Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Oestreichs schneller Entschluß hatte außer andern Bedenken auch das nahe¬
liegende, daß er die eifrigen und wohlwollenden Vermittlungen Preußens und
Englands brüskirte und Oestreich nicht in den Krieg treten ließ, wie dieser
Staat selbst durch die Sendung des Erzherzogs Albrecht nach Berlin beab¬
sichtigt hatte, in Connivenz und stillem EinVerständniß mit Preußen, sondern
gegen Wissen und Wunsch der bundesverwandten Großmacht.

Durch diese Kriegserklärung wurde Preußens Stellung zur italienischen
Frage vollständig geändert. Während es bis dahin im Interesse des euro¬
päischen Friedens und der Verträge von 1815 thätig gewesen war. trat jetzt
die Rücksicht auf Deutschland und das eigne Wohl in erste Linie. Napoleon
der Dritte machte von dem Recht des Kriegführenden Gebrauch und erklärte in
seiner Proclamation die Verträge von 1815, welche den Oestreichern ihre ita¬
lienischen Besitzungen versicherten, für ausgehoben; es ist in Berlin wohl¬
bekannt, daß er die Bestimmungen desselben Friedens über die Nheingrenze als
unehrenhaft für Frankreich verurtheilt. Das englische Cabinet war eng ver¬
bunden mit Preußen vorgegangen, so lange eine Hoffnung blieb, den Frieden
zu erhalten; jetzt machte die Schwäche desselben der durch die Whigs be¬
arbeiteten öffentlichen Meinung die Concession, seine Neutralität öffentlich zu
versichern und ein Bündniß mit Preußen zum Schutz der deutschen Küsten feier¬
lich in Abrede zu stellen. Es war also auf eine energische Mitwirkung Eng¬
lands im Interesse Deutschlands vorläufig gar nicht zu rechnen. Bedenken
ganz anderer Art verursachte die Haltung Rußlands. Noch schwebt ein Dunkel
über den Vereinbarungen dieses Staates mit Frankreich; sollte wahr sein, daß
Rußland dem Kaiser Napoleon gegenüber ebenso eine Garantie des franzö¬
sischen Territorialbestandes übernommen habe, wie der deutsche Bund gegen¬
über den deutschen Provinzen Oestreichs gethan hat, so würde das Ueberschreiten
der französischen Nheingrenze durch deutsche Heere von Rußland als oasus beM
betrachtet werden und ein Krieg gegen Frankreich Preußen zugleich in einen
Krieg mit Nußland verwickeln. Dazu kommt, daß die Anfänge der preu¬
ßischen Flotte noch lange nicht stark genug sind, die Ostseeküsten, noch weniger
die Nordsee zu beschützen, und daß die Anwendung des Dampfes jetzt einer
französischen Flotte leicht macht, nicht nur streifende Corps, sondern ganze
Heere an den deutschen Küsten landen zu lassen. Theuer bezahlt Preußen da¬
für, daß es im Jahr 1849 und 50 nicht antiöstreichisch genug war, um die
Idee der deutschen Einheit gegenüber den Drohungen Oestreichs und Ru߬
lands durchzusetzen. Denn jetzt ist Deutschland in der Lage, nach drei Seiten
hin Front machen zu müssen und nach allen drei Seiten ist Preußen der am
meisten gefährdete Staat, nach allen drei Seiten würde ihm bei beginnendem
Kampfe der Löwenantheil zufallen und die größten Verluste zu tragen sein.
Diese Lage ist von furchtbarem Ernst und nur durch große Entschlüsse und


Oestreichs schneller Entschluß hatte außer andern Bedenken auch das nahe¬
liegende, daß er die eifrigen und wohlwollenden Vermittlungen Preußens und
Englands brüskirte und Oestreich nicht in den Krieg treten ließ, wie dieser
Staat selbst durch die Sendung des Erzherzogs Albrecht nach Berlin beab¬
sichtigt hatte, in Connivenz und stillem EinVerständniß mit Preußen, sondern
gegen Wissen und Wunsch der bundesverwandten Großmacht.

