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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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auf und man ward nicht müde, Preußen zu verwünschen, weil es nicht
sogleich gegen Frankreich Fanfare blies, als Kaiser Napoleon, über die
Consulatsintriguen zu Belgrad verstimmt, Herrn v. Hübner mit Kälte be¬
grüßt hatte.

Beide hadernden Theile machten es den Vermittlenden Mächten schwer.
Oestreich bemühte sich zu leugnen, daß die Großmächte irgend ein Recht hätten,
östreichische Verträge mit andern Staaten zu begutachten, und behauptete, in
seinem eignen Lande nicht ruhig regieren zu können, wenn der Herd der Re¬
volutionen in den italienischen Staaten nicht mit Waffengewalt nieder¬
gehalten werde. Sardinien klagte, den Druck, der von Oestreich ausgehe, für
sein eignes Staatsleben nicht länger ertragen zu können, Frankreich aber, froh
seiner günstigen Lage als Protector Italiens und froh der kritischen Situa¬
tion Oestreichs, suchte durch Zögern die finanziellen und politischen Verlegen¬
heiten dieses Staates zu vermehren.

Während Preußen sich bereitete, für den Frieden, wie man in Berlin
überzeugt war, im ehrlichen Interesse Oestreichs zu verhandeln, suchte das
wiener Cabinet Preußens Vermittlerstellung durch ein charakteristisches Ma-
noeuvre zu beenden, die bekannte Circularnote vom 5. Febr. Daß es für den
drohenden Krieg Alliirte suchte, war natürlich, daß es aber durch Nassau und
Sachsen-Meiningen die Selbstbestimmung Preußens beenden und dasselbe zu
Frankfurt in den Krieg gegen Frankreich hineinvotiren lassen wollte, war eine
verfehlte Maßregel, sie mußte in Berlin als eine unfreundliche Taktlosigkeit
peinlich empfunden werden. Es ist zu rühmen, daß Preußen sich dadurch
keinen Augenblick in seiner Haltung und dem Gefühl seiner Pflicht gegen
Deutschland irremachen ließ.

Noch ist nicht vollständig ermittelt, wo zuerst der russische Antrag auf
einen Kongreß der Großmächte zur Sprache gekommen ist. Es scheint, daß
dies zufällig nicht in Paris der Fall war. Jedenfalls lag er durchaus im
Interesse des Kaisers Napoleon, denn er verhieß ihm das Meiste von dem zu
gewähren, was er heimlich zu erreichen wünschte. Es scheint allerdings, daß
er selbst die volle Bedeutung 'eines solchen diplomatischen Sieges deshalb nicht
vollständig erkannte, weil sein Mißtrauen gegen die gesammten legitimen
Mächte damals sehr aufgeregt war und er überall Coalitionen gegen sich be¬
fürchtete. Preußen konnte sich bei allem Wunsche, Oestreichs Machtstellung
in Italien aus den Grundlagen des Friedens von 1815 zu erhalten, dem
Plan eines solchen Kongresses .nicht widersetzen, da er als die höchste und
letzte Action der Diplomatie, allerdings Aussicht gab, einen europäischen Krieg
von unabsehbarer Tragweite zu verhindern. --

Es ist bekannt, wie das Zögern Frankreichs und ein plötzlicher Einfall
Oestreichs von diesem Pfade ableiteten. Der verhängnißvolle Krieg brach aus.


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auf und man ward nicht müde, Preußen zu verwünschen, weil es nicht
sogleich gegen Frankreich Fanfare blies, als Kaiser Napoleon, über die
Consulatsintriguen zu Belgrad verstimmt, Herrn v. Hübner mit Kälte be¬
grüßt hatte.

Beide hadernden Theile machten es den Vermittlenden Mächten schwer.
Oestreich bemühte sich zu leugnen, daß die Großmächte irgend ein Recht hätten,
östreichische Verträge mit andern Staaten zu begutachten, und behauptete, in
seinem eignen Lande nicht ruhig regieren zu können, wenn der Herd der Re¬
volutionen in den italienischen Staaten nicht mit Waffengewalt nieder¬
gehalten werde. Sardinien klagte, den Druck, der von Oestreich ausgehe, für
sein eignes Staatsleben nicht länger ertragen zu können, Frankreich aber, froh
seiner günstigen Lage als Protector Italiens und froh der kritischen Situa¬
tion Oestreichs, suchte durch Zögern die finanziellen und politischen Verlegen¬
heiten dieses Staates zu vermehren.

Während Preußen sich bereitete, für den Frieden, wie man in Berlin
überzeugt war, im ehrlichen Interesse Oestreichs zu verhandeln, suchte das
wiener Cabinet Preußens Vermittlerstellung durch ein charakteristisches Ma-
noeuvre zu beenden, die bekannte Circularnote vom 5. Febr. Daß es für den
drohenden Krieg Alliirte suchte, war natürlich, daß es aber durch Nassau und
Sachsen-Meiningen die Selbstbestimmung Preußens beenden und dasselbe zu
Frankfurt in den Krieg gegen Frankreich hineinvotiren lassen wollte, war eine
verfehlte Maßregel, sie mußte in Berlin als eine unfreundliche Taktlosigkeit
peinlich empfunden werden. Es ist zu rühmen, daß Preußen sich dadurch
keinen Augenblick in seiner Haltung und dem Gefühl seiner Pflicht gegen
Deutschland irremachen ließ.

Noch ist nicht vollständig ermittelt, wo zuerst der russische Antrag auf
einen Kongreß der Großmächte zur Sprache gekommen ist. Es scheint, daß
dies zufällig nicht in Paris der Fall war. Jedenfalls lag er durchaus im
Interesse des Kaisers Napoleon, denn er verhieß ihm das Meiste von dem zu
gewähren, was er heimlich zu erreichen wünschte. Es scheint allerdings, daß
er selbst die volle Bedeutung 'eines solchen diplomatischen Sieges deshalb nicht
vollständig erkannte, weil sein Mißtrauen gegen die gesammten legitimen
Mächte damals sehr aufgeregt war und er überall Coalitionen gegen sich be¬
fürchtete. Preußen konnte sich bei allem Wunsche, Oestreichs Machtstellung
in Italien aus den Grundlagen des Friedens von 1815 zu erhalten, dem
Plan eines solchen Kongresses .nicht widersetzen, da er als die höchste und
letzte Action der Diplomatie, allerdings Aussicht gab, einen europäischen Krieg
von unabsehbarer Tragweite zu verhindern. —

Es ist bekannt, wie das Zögern Frankreichs und ein plötzlicher Einfall
Oestreichs von diesem Pfade ableiteten. Der verhängnißvolle Krieg brach aus.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/413>, abgerufen am 22.12.2024.