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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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gesucht, der in seinem Wesen und seinen Plänen gewaltige Erschütterungen
hervorbringen sollte. Das Attentat des Orsini traf ihn im Innersten; nicht
sowol die Todesgefahr, in welche er und die Kaiserin geriethen, als die Re¬
flexionen, welche sich für ihn daran knüpften, und die Erfahrungen, welche
er dabei in der Stille über die Stimmung Frankreichs und die Zuverlässigkeit
seiner Werkzeuge einsammelte. Der Brief, den Orsini aus seinem Gefängniß
schrieb -- und wir glauben allerdings, daß er ihn geschrieben hat -- machte
in Deutschland einen kläglichen Eindruck. Zuerst jemanden meucheln wollen,
weil er des Mörders Vaterland in Knechtschaft hält und darauf denselben
Mann auffordern, dasselbe Vaterland hochherzig zu befreien, solche Methode
erscheint uns Deutschen durchaus unlogisch und fratzenhaft. Aber zu dem
Widerwillen, mit welchem der Kaiser ohne Zweifel die Apostrophe seines
Mörders las, kam ein anderes Gefühl, eine heimlich nagende Sorge. Er
hatte bis zu diesem Tage als glücklicher Fatalist sich seines aufsteigenden Ge¬
stirns erfreut und es ist wahrscheinlich, daß er in vielen Stunden in gutem
Glauben an seinen welthistorischen Beruf gehandelt hat. Die Feuerkugel, welche
jetzt plötzlich auf seiner Bahn zersprang, störte alle seine Aspecten. Alles um
ihn herum locker, unhaltbar, blindem Ungefähr unterworfen. Was war der
Glaube des Menschen an große Bestimmung? Auch Orsini war ein Fanatiker
gewesen und hatte im Glauben gehandelt, wie der Kaiser selbst. Sehr ver¬
kehrt war die Ansicht der Verschwörer, daß der Kaiser an dein Unglück Ita¬
liens Schuld trage, im Gegentheil, war es nicht Politik seines Hauses, die
Italiener um sich zu fesseln? und er hatte nur um andere Mächte zu schonen,
bis dahin die lockende Frage ruhen lassen. Und wer trug die Schuld, daß
in Italien so vieles unhaltbar und faul war, und daß die italienischen Meu¬
chelmörder von London aus gegen den Herrn Frankreichs conspirirten? Oestreich
allein trug die Schuld, Oestreichs pedantische Tyrannei lastete mit eiserner
Hand auf Italien und verhinderte jeden Uebergang zum modernen Staats-
leben. So ungefähr war der Jdeengang des Kaisers, jeder einzelne Satz
desselben läßt sich aus officiellen Aeußerungen und seinen Handlungen belegen;
und. das Resultat solches Grübelns war ein verstärkter Haß gegen Oestreich
und ein durchaus ernsthafter -- man verzeihe die Wiederholung des Wortes
-- gemüthlicher Haß gegen das östreichische reactionäre System in Italien.

Zu solcher Stimmung trat eine geheime Sehnsucht des Kaisers. Er hat
sich viel mit der Theorie des Krieges und seiner Zerstörungswerkzeuge beschäf¬
tigt und besitzt den Ehrgeiz, auch als Feldherr Erfolge zu erreichen. Schon
im Krimkrieg wurde er mit Mühe davon abgehalten, selbst nach dem ent¬
fernten Kriegstheater abzugehen. Von den Schlachtfeldern Italiens aber war
der Stern seines Hauses aufgegangen.

Man darf annehmen, daß alle diese Erwägungen in seiner Seele bei-


gesucht, der in seinem Wesen und seinen Plänen gewaltige Erschütterungen
hervorbringen sollte. Das Attentat des Orsini traf ihn im Innersten; nicht
sowol die Todesgefahr, in welche er und die Kaiserin geriethen, als die Re¬
flexionen, welche sich für ihn daran knüpften, und die Erfahrungen, welche
er dabei in der Stille über die Stimmung Frankreichs und die Zuverlässigkeit
seiner Werkzeuge einsammelte. Der Brief, den Orsini aus seinem Gefängniß
schrieb — und wir glauben allerdings, daß er ihn geschrieben hat — machte
in Deutschland einen kläglichen Eindruck. Zuerst jemanden meucheln wollen,
weil er des Mörders Vaterland in Knechtschaft hält und darauf denselben
Mann auffordern, dasselbe Vaterland hochherzig zu befreien, solche Methode
erscheint uns Deutschen durchaus unlogisch und fratzenhaft. Aber zu dem
Widerwillen, mit welchem der Kaiser ohne Zweifel die Apostrophe seines
Mörders las, kam ein anderes Gefühl, eine heimlich nagende Sorge. Er
hatte bis zu diesem Tage als glücklicher Fatalist sich seines aufsteigenden Ge¬
stirns erfreut und es ist wahrscheinlich, daß er in vielen Stunden in gutem
Glauben an seinen welthistorischen Beruf gehandelt hat. Die Feuerkugel, welche
jetzt plötzlich auf seiner Bahn zersprang, störte alle seine Aspecten. Alles um
ihn herum locker, unhaltbar, blindem Ungefähr unterworfen. Was war der
Glaube des Menschen an große Bestimmung? Auch Orsini war ein Fanatiker
gewesen und hatte im Glauben gehandelt, wie der Kaiser selbst. Sehr ver¬
kehrt war die Ansicht der Verschwörer, daß der Kaiser an dein Unglück Ita¬
liens Schuld trage, im Gegentheil, war es nicht Politik seines Hauses, die
Italiener um sich zu fesseln? und er hatte nur um andere Mächte zu schonen,
bis dahin die lockende Frage ruhen lassen. Und wer trug die Schuld, daß
in Italien so vieles unhaltbar und faul war, und daß die italienischen Meu¬
chelmörder von London aus gegen den Herrn Frankreichs conspirirten? Oestreich
allein trug die Schuld, Oestreichs pedantische Tyrannei lastete mit eiserner
Hand auf Italien und verhinderte jeden Uebergang zum modernen Staats-
leben. So ungefähr war der Jdeengang des Kaisers, jeder einzelne Satz
desselben läßt sich aus officiellen Aeußerungen und seinen Handlungen belegen;
und. das Resultat solches Grübelns war ein verstärkter Haß gegen Oestreich
und ein durchaus ernsthafter — man verzeihe die Wiederholung des Wortes
— gemüthlicher Haß gegen das östreichische reactionäre System in Italien.

