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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Juno verwandelte sich in die leidenschaftliche, eifersüchtige und strenge Here
-- wie wir sie in der Aeneide finden -- es blieb von den römischen Göttern
wenig mehr als die Namen. Dieser merkwürdige Proceß hätte sich freilich,
wenigstens in diesem Umfange nicht vollziehen können, ohne eine durchgehende
Grundverwandtschast der beiden Religionen, welche durch die gemeinsame
Abstammung der beiden Nationen bedingt war; auch die Leichtigkeit, mit
der die alten Völker in fremden Göttern die eignen wiederfanden, hat wesent¬
lich dazu beigetragen. Die moderne Forschung hat die schwierige und nur
zum Theil lösbare Aufgabe, die Urgestalt der römischen Religion, die durch
die Verwandlung noch vielfach durchschimmert, so weit es möglich ist, wieder¬
herzustellen. "Es ist ein alter Tempel von einem Ueberbau verhüllt worden,
sodann sind beide eingestürzt, und wir haben nun die Trümmer des erstern
Gebäudes unter dem Schütte des zweiten Hervorzugraben."

Schon über das Wesen der griechischen Götter, über welche die Quellen
so reichlich fließen, gehen bekanntlich die Ansichten der Mythologen weit aus¬
einander, selbst derer, die von denselben Principien ausgehn. So ist Hermes
nach Preller ursprünglich ein Regengott, nach Welcker ein Gott des "Um¬
schwunges" oder des Kreislaufs; Ares ist nach Preller ein Gott des stürmischen
Wetters, nach Welcker ein Sonnengott, nach Gerhard ein "Flut- und Glutgott".
Aehnliche Differenzen sind bei den römischen Göttern um so eher zu erwarten,
als ihre Bedeutung zum Theil schon in Varros Zeit ein Gegenstand der gelehrten
Untersuchung war. Daß Janus der Sonnengott und Jana oder Diana die Mond¬
göttin ist, darüber und über einiges andere ist man zwar im Allgemeinen,
einig: über Mars, der die entgegengesetzten Eigenschaften der Befruchtung
und Zerstörung in sich vereinigt, nicht durchaus. Kann man schon über diese
Hauptgötter nicht immer völlig ins Klare kommen, so ist dies bei den ob-
scurer, wie Summanus, Vejovis u. s. w. noch weit weniger möglich. Doch
wenn auch im Einzelnen hier noch so vieles räthselhaft oder doch hypothetisch
bleiben muß, so treten die Grundverschiedenheiten der römischen Religion von
der griechischen um so deutlicher und bestimmter hervor. Religion sollte man
sagen, und nicht Mythologie; dieser Name paßt nicht einmal für den griechischen
Götterglauben, geschweige denn für den römischen. Denn wenn die Sage von
den Theogonien, den Liebesabenteuern, Feindschaften und Kämpfen der Götter
im griechischen Glauben wenigstens eine große Rolle spielt, so fehlt sie dem
römischen so gut wie ganz. Jener Hang zur Personification unsinnlicher
Mächte, der nirgend so umfassend und wirksam auftritt wie bei den Griechen,
ist den Jtalikern ganz fremd. Zu persönlicher, individueller Gestaltung ihrer
Götter sind sie nie gekommen, und die Nachricht Varros, daß in Rom der
Gottesdienst hundert und siebzig Jahr lang bildlos gewesen, ist an sich vollkommen
wahrscheinlich. "In Rom," sagt Preller, "ist die allgemeine Vorstellung der


Juno verwandelte sich in die leidenschaftliche, eifersüchtige und strenge Here
— wie wir sie in der Aeneide finden — es blieb von den römischen Göttern
wenig mehr als die Namen. Dieser merkwürdige Proceß hätte sich freilich,
wenigstens in diesem Umfange nicht vollziehen können, ohne eine durchgehende
Grundverwandtschast der beiden Religionen, welche durch die gemeinsame
Abstammung der beiden Nationen bedingt war; auch die Leichtigkeit, mit
der die alten Völker in fremden Göttern die eignen wiederfanden, hat wesent¬
lich dazu beigetragen. Die moderne Forschung hat die schwierige und nur
zum Theil lösbare Aufgabe, die Urgestalt der römischen Religion, die durch
die Verwandlung noch vielfach durchschimmert, so weit es möglich ist, wieder¬
herzustellen. „Es ist ein alter Tempel von einem Ueberbau verhüllt worden,
sodann sind beide eingestürzt, und wir haben nun die Trümmer des erstern
Gebäudes unter dem Schütte des zweiten Hervorzugraben."

