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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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und die außerordentlichen Erfolge der letzten Jahre. Von höchster Bedeutung
war zunächst die Erwerbung Kaliforniens und Oregons durch die nordameri-
kanische Union, durch welche diese werdende Weltmacht, bis dahin nur am
westlichen Horizont wirksam, auch am östlichen mit ihren Interessen und Ten¬
denzen das Haupt erhob. Nicht weniger wichtig war sodann die Ausbreitung
Rußlands bis zu den Mündungen des Amur. Dazu kam ferner, daß China
seine 1842 nur halb geöffneten Thore, durch die Waffen Englands und Frank¬
reichs genöthigt und zugleich von Russen und Amerikanern drohend angegan¬
gen, den Kaufleuten und Missionären des Westens ganz aufschloß. Dazu
trat endlich der Vertrag Japans mit jenen vier Mächten, der auch dieses
mächtige und starkbevölkerte Reich' dem Handel und der Industrie, den Ge¬
danken und Bestrebungen des europäisch-christlichen Culturlebens mehr als
bisher aufthat.

Die Folgen dieser Vorgänge werden zunächst nur aus commerciellen
Gebiet sichtbar werden. In China hat man den fremden Schiffen elf neue
Häfen geöffnet. Dann ist ihnen die freie Küstenschiffahrt- gewährt worden,
und man wird sie nun längs des ganzen Uferlandes anlegen und sich all-
mälig des gesummten Küstenhandels bemächtigen sehen, da dieselben schneller
gehen und vor Piraten sicherer sind, als die einheimischen Dschonken, und
infolge dessen billigere Frachtpreise als diese stellen können. Sodann werden
die Europäer und Amerikaner künftig den Aangtsekiang seinem ganzen Laus nach
befahren, und damit sind dem Handel Regionen eröffnet, deren Bedeutung un¬
absehbar ist; denn dieser sechshundert und fünfzig deutsche Meilen lange Riesen¬
strom, welcher die mittlern Provinzen des Mandschureiches mit Tibet und Kokonor
im Westen und mit den Gebieten am stillen Ocean im Osten verbindet, hat,
wenn man an seine Nebenflüsse, an die zahlreichen großen Städte seines
Thales"), an den Bodenreichthum seiner Uferlandschaften und an die überaus
starke Bevölkerung seiner Seitenthäler denkt, auf Erden nicht seines Gleichen.
Ferner müssen nach den neuen Verträgen die Durchgnngszölle im Innern den
Konsuln angegeben werden und es darf niemals eine Erhöhung derselben ein¬
treten. Sie betragen die Hälfte der Eingangszölle in den Häfen. Chinesen
und Fremde haben das Recht, die Zölle auf einmal zu erlegen, und mit einer
Bescheinigung darüber versehen, können sie ihre Waaren von einem Ende des
Reiches zum andern frei weiter führen. Sollte die chinesische Negierung diesen
Artikel, der ihr in Betreff der Zölle keinen freien Willen mehr läßt, wirklich
erfüllen (und sie wird ihn erfüllen müssen), so wird der Handel der Fremden



*) Wir nennen nur das jetzt allerdings noch in der Gewalt der Taipingrcbellen befind¬
liche Nanking und die große von Lord Elgin im vorigen December besuchte Marktstadt Hcm-
kau. welche mit ihren Schwesterstädtcn Wutschang und Hanycmg über drei Millionen Ein¬
wohner hat.

und die außerordentlichen Erfolge der letzten Jahre. Von höchster Bedeutung
war zunächst die Erwerbung Kaliforniens und Oregons durch die nordameri-
kanische Union, durch welche diese werdende Weltmacht, bis dahin nur am
westlichen Horizont wirksam, auch am östlichen mit ihren Interessen und Ten¬
denzen das Haupt erhob. Nicht weniger wichtig war sodann die Ausbreitung
Rußlands bis zu den Mündungen des Amur. Dazu kam ferner, daß China
seine 1842 nur halb geöffneten Thore, durch die Waffen Englands und Frank¬
reichs genöthigt und zugleich von Russen und Amerikanern drohend angegan¬
gen, den Kaufleuten und Missionären des Westens ganz aufschloß. Dazu
trat endlich der Vertrag Japans mit jenen vier Mächten, der auch dieses
mächtige und starkbevölkerte Reich' dem Handel und der Industrie, den Ge¬
danken und Bestrebungen des europäisch-christlichen Culturlebens mehr als
bisher aufthat.

Die Folgen dieser Vorgänge werden zunächst nur aus commerciellen
Gebiet sichtbar werden. In China hat man den fremden Schiffen elf neue
Häfen geöffnet. Dann ist ihnen die freie Küstenschiffahrt- gewährt worden,
und man wird sie nun längs des ganzen Uferlandes anlegen und sich all-
mälig des gesummten Küstenhandels bemächtigen sehen, da dieselben schneller
gehen und vor Piraten sicherer sind, als die einheimischen Dschonken, und
infolge dessen billigere Frachtpreise als diese stellen können. Sodann werden
die Europäer und Amerikaner künftig den Aangtsekiang seinem ganzen Laus nach
befahren, und damit sind dem Handel Regionen eröffnet, deren Bedeutung un¬
absehbar ist; denn dieser sechshundert und fünfzig deutsche Meilen lange Riesen¬
strom, welcher die mittlern Provinzen des Mandschureiches mit Tibet und Kokonor
im Westen und mit den Gebieten am stillen Ocean im Osten verbindet, hat,
wenn man an seine Nebenflüsse, an die zahlreichen großen Städte seines
Thales"), an den Bodenreichthum seiner Uferlandschaften und an die überaus
starke Bevölkerung seiner Seitenthäler denkt, auf Erden nicht seines Gleichen.
Ferner müssen nach den neuen Verträgen die Durchgnngszölle im Innern den
Konsuln angegeben werden und es darf niemals eine Erhöhung derselben ein¬
treten. Sie betragen die Hälfte der Eingangszölle in den Häfen. Chinesen
und Fremde haben das Recht, die Zölle auf einmal zu erlegen, und mit einer
Bescheinigung darüber versehen, können sie ihre Waaren von einem Ende des
Reiches zum andern frei weiter führen. Sollte die chinesische Negierung diesen
Artikel, der ihr in Betreff der Zölle keinen freien Willen mehr läßt, wirklich
erfüllen (und sie wird ihn erfüllen müssen), so wird der Handel der Fremden



*) Wir nennen nur das jetzt allerdings noch in der Gewalt der Taipingrcbellen befind¬
liche Nanking und die große von Lord Elgin im vorigen December besuchte Marktstadt Hcm-
kau. welche mit ihren Schwesterstädtcn Wutschang und Hanycmg über drei Millionen Ein¬
wohner hat.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/40>, abgerufen am 22.12.2024.