Zu solcher Stimmung trat eine geheime Sehnsucht des Kaisers. Er hat
sich viel mit der Theorie des Krieges und seiner Zerstörungswerkzeuge beschäf¬
tigt und besitzt den Ehrgeiz, auch als Feldherr Erfolge zu erreichen. Schon
im Krimkrieg wurde er mit Mühe davon abgehalten, selbst nach dem ent¬
fernten Kriegstheater abzugehen. Von den Schlachtfeldern Italiens aber war
der Stern seines Hauses aufgegangen.

Man darf annehmen, daß alle diese Erwägungen in seiner Seele bei-


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[0376] gesucht, der in seinem Wesen und seinen Plänen gewaltige Erschütterungen hervorbringen sollte. Das Attentat des Orsini traf ihn im Innersten; nicht sowol die Todesgefahr, in welche er und die Kaiserin geriethen, als die Re¬ flexionen, welche sich für ihn daran knüpften, und die Erfahrungen, welche er dabei in der Stille über die Stimmung Frankreichs und die Zuverlässigkeit seiner Werkzeuge einsammelte. Der Brief, den Orsini aus seinem Gefängniß schrieb — und wir glauben allerdings, daß er ihn geschrieben hat — machte in Deutschland einen kläglichen Eindruck. Zuerst jemanden meucheln wollen, weil er des Mörders Vaterland in Knechtschaft hält und darauf denselben Mann auffordern, dasselbe Vaterland hochherzig zu befreien, solche Methode erscheint uns Deutschen durchaus unlogisch und fratzenhaft. Aber zu dem Widerwillen, mit welchem der Kaiser ohne Zweifel die Apostrophe seines Mörders las, kam ein anderes Gefühl, eine heimlich nagende Sorge. Er hatte bis zu diesem Tage als glücklicher Fatalist sich seines aufsteigenden Ge¬ stirns erfreut und es ist wahrscheinlich, daß er in vielen Stunden in gutem Glauben an seinen welthistorischen Beruf gehandelt hat. Die Feuerkugel, welche jetzt plötzlich auf seiner Bahn zersprang, störte alle seine Aspecten. Alles um ihn herum locker, unhaltbar, blindem Ungefähr unterworfen. Was war der Glaube des Menschen an große Bestimmung? Auch Orsini war ein Fanatiker gewesen und hatte im Glauben gehandelt, wie der Kaiser selbst. Sehr ver¬ kehrt war die Ansicht der Verschwörer, daß der Kaiser an dein Unglück Ita¬ liens Schuld trage, im Gegentheil, war es nicht Politik seines Hauses, die Italiener um sich zu fesseln? und er hatte nur um andere Mächte zu schonen, bis dahin die lockende Frage ruhen lassen. Und wer trug die Schuld, daß in Italien so vieles unhaltbar und faul war, und daß die italienischen Meu¬ chelmörder von London aus gegen den Herrn Frankreichs conspirirten? Oestreich allein trug die Schuld, Oestreichs pedantische Tyrannei lastete mit eiserner Hand auf Italien und verhinderte jeden Uebergang zum modernen Staats- leben. So ungefähr war der Jdeengang des Kaisers, jeder einzelne Satz desselben läßt sich aus officiellen Aeußerungen und seinen Handlungen belegen; und. das Resultat solches Grübelns war ein verstärkter Haß gegen Oestreich und ein durchaus ernsthafter — man verzeihe die Wiederholung des Wortes — gemüthlicher Haß gegen das östreichische reactionäre System in Italien. Zu solcher Stimmung trat eine geheime Sehnsucht des Kaisers. Er hat sich viel mit der Theorie des Krieges und seiner Zerstörungswerkzeuge beschäf¬ tigt und besitzt den Ehrgeiz, auch als Feldherr Erfolge zu erreichen. Schon im Krimkrieg wurde er mit Mühe davon abgehalten, selbst nach dem ent¬ fernten Kriegstheater abzugehen. Von den Schlachtfeldern Italiens aber war der Stern seines Hauses aufgegangen. Man darf annehmen, daß alle diese Erwägungen in seiner Seele bei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/376>, abgerufen am 23.12.2024.