Schon über das Wesen der griechischen Götter, über welche die Quellen
so reichlich fließen, gehen bekanntlich die Ansichten der Mythologen weit aus¬
einander, selbst derer, die von denselben Principien ausgehn. So ist Hermes
nach Preller ursprünglich ein Regengott, nach Welcker ein Gott des „Um¬
schwunges" oder des Kreislaufs; Ares ist nach Preller ein Gott des stürmischen
Wetters, nach Welcker ein Sonnengott, nach Gerhard ein „Flut- und Glutgott".
Aehnliche Differenzen sind bei den römischen Göttern um so eher zu erwarten,
als ihre Bedeutung zum Theil schon in Varros Zeit ein Gegenstand der gelehrten
Untersuchung war. Daß Janus der Sonnengott und Jana oder Diana die Mond¬
göttin ist, darüber und über einiges andere ist man zwar im Allgemeinen,
einig: über Mars, der die entgegengesetzten Eigenschaften der Befruchtung
und Zerstörung in sich vereinigt, nicht durchaus. Kann man schon über diese
Hauptgötter nicht immer völlig ins Klare kommen, so ist dies bei den ob-
scurer, wie Summanus, Vejovis u. s. w. noch weit weniger möglich. Doch
wenn auch im Einzelnen hier noch so vieles räthselhaft oder doch hypothetisch
bleiben muß, so treten die Grundverschiedenheiten der römischen Religion von
der griechischen um so deutlicher und bestimmter hervor. Religion sollte man
sagen, und nicht Mythologie; dieser Name paßt nicht einmal für den griechischen
Götterglauben, geschweige denn für den römischen. Denn wenn die Sage von
den Theogonien, den Liebesabenteuern, Feindschaften und Kämpfen der Götter
im griechischen Glauben wenigstens eine große Rolle spielt, so fehlt sie dem
römischen so gut wie ganz. Jener Hang zur Personification unsinnlicher
Mächte, der nirgend so umfassend und wirksam auftritt wie bei den Griechen,
ist den Jtalikern ganz fremd. Zu persönlicher, individueller Gestaltung ihrer
Götter sind sie nie gekommen, und die Nachricht Varros, daß in Rom der
Gottesdienst hundert und siebzig Jahr lang bildlos gewesen, ist an sich vollkommen
wahrscheinlich. „In Rom," sagt Preller, „ist die allgemeine Vorstellung der


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[0393] Juno verwandelte sich in die leidenschaftliche, eifersüchtige und strenge Here — wie wir sie in der Aeneide finden — es blieb von den römischen Göttern wenig mehr als die Namen. Dieser merkwürdige Proceß hätte sich freilich, wenigstens in diesem Umfange nicht vollziehen können, ohne eine durchgehende Grundverwandtschast der beiden Religionen, welche durch die gemeinsame Abstammung der beiden Nationen bedingt war; auch die Leichtigkeit, mit der die alten Völker in fremden Göttern die eignen wiederfanden, hat wesent¬ lich dazu beigetragen. Die moderne Forschung hat die schwierige und nur zum Theil lösbare Aufgabe, die Urgestalt der römischen Religion, die durch die Verwandlung noch vielfach durchschimmert, so weit es möglich ist, wieder¬ herzustellen. „Es ist ein alter Tempel von einem Ueberbau verhüllt worden, sodann sind beide eingestürzt, und wir haben nun die Trümmer des erstern Gebäudes unter dem Schütte des zweiten Hervorzugraben." Schon über das Wesen der griechischen Götter, über welche die Quellen so reichlich fließen, gehen bekanntlich die Ansichten der Mythologen weit aus¬ einander, selbst derer, die von denselben Principien ausgehn. So ist Hermes nach Preller ursprünglich ein Regengott, nach Welcker ein Gott des „Um¬ schwunges" oder des Kreislaufs; Ares ist nach Preller ein Gott des stürmischen Wetters, nach Welcker ein Sonnengott, nach Gerhard ein „Flut- und Glutgott". Aehnliche Differenzen sind bei den römischen Göttern um so eher zu erwarten, als ihre Bedeutung zum Theil schon in Varros Zeit ein Gegenstand der gelehrten Untersuchung war. Daß Janus der Sonnengott und Jana oder Diana die Mond¬ göttin ist, darüber und über einiges andere ist man zwar im Allgemeinen, einig: über Mars, der die entgegengesetzten Eigenschaften der Befruchtung und Zerstörung in sich vereinigt, nicht durchaus. Kann man schon über diese Hauptgötter nicht immer völlig ins Klare kommen, so ist dies bei den ob- scurer, wie Summanus, Vejovis u. s. w. noch weit weniger möglich. Doch wenn auch im Einzelnen hier noch so vieles räthselhaft oder doch hypothetisch bleiben muß, so treten die Grundverschiedenheiten der römischen Religion von der griechischen um so deutlicher und bestimmter hervor. Religion sollte man sagen, und nicht Mythologie; dieser Name paßt nicht einmal für den griechischen Götterglauben, geschweige denn für den römischen. Denn wenn die Sage von den Theogonien, den Liebesabenteuern, Feindschaften und Kämpfen der Götter im griechischen Glauben wenigstens eine große Rolle spielt, so fehlt sie dem römischen so gut wie ganz. Jener Hang zur Personification unsinnlicher Mächte, der nirgend so umfassend und wirksam auftritt wie bei den Griechen, ist den Jtalikern ganz fremd. Zu persönlicher, individueller Gestaltung ihrer Götter sind sie nie gekommen, und die Nachricht Varros, daß in Rom der Gottesdienst hundert und siebzig Jahr lang bildlos gewesen, ist an sich vollkommen wahrscheinlich. „In Rom," sagt Preller, „ist die allgemeine Vorstellung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/393>, abgerufen am 22.12.2024.