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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Gottheit immer weit flüssiger geblieben; die göttliche Natur erscheint weit mehr
als ein geistiges Fluidum. welches durch alle Natur und alle Lebensformen
die verschiedensten Gestalten annehmen kann, ohne darin nothwendig und
ein für allemal zu verharren. Man würde deshalb den Götterglauben der
Römer richtiger Pandämonismus als Polytheismus nennen, und unwillkür¬
lich wird man an jene Pelasger von Dodona erinnert, welche nach Herodot
vor Homer und Hesiod weder Eigennamen noch Beinamen im Sinne Homers
und Hesiods. d. h. keine nähere mythologische Umschreibung und Bestimmt¬
heit ihrer Götter gekannt hätten."

"So zeigt sich das Wesen der italischen Götter auch rücksichtlich ihres
Verhaltens untereinander und zu den Menschen durchaus nicht geneigt zu my¬
thologischer Bewegung; vielmehr verharren sie auch in dieser Beziehung in
einer würdigen und feierlichen, aber abstracten Ruhe, wie sie wol bei einem
vielseitig ausgebildeten Gottesdienst mit seinen Opfern, Anrufungen und Ge¬
beten bestehen konnte, aber nicht mit der lebendigen Anschauung eines geist¬
reichen und phantasievollen Volkes vereinbar war, welches die Götter nicht
allein anbetete, sondern dieselben auch bei seinem Nachdenken und seinen Ueber¬
lieferungen über die Anfänge der Dinge überall mit einmischte. Von einer
Kosmogonie und Theogonie sind nur sehr schwache Anfänge bemerkbar; in
den Erzählungen vom Ursprünge der Nation treten von italischer Seite
nur die Culturgötter auf, Saturnus, Faunus. Pales u. a., welche die Sagen
der Agricultur, der Viehzucht, der göttlichen Inspiration bedeuten, einige
gute Genien, einige alte Könige: alles Uebrige. namentlich die Helden mit
bestimmten Eigennamen sind von den Griechen entlehnt. Unter sich sind die
italischen Götter zwar durch das Geschlecht verschieden: eine Unterscheidung,
welche gleich bei der ersten Begriffsbildung der Naturreligion und den ersten
Schöpfungen der Sprache so nothwendig und von selbst mit einfließt, daß sie
allen auf diesem Boden entsprungenen Göttersystemen angeboren ist. Auch
kamen diese Götter in den ältern römischen Gebeten als paarweise und ehe¬
lich verbunden vor -- doch sind diese Ehen in den meisten Fällen kinderlos,
und vollends fehlt es der italischen Mythologie gänzlich an dem Sinn für
ein solches Princip, wie in den griechischen der allgemeine Liebesgott Eros
wirkt, durch welches die Götter unter sich und zu den Menschen in eine leben¬
dige Wechselbeziehung des Geschlechts gesetzt werden und dadurch die Quelle
der genealogischen Dichtung eröffnet wird, welche in der griechischen Mytho¬
logie gleichfalls so außerordentlich reichlich strömt. Vielmehr werden die ita¬
lischen Götter insgemein als Väter und Mütter gedacht, im Sinne einer
patriarchalischen und einfach gemüthlichen Vorstellungsweise, von welcher sich
bei den Griechen und andern Völkern wol einzelne Spuren, nirgend aber so
viele als in der Praxis des römischen Gottesdienstes erhalten haben."


Gottheit immer weit flüssiger geblieben; die göttliche Natur erscheint weit mehr
als ein geistiges Fluidum. welches durch alle Natur und alle Lebensformen
die verschiedensten Gestalten annehmen kann, ohne darin nothwendig und
ein für allemal zu verharren. Man würde deshalb den Götterglauben der
Römer richtiger Pandämonismus als Polytheismus nennen, und unwillkür¬
lich wird man an jene Pelasger von Dodona erinnert, welche nach Herodot
vor Homer und Hesiod weder Eigennamen noch Beinamen im Sinne Homers
und Hesiods. d. h. keine nähere mythologische Umschreibung und Bestimmt¬
heit ihrer Götter gekannt hätten."