Durch diese Kriegserklärung wurde Preußens Stellung zur italienischen
Frage vollständig geändert. Während es bis dahin im Interesse des euro¬
päischen Friedens und der Verträge von 1815 thätig gewesen war. trat jetzt
die Rücksicht auf Deutschland und das eigne Wohl in erste Linie. Napoleon
der Dritte machte von dem Recht des Kriegführenden Gebrauch und erklärte in
seiner Proclamation die Verträge von 1815, welche den Oestreichern ihre ita¬
lienischen Besitzungen versicherten, für ausgehoben; es ist in Berlin wohl¬
bekannt, daß er die Bestimmungen desselben Friedens über die Nheingrenze als
unehrenhaft für Frankreich verurtheilt. Das englische Cabinet war eng ver¬
bunden mit Preußen vorgegangen, so lange eine Hoffnung blieb, den Frieden
zu erhalten; jetzt machte die Schwäche desselben der durch die Whigs be¬
arbeiteten öffentlichen Meinung die Concession, seine Neutralität öffentlich zu
versichern und ein Bündniß mit Preußen zum Schutz der deutschen Küsten feier¬
lich in Abrede zu stellen. Es war also auf eine energische Mitwirkung Eng¬
lands im Interesse Deutschlands vorläufig gar nicht zu rechnen. Bedenken
ganz anderer Art verursachte die Haltung Rußlands. Noch schwebt ein Dunkel
über den Vereinbarungen dieses Staates mit Frankreich; sollte wahr sein, daß
Rußland dem Kaiser Napoleon gegenüber ebenso eine Garantie des franzö¬
sischen Territorialbestandes übernommen habe, wie der deutsche Bund gegen¬
über den deutschen Provinzen Oestreichs gethan hat, so würde das Ueberschreiten
der französischen Nheingrenze durch deutsche Heere von Rußland als oasus beM
betrachtet werden und ein Krieg gegen Frankreich Preußen zugleich in einen
Krieg mit Nußland verwickeln. Dazu kommt, daß die Anfänge der preu¬
ßischen Flotte noch lange nicht stark genug sind, die Ostseeküsten, noch weniger
die Nordsee zu beschützen, und daß die Anwendung des Dampfes jetzt einer
französischen Flotte leicht macht, nicht nur streifende Corps, sondern ganze
Heere an den deutschen Küsten landen zu lassen. Theuer bezahlt Preußen da¬
für, daß es im Jahr 1849 und 50 nicht antiöstreichisch genug war, um die
Idee der deutschen Einheit gegenüber den Drohungen Oestreichs und Ru߬
lands durchzusetzen. Denn jetzt ist Deutschland in der Lage, nach drei Seiten
hin Front machen zu müssen und nach allen drei Seiten ist Preußen der am
meisten gefährdete Staat, nach allen drei Seiten würde ihm bei beginnendem
Kampfe der Löwenantheil zufallen und die größten Verluste zu tragen sein.
Diese Lage ist von furchtbarem Ernst und nur durch große Entschlüsse und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0414" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107461"/>
          <p xml:id="ID_1230" prev="#ID_1229"> Oestreichs schneller Entschluß hatte außer andern Bedenken auch das nahe¬<lb/>
liegende, daß er die eifrigen und wohlwollenden Vermittlungen Preußens und<lb/>
Englands brüskirte und Oestreich nicht in den Krieg treten ließ, wie dieser<lb/>
Staat selbst durch die Sendung des Erzherzogs Albrecht nach Berlin beab¬<lb/>
sichtigt hatte, in Connivenz und stillem EinVerständniß mit Preußen, sondern<lb/>
gegen Wissen und Wunsch der bundesverwandten Großmacht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1231" next="#ID_1232"> Durch diese Kriegserklärung wurde Preußens Stellung zur italienischen<lb/>
Frage vollständig geändert. Während es bis dahin im Interesse des euro¬<lb/>
päischen Friedens und der Verträge von 1815 thätig gewesen war. trat jetzt<lb/>
die Rücksicht auf Deutschland und das eigne Wohl in erste Linie. Napoleon<lb/>
der Dritte machte von dem Recht des Kriegführenden Gebrauch und erklärte in<lb/>
seiner Proclamation die Verträge von 1815, welche den Oestreichern ihre ita¬<lb/>
lienischen Besitzungen versicherten, für ausgehoben; es ist in Berlin wohl¬<lb/>
bekannt, daß er die Bestimmungen desselben Friedens über die Nheingrenze als<lb/>
unehrenhaft für Frankreich verurtheilt. Das englische Cabinet war eng ver¬<lb/>
bunden mit Preußen vorgegangen, so lange eine Hoffnung blieb, den Frieden<lb/>
zu erhalten; jetzt machte die Schwäche desselben der durch die Whigs be¬<lb/>
arbeiteten öffentlichen Meinung die Concession, seine Neutralität öffentlich zu<lb/>
versichern und ein Bündniß mit Preußen zum Schutz der deutschen Küsten feier¬<lb/>
lich in Abrede zu stellen. Es war also auf eine energische Mitwirkung Eng¬<lb/>
lands im Interesse Deutschlands vorläufig gar nicht zu rechnen. Bedenken<lb/>
ganz anderer Art verursachte die Haltung Rußlands. Noch schwebt ein Dunkel<lb/>
