörichterweise nur ungern erinnert
wird. Die griechische Geistlichkeit hat bekanntlich den Bart fortgetragen; aber
erst im fünfzehnten Jahrhundert begegnet uns wieder in der abendländischen
Kirche ein bärtiger Geistlicher, jener bekannte Bessarion, ein Schüler des Phi¬
losophen Gemisthus Pleto, wie man behauptet der bedeutendste Gelehrte der
griechischen Kirche, welcher, nachdem seine Bemühungen um die Wiederver¬
einigung der beiden feindlichen Kirchen trotz der gemeinsamen Kirchengefahr
doch gescheitert waren, sein Vaterland verließ und zu hohen Würden in der
römischen Kirche emporstieg. Unter den Päpsten aber war der kriegerische
Julius der Zweite der Erste, welcher sich im Beginn des sechzehnten Jahr¬
hunderts den Bart wieder wachsen ließ. Ein katholisirender Schriftsteller
unserer Tage scheint bei dieser Gelegenheit etwas Kirchenseindliches heraus¬
zuwittern, denn er äußert in Beziehung auf Bessarion: "die Gelehrsamkeit des
Cardinals war erstaunenswerth; auch der Philosophie war er lebhast zuge¬
than, doch nicht so," setzt er vorsichtig hinzu, "daß der Lehre des Christen¬
thums dadurch Eintrag geschehen wäre." Daß doch das El immer klüger
sein will, als die Henne! Als ob Christenthum und Philosophie überhaupt
ihrem Wesen und ihrem Ursprung nach sich bereits feindlich gegenüberstanden,
wie etwa heutzutage die katholische Kirche und die natürliche Vernunft. Als
ob es nicht vielmehr eine bekannte Thatsache wäre, daß das Christenthum im
zweiten Jahrhundert im Gewände der griechischen Philosophie nicht nur sinn¬
bildlich, sondern auch wörtlich und buchstäblich genommen aufgetreten ist...


Tertullian. Origenes und Cyprian das Märtyrerthum angesehen wissen. Hin
und wieder, wenn auch seltner, werden die Apostel wol auch als zwölf ge¬
schlossene Bücher neben Christus dargestellt.

Diese ältern Symbole treten in dem spätern Mittelalter mehr und mehr
in den Hintergrund, je mehr die persönliche Darstellung die Oberhand gewinnt.
In der Spätzeit des Mittelalters endlich werden die einzelnen Apostel durch
das Alter und die angeblichen Marterwerkzeuge voneinander geschieden. Als
feststehendes unveränderliches Abzeichen indeß verbleibt ihnen bei allen Völ¬
kern und zu allen Zeiten der Bart und der Mantel, so daß der symbolisirende
Rhabanus Maurus bereits den ersteren allein schon als das Symbol der Apo¬
stel und der apostolischen Männer hinzustellen wagen darf, wie er wähnt,
weil der Bart das Zeichen der kräftigsten Männlichkeit sei. Der Schatten des
großen Mannes mag es uns zu Gute halten, wenn wir einen Streit um den
Bart mit ihm anzuknüpfen wagen, so Gott will, soll es keiner um des Kai¬
sers Bart werden!

Hat die römische Kirche das unschuldige Ding wegzuwerfen und ihren
Dienern zu verbieten nicht für zu geringfügig erachtet, warum sollen wir uns
denn schämen, es wieder aufzuheben? Vielleicht entdecken wir hinter ihm einen
charakteristischen Zug, an den die Kirche thörichterweise nur ungern erinnert
wird. Die griechische Geistlichkeit hat bekanntlich den Bart fortgetragen; aber
erst im fünfzehnten Jahrhundert begegnet uns wieder in der abendländischen
Kirche ein bärtiger Geistlicher, jener bekannte Bessarion, ein Schüler des Phi¬
losophen Gemisthus Pleto, wie man behauptet der bedeutendste Gelehrte der
griechischen Kirche, welcher, nachdem seine Bemühungen um die Wiederver¬
einigung der beiden feindlichen Kirchen trotz der gemeinsamen Kirchengefahr
doch gescheitert waren, sein Vaterland verließ und zu hohen Würden in der
römischen Kirche emporstieg. Unter den Päpsten aber war der kriegerische
Julius der Zweite der Erste, welcher sich im Beginn des sechzehnten Jahr¬
hunderts den Bart wieder wachsen ließ. Ein katholisirender Schriftsteller
unserer Tage scheint bei dieser Gelegenheit etwas Kirchenseindliches heraus¬
zuwittern, denn er äußert in Beziehung auf Bessarion: „die Gelehrsamkeit des
Cardinals war erstaunenswerth; auch der Philosophie war er lebhast zuge¬
than, doch nicht so," setzt er vorsichtig hinzu, „daß der Lehre des Christen¬
thums dadurch Eintrag geschehen wäre." Daß doch das El immer klüger
sein will, als die Henne! Als ob Christenthum und Philosophie überhaupt
ihrem Wesen und ihrem Ursprung nach sich bereits feindlich gegenüberstanden,
wie etwa heutzutage die katholische Kirche und die natürliche Vernunft. Als
ob es nicht vielmehr eine bekannte Thatsache wäre, daß das Christenthum im
zweiten Jahrhundert im Gewände der griechischen Philosophie nicht nur sinn¬
bildlich, sondern auch wörtlich und buchstäblich genommen aufgetreten ist...