„So zeigt sich das Wesen der italischen Götter auch rücksichtlich ihres
Verhaltens untereinander und zu den Menschen durchaus nicht geneigt zu my¬
thologischer Bewegung; vielmehr verharren sie auch in dieser Beziehung in
einer würdigen und feierlichen, aber abstracten Ruhe, wie sie wol bei einem
vielseitig ausgebildeten Gottesdienst mit seinen Opfern, Anrufungen und Ge¬
beten bestehen konnte, aber nicht mit der lebendigen Anschauung eines geist¬
reichen und phantasievollen Volkes vereinbar war, welches die Götter nicht
allein anbetete, sondern dieselben auch bei seinem Nachdenken und seinen Ueber¬
lieferungen über die Anfänge der Dinge überall mit einmischte. Von einer
Kosmogonie und Theogonie sind nur sehr schwache Anfänge bemerkbar; in
den Erzählungen vom Ursprünge der Nation treten von italischer Seite
nur die Culturgötter auf, Saturnus, Faunus. Pales u. a., welche die Sagen
der Agricultur, der Viehzucht, der göttlichen Inspiration bedeuten, einige
gute Genien, einige alte Könige: alles Uebrige. namentlich die Helden mit
bestimmten Eigennamen sind von den Griechen entlehnt. Unter sich sind die
italischen Götter zwar durch das Geschlecht verschieden: eine Unterscheidung,
welche gleich bei der ersten Begriffsbildung der Naturreligion und den ersten
Schöpfungen der Sprache so nothwendig und von selbst mit einfließt, daß sie
allen auf diesem Boden entsprungenen Göttersystemen angeboren ist. Auch
kamen diese Götter in den ältern römischen Gebeten als paarweise und ehe¬
lich verbunden vor — doch sind diese Ehen in den meisten Fällen kinderlos,
und vollends fehlt es der italischen Mythologie gänzlich an dem Sinn für
ein solches Princip, wie in den griechischen der allgemeine Liebesgott Eros
wirkt, durch welches die Götter unter sich und zu den Menschen in eine leben¬
dige Wechselbeziehung des Geschlechts gesetzt werden und dadurch die Quelle
der genealogischen Dichtung eröffnet wird, welche in der griechischen Mytho¬
logie gleichfalls so außerordentlich reichlich strömt. Vielmehr werden die ita¬
lischen Götter insgemein als Väter und Mütter gedacht, im Sinne einer
patriarchalischen und einfach gemüthlichen Vorstellungsweise, von welcher sich
bei den Griechen und andern Völkern wol einzelne Spuren, nirgend aber so
viele als in der Praxis des römischen Gottesdienstes erhalten haben."


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[0394] Gottheit immer weit flüssiger geblieben; die göttliche Natur erscheint weit mehr als ein geistiges Fluidum. welches durch alle Natur und alle Lebensformen die verschiedensten Gestalten annehmen kann, ohne darin nothwendig und ein für allemal zu verharren. Man würde deshalb den Götterglauben der Römer richtiger Pandämonismus als Polytheismus nennen, und unwillkür¬ lich wird man an jene Pelasger von Dodona erinnert, welche nach Herodot vor Homer und Hesiod weder Eigennamen noch Beinamen im Sinne Homers und Hesiods. d. h. keine nähere mythologische Umschreibung und Bestimmt¬ heit ihrer Götter gekannt hätten." „So zeigt sich das Wesen der italischen Götter auch rücksichtlich ihres Verhaltens untereinander und zu den Menschen durchaus nicht geneigt zu my¬ thologischer Bewegung; vielmehr verharren sie auch in dieser Beziehung in einer würdigen und feierlichen, aber abstracten Ruhe, wie sie wol bei einem vielseitig ausgebildeten Gottesdienst mit seinen Opfern, Anrufungen und Ge¬ beten bestehen konnte, aber nicht mit der lebendigen Anschauung eines geist¬ reichen und phantasievollen Volkes vereinbar war, welches die Götter nicht allein anbetete, sondern dieselben auch bei seinem Nachdenken und seinen Ueber¬ lieferungen über die Anfänge der Dinge überall mit einmischte. Von einer Kosmogonie und Theogonie sind nur sehr schwache Anfänge bemerkbar; in den Erzählungen vom Ursprünge der Nation treten von italischer Seite nur die Culturgötter auf, Saturnus, Faunus. Pales u. a., welche die Sagen der Agricultur, der Viehzucht, der göttlichen Inspiration bedeuten, einige gute Genien, einige alte Könige: alles Uebrige. namentlich die Helden mit bestimmten Eigennamen sind von den Griechen entlehnt. Unter sich sind die italischen Götter zwar durch das Geschlecht verschieden: eine Unterscheidung, welche gleich bei der ersten Begriffsbildung der Naturreligion und den ersten Schöpfungen der Sprache so nothwendig und von selbst mit einfließt, daß sie allen auf diesem Boden entsprungenen Göttersystemen angeboren ist. Auch kamen diese Götter in den ältern römischen Gebeten als paarweise und ehe¬ lich verbunden vor — doch sind diese Ehen in den meisten Fällen kinderlos, und vollends fehlt es der italischen Mythologie gänzlich an dem Sinn für ein solches Princip, wie in den griechischen der allgemeine Liebesgott Eros wirkt, durch welches die Götter unter sich und zu den Menschen in eine leben¬ dige Wechselbeziehung des Geschlechts gesetzt werden und dadurch die Quelle der genealogischen Dichtung eröffnet wird, welche in der griechischen Mytho¬ logie gleichfalls so außerordentlich reichlich strömt. Vielmehr werden die ita¬ lischen Götter insgemein als Väter und Mütter gedacht, im Sinne einer patriarchalischen und einfach gemüthlichen Vorstellungsweise, von welcher sich bei den Griechen und andern Völkern wol einzelne Spuren, nirgend aber so viele als in der Praxis des römischen Gottesdienstes erhalten haben."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/394>, abgerufen am 23.12.2024.