über den Vereinbarungen dieses Staates mit Frankreich; sollte wahr sein, daß<lb/>
Rußland dem Kaiser Napoleon gegenüber ebenso eine Garantie des franzö¬<lb/>
sischen Territorialbestandes übernommen habe, wie der deutsche Bund gegen¬<lb/>
über den deutschen Provinzen Oestreichs gethan hat, so würde das Ueberschreiten<lb/>
der französischen Nheingrenze durch deutsche Heere von Rußland als oasus beM<lb/>
betrachtet werden und ein Krieg gegen Frankreich Preußen zugleich in einen<lb/>
Krieg mit Nußland verwickeln. Dazu kommt, daß die Anfänge der preu¬<lb/>
ßischen Flotte noch lange nicht stark genug sind, die Ostseeküsten, noch weniger<lb/>
die Nordsee zu beschützen, und daß die Anwendung des Dampfes jetzt einer<lb/>
französischen Flotte leicht macht, nicht nur streifende Corps, sondern ganze<lb/>
Heere an den deutschen Küsten landen zu lassen. Theuer bezahlt Preußen da¬<lb/>
für, daß es im Jahr 1849 und 50 nicht antiöstreichisch genug war, um die<lb/>
Idee der deutschen Einheit gegenüber den Drohungen Oestreichs und Ru߬<lb/>
lands durchzusetzen. Denn jetzt ist Deutschland in der Lage, nach drei Seiten<lb/>
hin Front machen zu müssen und nach allen drei Seiten ist Preußen der am<lb/>
meisten gefährdete Staat, nach allen drei Seiten würde ihm bei beginnendem<lb/>
Kampfe der Löwenantheil zufallen und die größten Verluste zu tragen sein.<lb/>
Diese Lage ist von furchtbarem Ernst und nur durch große Entschlüsse und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0414] Oestreichs schneller Entschluß hatte außer andern Bedenken auch das nahe¬ liegende, daß er die eifrigen und wohlwollenden Vermittlungen Preußens und Englands brüskirte und Oestreich nicht in den Krieg treten ließ, wie dieser Staat selbst durch die Sendung des Erzherzogs Albrecht nach Berlin beab¬ sichtigt hatte, in Connivenz und stillem EinVerständniß mit Preußen, sondern gegen Wissen und Wunsch der bundesverwandten Großmacht. Durch diese Kriegserklärung wurde Preußens Stellung zur italienischen Frage vollständig geändert. Während es bis dahin im Interesse des euro¬ päischen Friedens und der Verträge von 1815 thätig gewesen war. trat jetzt die Rücksicht auf Deutschland und das eigne Wohl in erste Linie. Napoleon der Dritte machte von dem Recht des Kriegführenden Gebrauch und erklärte in seiner Proclamation die Verträge von 1815, welche den Oestreichern ihre ita¬ lienischen Besitzungen versicherten, für ausgehoben; es ist in Berlin wohl¬ bekannt, daß er die Bestimmungen desselben Friedens über die Nheingrenze als unehrenhaft für Frankreich verurtheilt. Das englische Cabinet war eng ver¬ bunden mit Preußen vorgegangen, so lange eine Hoffnung blieb, den Frieden zu erhalten; jetzt machte die Schwäche desselben der durch die Whigs be¬ arbeiteten öffentlichen Meinung die Concession, seine Neutralität öffentlich zu versichern und ein Bündniß mit Preußen zum Schutz der deutschen Küsten feier¬ lich in Abrede zu stellen. Es war also auf eine energische Mitwirkung Eng¬ lands im Interesse Deutschlands vorläufig gar nicht zu rechnen. Bedenken ganz anderer Art verursachte die Haltung Rußlands. Noch schwebt ein Dunkel über den Vereinbarungen dieses Staates mit Frankreich; sollte wahr sein, daß Rußland dem Kaiser Napoleon gegenüber ebenso eine Garantie des franzö¬ sischen Territorialbestandes übernommen habe, wie der deutsche Bund gegen¬ über den deutschen Provinzen Oestreichs gethan hat, so würde das Ueberschreiten der französischen Nheingrenze durch deutsche Heere von Rußland als oasus beM betrachtet werden und ein Krieg gegen Frankreich Preußen zugleich in einen Krieg mit Nußland verwickeln. Dazu kommt, daß die Anfänge der preu¬ ßischen Flotte noch lange nicht stark genug sind, die Ostseeküsten, noch weniger die Nordsee zu beschützen, und daß die Anwendung des Dampfes jetzt einer französischen Flotte leicht macht, nicht nur streifende Corps, sondern ganze Heere an den deutschen Küsten landen zu lassen. Theuer bezahlt Preußen da¬ für, daß es im Jahr 1849 und 50 nicht antiöstreichisch genug war, um die Idee der deutschen Einheit gegenüber den Drohungen Oestreichs und Ru߬ lands durchzusetzen. Denn jetzt ist Deutschland in der Lage, nach drei Seiten hin Front machen zu müssen und nach allen drei Seiten ist Preußen der am meisten gefährdete Staat, nach allen drei Seiten würde ihm bei beginnendem Kampfe der Löwenantheil zufallen und die größten Verluste zu tragen sein. Diese Lage ist von furchtbarem Ernst und nur durch große Entschlüsse und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/414
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/414>, abgerufen am 23.12.2024.