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[0420] Tertullian. Origenes und Cyprian das Märtyrerthum angesehen wissen. Hin und wieder, wenn auch seltner, werden die Apostel wol auch als zwölf ge¬ schlossene Bücher neben Christus dargestellt. Diese ältern Symbole treten in dem spätern Mittelalter mehr und mehr in den Hintergrund, je mehr die persönliche Darstellung die Oberhand gewinnt. In der Spätzeit des Mittelalters endlich werden die einzelnen Apostel durch das Alter und die angeblichen Marterwerkzeuge voneinander geschieden. Als feststehendes unveränderliches Abzeichen indeß verbleibt ihnen bei allen Völ¬ kern und zu allen Zeiten der Bart und der Mantel, so daß der symbolisirende Rhabanus Maurus bereits den ersteren allein schon als das Symbol der Apo¬ stel und der apostolischen Männer hinzustellen wagen darf, wie er wähnt, weil der Bart das Zeichen der kräftigsten Männlichkeit sei. Der Schatten des großen Mannes mag es uns zu Gute halten, wenn wir einen Streit um den Bart mit ihm anzuknüpfen wagen, so Gott will, soll es keiner um des Kai¬ sers Bart werden! Hat die römische Kirche das unschuldige Ding wegzuwerfen und ihren Dienern zu verbieten nicht für zu geringfügig erachtet, warum sollen wir uns denn schämen, es wieder aufzuheben? Vielleicht entdecken wir hinter ihm einen charakteristischen Zug, an den die Kirche thörichterweise nur ungern erinnert wird. Die griechische Geistlichkeit hat bekanntlich den Bart fortgetragen; aber erst im fünfzehnten Jahrhundert begegnet uns wieder in der abendländischen Kirche ein bärtiger Geistlicher, jener bekannte Bessarion, ein Schüler des Phi¬ losophen Gemisthus Pleto, wie man behauptet der bedeutendste Gelehrte der griechischen Kirche, welcher, nachdem seine Bemühungen um die Wiederver¬ einigung der beiden feindlichen Kirchen trotz der gemeinsamen Kirchengefahr doch gescheitert waren, sein Vaterland verließ und zu hohen Würden in der römischen Kirche emporstieg. Unter den Päpsten aber war der kriegerische Julius der Zweite der Erste, welcher sich im Beginn des sechzehnten Jahr¬ hunderts den Bart wieder wachsen ließ. Ein katholisirender Schriftsteller unserer Tage scheint bei dieser Gelegenheit etwas Kirchenseindliches heraus¬ zuwittern, denn er äußert in Beziehung auf Bessarion: „die Gelehrsamkeit des Cardinals war erstaunenswerth; auch der Philosophie war er lebhast zuge¬ than, doch nicht so," setzt er vorsichtig hinzu, „daß der Lehre des Christen¬ thums dadurch Eintrag geschehen wäre." Daß doch das El immer klüger sein will, als die Henne! Als ob Christenthum und Philosophie überhaupt ihrem Wesen und ihrem Ursprung nach sich bereits feindlich gegenüberstanden, wie etwa heutzutage die katholische Kirche und die natürliche Vernunft. Als ob es nicht vielmehr eine bekannte Thatsache wäre, daß das Christenthum im zweiten Jahrhundert im Gewände der griechischen Philosophie nicht nur sinn¬ bildlich, sondern auch wörtlich und buchstäblich genommen aufgetreten ist...

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/420>, abgerufen am 23.12.2024.