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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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einander lagen, als die Zeit herankam, wo ihm Frankreich unverkennbar
Symptome von Mißbehagen zu erkennen gab. und wünschenswert!) wurde,
die allgemeine Aufmerksamkeit auf eine europäische Verwicklung zu richten,
deren Lösung ihm neue Erfolge versprach.

So war der Kaiser beim Beginn dieses Jahres allerdings in der Stim¬
mung, die italienische Frage zu einer ernsten Verwicklung mit Oestreich zu be¬
nutzen, aber ebenso sicher ist, daß er noch keineswegs entschlossen war. einen
Krieg herbeizuführen. Er mag gern bei der Möglichkeit eines Waffenkampfes
verweilt haben, aber es lag auf der Hand, daß für ihn der sicherste Erfolg
ohne Waffenentscheidung zu erreichen war. Die östreichische Regierung hatte
sich durch anspruchsvolle Begehrlichkeit nach allen Seiten isolirt; die Zustände,
welche unter Oestreichs Führung nicht in der Lombardei, aber in dem übrigen
Italien, conservirt wurden, der feindselige Druck, welcher gegen Sardinien
versucht wurde, die allmälige Mediatisirung der kleinen Souveränetäten, die
Agonie des Kirchenstaates, das mittelalterliche Unwesen in Neapel, das waren
in der That sehr unerfreuliche und den Großmächten Europas unwillkommne
Zustände. Nußland war von dem Kaiser von Frankreich gewonnen. England
konnte bei vorsichtiger Behandlung schwerlich seine moralische Mitwirkung ver¬
sagen; Preußen war seit acht Jahren von Oestreich fortwährend durch kleine
Demüthigungen gereizt worden, Bronzell und Olmütz, jener Morgen, wo preu¬
ßische Pionniere östreichischen Truppen die Brücke zum Marsch nach den Herzog-
thümern schlagen mußten, unablässige schwache Intriguen am Bundestag,
systematische Angriffe auf den Zollverein, die heimliche Auflehnung Oestreichs
gegen den Durchmarsch preußischer Truppen durch deutsches Bundesgebiet,
als Preußen in Neuenburg seine kleine Lombardei vertheidigen wollte, alle
die zahlreichen Invective bis zu der rnstadter Besatzungsfrage, das ließ den
Kaiser Napoleon hoffen, auch Preußen werde gegen Oestreich zu gewinnen
sein. Es ist wahrscheinlich, daß er durch seine Agenten und etwa durch die
antiöstreichische Gesinnung eines einzelnen preußischen Agenten getäuscht, sogar
eine kriegerische Mitwirkung desselben erwartet hat. Nur als Gerücht kann
erwähnt werden, daß er von dieser Meinung aus der preußischen Regierung
bestimmt formulirte Territorialvergrößerungen in Aussicht gestellt habe, und
daß seine Anträge in Preußen mit ruhiger Kälte abgewiesen seien.

Die feste Zurückhaltung Preußens mußte dazu beitragen, seine kriegerischen
Gedanken in den Hintergrund zu drängen. In der That war ihm ein großer
diplomatischer Sieg gewiß, wenn es ihm gelang, einen Congreß zu Stande
Zu bringen, und ebenso hatte Oestreich eine eclatante Niederlage bereits an
dem Tage erfahren, wo ein solcher Congreß zusammentrat. Kaiser Napoleon
hütete sich wohl, mehr zu fordern, als ihm die übrigen europäischen Gro߬
mächte bewilligen konnten. Seine Forderungen, die er von England formuliren


einander lagen, als die Zeit herankam, wo ihm Frankreich unverkennbar
Symptome von Mißbehagen zu erkennen gab. und wünschenswert!) wurde,
die allgemeine Aufmerksamkeit auf eine europäische Verwicklung zu richten,
deren Lösung ihm neue Erfolge versprach.

So war der Kaiser beim Beginn dieses Jahres allerdings in der Stim¬
mung, die italienische Frage zu einer ernsten Verwicklung mit Oestreich zu be¬
nutzen, aber ebenso sicher ist, daß er noch keineswegs entschlossen war. einen
Krieg herbeizuführen. Er mag gern bei der Möglichkeit eines Waffenkampfes
verweilt haben, aber es lag auf der Hand, daß für ihn der sicherste Erfolg
ohne Waffenentscheidung zu erreichen war. Die östreichische Regierung hatte
sich durch anspruchsvolle Begehrlichkeit nach allen Seiten isolirt; die Zustände,
welche unter Oestreichs Führung nicht in der Lombardei, aber in dem übrigen
Italien, conservirt wurden, der feindselige Druck, welcher gegen Sardinien
versucht wurde, die allmälige Mediatisirung der kleinen Souveränetäten, die
Agonie des Kirchenstaates, das mittelalterliche Unwesen in Neapel, das waren
in der That sehr unerfreuliche und den Großmächten Europas unwillkommne
Zustände. Nußland war von dem Kaiser von Frankreich gewonnen. England
konnte bei vorsichtiger Behandlung schwerlich seine moralische Mitwirkung ver¬
sagen; Preußen war seit acht Jahren von Oestreich fortwährend durch kleine
Demüthigungen gereizt worden, Bronzell und Olmütz, jener Morgen, wo preu¬
ßische Pionniere östreichischen Truppen die Brücke zum Marsch nach den Herzog-
thümern schlagen mußten, unablässige schwache Intriguen am Bundestag,
systematische Angriffe auf den Zollverein, die heimliche Auflehnung Oestreichs
gegen den Durchmarsch preußischer Truppen durch deutsches Bundesgebiet,
als Preußen in Neuenburg seine kleine Lombardei vertheidigen wollte, alle
die zahlreichen Invective bis zu der rnstadter Besatzungsfrage, das ließ den
Kaiser Napoleon hoffen, auch Preußen werde gegen Oestreich zu gewinnen
sein. Es ist wahrscheinlich, daß er durch seine Agenten und etwa durch die
antiöstreichische Gesinnung eines einzelnen preußischen Agenten getäuscht, sogar
eine kriegerische Mitwirkung desselben erwartet hat. Nur als Gerücht kann
erwähnt werden, daß er von dieser Meinung aus der preußischen Regierung
bestimmt formulirte Territorialvergrößerungen in Aussicht gestellt habe, und
daß seine Anträge in Preußen mit ruhiger Kälte abgewiesen seien.

Die feste Zurückhaltung Preußens mußte dazu beitragen, seine kriegerischen
Gedanken in den Hintergrund zu drängen. In der That war ihm ein großer
diplomatischer Sieg gewiß, wenn es ihm gelang, einen Congreß zu Stande
Zu bringen, und ebenso hatte Oestreich eine eclatante Niederlage bereits an
dem Tage erfahren, wo ein solcher Congreß zusammentrat. Kaiser Napoleon
hütete sich wohl, mehr zu fordern, als ihm die übrigen europäischen Gro߬
mächte bewilligen konnten. Seine Forderungen, die er von England formuliren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/377>, abgerufen am 23.12.2024.