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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Napoleon der Dritte könnte doch jedenfalls das seinem Onkel nachmachen,
daß er in der Gegend von Piacenza den Po überschritte, ans linke Ufer des
Flusses überginge, dadurch die Oestreicher veranlaßte, sich ohne Weiteres
durch die Lombardei an Mincio und Etsch zurückzuziehen. Freilich sind heute
die Oestreicher auch nicht mehr die Leute von 1796, sie haben außerdem das
wohlbefestigte Piacenza 1859, welches 1796 nur eine offene Landstadt wie
jede andere war, sie haben das befestigte Pavia; aber sollte man nicht wirk¬
lich meinen, daß den Kaiserlichköniglichen von 1859 noch manches von 1796
geblieben ist, wenn man jene Stellung in der Lomellina, jene Unthütigkeit
vieler Wochen, für welche die Regengüsse als Sündenbock einstehen müssen,
mit dem braven politischen Auftreten vergleicht, welches ihnen das Ultimatum
und den Tessinübergang dictirte!

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wer kein guter Politiker ist, der ist
auch kein guter General; wer nicht politische und militärische Operationen
miteinander in Einklang zu bringen weiß, der ist gar kein Feldherr. Die
"rein militärischen" Rücksichten sind ein vollständiger Aberglaube, der dümmste
von allen existirenden, viel weniger gerechtfertigt als der Glaube an alte
Zigeunerweiber und Kometen.

Mack ist 1805 in Land eingerückt, welches Oestreich nicht gehörte, stolz und
kühn, und an der Iller so jämmerlich militärisch geschlagen, weil der Schritt
vor allem ein politisch falscher war, oder weil das militärische Handeln wenig¬
stens diesem politischen Handeln durchaus nicht entsprach; Nußland ist 1853
über den Pruth gegangen, ehe es Zeit war, und wiederum ist es ihm übel
bekommen, weil es durchaus nicht gerüstet war, durchaus nicht die rücksichts¬
lose Energie hatte, welche nöthig war, um diesen politischen Schritt auch
militärisch und damit wieder politisch zu einem gloriosen zu machen.

Der Erfolg hat stets, alles gerechtfertigt. Er rechtfertigt noch mehr als
in einer andern, in unserer Zeit, in welcher sogar die Cadaver der Frauen¬
zimmer crinolinisch Creditmobiliergeschüfte mit gleicher Wahrheit und gleichem
Erfolge machen.

Aber was ist ein Mensch ohne Erfolg? Was ist zumal ein Staat ohne
Erfolg, das heißt ohne augenblicklichen, schnellen, niederschmetternder, imponi-
renden? Wenn jemals ein Staat nach einem Erfolg trachten mußte, der
imponirte, so war es Oestreich am 29. April. Und wo sehen wir etwas von
diesem Trachten? Glücklicherweise hat es geregnet.

In der That, Napoleon der Dritte hat, wie einmal in Oestreich und in
Deutschland die Dinge stehn, nicht so geringe Chancen, theilweise den Feld¬
zug von 1796 und 97 nachzumachen, als es auf den ersten Blick scheint.
Eine Hauptschlacht, welche vielleicht die Soldaten auf östreichischer Seite
gewinnen, kann den Mann des 2. December freilich aus allen seinen Hin-


Napoleon der Dritte könnte doch jedenfalls das seinem Onkel nachmachen,
daß er in der Gegend von Piacenza den Po überschritte, ans linke Ufer des
Flusses überginge, dadurch die Oestreicher veranlaßte, sich ohne Weiteres
durch die Lombardei an Mincio und Etsch zurückzuziehen. Freilich sind heute
die Oestreicher auch nicht mehr die Leute von 1796, sie haben außerdem das
wohlbefestigte Piacenza 1859, welches 1796 nur eine offene Landstadt wie
jede andere war, sie haben das befestigte Pavia; aber sollte man nicht wirk¬
lich meinen, daß den Kaiserlichköniglichen von 1859 noch manches von 1796
geblieben ist, wenn man jene Stellung in der Lomellina, jene Unthütigkeit
vieler Wochen, für welche die Regengüsse als Sündenbock einstehen müssen,
mit dem braven politischen Auftreten vergleicht, welches ihnen das Ultimatum
und den Tessinübergang dictirte!

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wer kein guter Politiker ist, der ist
auch kein guter General; wer nicht politische und militärische Operationen
miteinander in Einklang zu bringen weiß, der ist gar kein Feldherr. Die
„rein militärischen" Rücksichten sind ein vollständiger Aberglaube, der dümmste
von allen existirenden, viel weniger gerechtfertigt als der Glaube an alte
Zigeunerweiber und Kometen.

Mack ist 1805 in Land eingerückt, welches Oestreich nicht gehörte, stolz und
kühn, und an der Iller so jämmerlich militärisch geschlagen, weil der Schritt
vor allem ein politisch falscher war, oder weil das militärische Handeln wenig¬
stens diesem politischen Handeln durchaus nicht entsprach; Nußland ist 1853
über den Pruth gegangen, ehe es Zeit war, und wiederum ist es ihm übel
bekommen, weil es durchaus nicht gerüstet war, durchaus nicht die rücksichts¬
lose Energie hatte, welche nöthig war, um diesen politischen Schritt auch
militärisch und damit wieder politisch zu einem gloriosen zu machen.

Der Erfolg hat stets, alles gerechtfertigt. Er rechtfertigt noch mehr als
in einer andern, in unserer Zeit, in welcher sogar die Cadaver der Frauen¬
zimmer crinolinisch Creditmobiliergeschüfte mit gleicher Wahrheit und gleichem
Erfolge machen.

Aber was ist ein Mensch ohne Erfolg? Was ist zumal ein Staat ohne
Erfolg, das heißt ohne augenblicklichen, schnellen, niederschmetternder, imponi-
renden? Wenn jemals ein Staat nach einem Erfolg trachten mußte, der
imponirte, so war es Oestreich am 29. April. Und wo sehen wir etwas von
diesem Trachten? Glücklicherweise hat es geregnet.

In der That, Napoleon der Dritte hat, wie einmal in Oestreich und in
Deutschland die Dinge stehn, nicht so geringe Chancen, theilweise den Feld¬
zug von 1796 und 97 nachzumachen, als es auf den ersten Blick scheint.
Eine Hauptschlacht, welche vielleicht die Soldaten auf östreichischer Seite
gewinnen, kann den Mann des 2. December freilich aus allen seinen Hin-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/400>, abgerufen am 22.12.2024.