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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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konnte. Endlich in Ilmenau -- vom ersten Augenblick bis zum letzten, und
nachher alles, alles, wovon ich kein Detail machen mag. was Ihnen Ihre
Seele ohne Zweifel in einem Bilde darstellt, sagte Ihnen dies alles nicht:
Danke! Danke! Es muß und wird es Ihnen sagen. -- Richters Leichtigkeit
und Fröhlichkeit bei allem diesen, als ob nichts geschehen wäre, die kein
Merkmal eines, wie man sagt, bösen Herzens, sondern die Folge seines gan¬
zen eigenthümlichen, unableglichen Charakters, seiner gewohnten, ihm un¬
entbehrlichen Denkweise, seiner dichterischen und undichterischen Existenz ist,
bringen mir nochmals auch von Ihrer Seite das Wort in die Feder, das
ich Ihnen in der letzten Stunde zu Ilmenau aus ein Blättchen schreiben
wollte: Froh und frei! froh und frei! . . . Liebe heißt, sich in der Si¬
tuation, in der Existenz, im Gefühl, im Herzen eines andern fühlen, sich
darin nicht nur ohne Zwang, sondern mit Lust, in einer frohem, innigern
Existenz gleichsam unwillkürlich fühlen, im andern leben. Ob das Richter
gethan? ob er gezeigt habe, daß er dies auch bei den kleinsten Aufopferungen,
ja auch nur bei nöthigen Convenienzen und Arrangements, die ihn von
seinem Pult, ihm ungelegen, hinwegrücken, fähig sei. mag Ihnen die laute
Erfahrung und Ihr Herz sagen. Lassen Sie ihn sein Dichtcrleben fortleben;
thätige Liebe, reelles Für-, Mit-, Jneinanderleben ist etwas anders als Spiel
der Imagination am Pult oder süßer Witz in Gesellschaft. Sei er (wie
neulich jemand sagte) "aller Frauen Mann, wozu ihn die Muse berufen habe;"
sei er es glücklich! . . . Wie so manches, manches, manches andere könnte
ich. wenigstens als Zweifel und Bedenklichkeit anführen, das Ihre starke,
Ihrem Entschluß neue Seele übersah! . . . Das beste Mittel gegen wieder¬
kehrende Melancholien ist, daß Sie solche rein abschneiden. Auch in sanfter
Trauer ihnen nachhängen, ist Seelenqual. Sie haben die Wunde bis zum
letzten Tropfen ausbluten lassen; jetzt schließe sie sich auf immer. Sie gehören
jetzt nicht Richter, weder ganz noch halb, sondern sich selbst. Ihrer braven
Mutter und Familie. Nützliche Thätigkeit schneide alle sansttüuschende Ima¬
gination ab, denn was diese für Früchte bringe, haben Sie an sich in einem
fremden Beispiel erlebt. Sie macht uns die wirkliche Welt, oft die nächsten
Pflichten und Beziehungen fremd. Ein Feenland ist sie, eine Transcendental¬
welt, so gut als die der Fichtianer ... Sie werden von dieser Prüfung,
und für sie, einen Lohn, einen Genuß haben,, von dem Sie jetzt noch nichts
ahnen . . . Ueber Ihre Heirath mit Richter verwunderte sich jeder, der Sie
kannte, oder auch nur im Bilde sah; über den Rückgang verwundert sich
niemand."

Der Brief war gewiß gut gemeint, und Herder indignirte sich nicht
wenig, als er unmittelbar darauf einen lauten Schmerzensschrei erhielt. "Wenn
Sie sich, schreibt Karoline, Edler. Fühlender, die höchste menschliche Liebe


Grenzboten II. 1359. 43

konnte. Endlich in Ilmenau — vom ersten Augenblick bis zum letzten, und
nachher alles, alles, wovon ich kein Detail machen mag. was Ihnen Ihre
Seele ohne Zweifel in einem Bilde darstellt, sagte Ihnen dies alles nicht:
Danke! Danke! Es muß und wird es Ihnen sagen. — Richters Leichtigkeit
und Fröhlichkeit bei allem diesen, als ob nichts geschehen wäre, die kein
Merkmal eines, wie man sagt, bösen Herzens, sondern die Folge seines gan¬
zen eigenthümlichen, unableglichen Charakters, seiner gewohnten, ihm un¬
entbehrlichen Denkweise, seiner dichterischen und undichterischen Existenz ist,
bringen mir nochmals auch von Ihrer Seite das Wort in die Feder, das
ich Ihnen in der letzten Stunde zu Ilmenau aus ein Blättchen schreiben
wollte: Froh und frei! froh und frei! . . . Liebe heißt, sich in der Si¬
tuation, in der Existenz, im Gefühl, im Herzen eines andern fühlen, sich
darin nicht nur ohne Zwang, sondern mit Lust, in einer frohem, innigern
Existenz gleichsam unwillkürlich fühlen, im andern leben. Ob das Richter
gethan? ob er gezeigt habe, daß er dies auch bei den kleinsten Aufopferungen,
ja auch nur bei nöthigen Convenienzen und Arrangements, die ihn von
seinem Pult, ihm ungelegen, hinwegrücken, fähig sei. mag Ihnen die laute
Erfahrung und Ihr Herz sagen. Lassen Sie ihn sein Dichtcrleben fortleben;
thätige Liebe, reelles Für-, Mit-, Jneinanderleben ist etwas anders als Spiel
der Imagination am Pult oder süßer Witz in Gesellschaft. Sei er (wie
neulich jemand sagte) „aller Frauen Mann, wozu ihn die Muse berufen habe;"
sei er es glücklich! . . . Wie so manches, manches, manches andere könnte
ich. wenigstens als Zweifel und Bedenklichkeit anführen, das Ihre starke,
Ihrem Entschluß neue Seele übersah! . . . Das beste Mittel gegen wieder¬
kehrende Melancholien ist, daß Sie solche rein abschneiden. Auch in sanfter
Trauer ihnen nachhängen, ist Seelenqual. Sie haben die Wunde bis zum
letzten Tropfen ausbluten lassen; jetzt schließe sie sich auf immer. Sie gehören
jetzt nicht Richter, weder ganz noch halb, sondern sich selbst. Ihrer braven
Mutter und Familie. Nützliche Thätigkeit schneide alle sansttüuschende Ima¬
gination ab, denn was diese für Früchte bringe, haben Sie an sich in einem
fremden Beispiel erlebt. Sie macht uns die wirkliche Welt, oft die nächsten
Pflichten und Beziehungen fremd. Ein Feenland ist sie, eine Transcendental¬
welt, so gut als die der Fichtianer ... Sie werden von dieser Prüfung,
und für sie, einen Lohn, einen Genuß haben,, von dem Sie jetzt noch nichts
ahnen . . . Ueber Ihre Heirath mit Richter verwunderte sich jeder, der Sie
kannte, oder auch nur im Bilde sah; über den Rückgang verwundert sich
niemand."

Der Brief war gewiß gut gemeint, und Herder indignirte sich nicht
wenig, als er unmittelbar darauf einen lauten Schmerzensschrei erhielt. „Wenn
Sie sich, schreibt Karoline, Edler. Fühlender, die höchste menschliche Liebe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/387>, abgerufen am 23.12.2024.