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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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nach außen die Macht wiedergegeben, welche zur Zeit Richelieus, Ludwig
des Vierzehnten und Napoleon des Ersten, Europa in Schrecken setzte, nie war
Heer und Flotte so kriegstüchtig und gefahrdrohend; auch der Wohlstand Frank¬
reichs wächst in starker Proportion, selbst die großen Handelskrisen der letzten
Jahre sind dort verhältnißmäßig leicht überstanden worden, aber die Versöh¬
nung mit dem sittlichen Gefühl seines Volkes hat er nicht gefunden; er ver¬
mag die Masse zu blenden, wer Charakter und freie Bildung besitzt, steht in
Opposition gegen sein System. Und dies System, was ist es in seinem letzten
Grunde? Eine engherzige polizeiliche Tyrannei, die mit der Willkür des Schlech¬
ten auch die Ueberzeugungen des Guten gewaltthätig unterdrückt, und in schneiden¬
dem Contrast gegen die Humanität des neunzehnten Jahrhunderts und die
sittlichen Forderungen des modernen Staates steht. Und diesem Despotismus
fehlt nach innen jede Größe, er ist kleinlich, heuchlerisch, oft beschränkt und
barbarisch, und was das Traurigste ist. jedes Hochsinns und alles Idealismus
baar. eine nackte Familienselbstsucht ohne Pietät und ohne Achtung vor dem
Leben der Nation.

Der Kaiser trat aus dem orientalischen Kriege mit der lebhaften Empfin¬
dung des Gegensatzes zu Oestreich. Allerdings hatte das Verhalten dieser
Regierung den Westmächten Ursache zu Unzufriedenheit gegeben und der diplo¬
matische Sieg, den Oestreich ohne Waffen erfochten, war, wie andere Erfolge
dieses Staates seit dem Jahr 1850, das Resultat einer kurzsichtigen Politik ge¬
wesen. Durch vorsichtiges, zurückhaltendes Diplomatisiren, welches nicht frei
von Doppelzüngigkeit war. hatte Oestreich sich alle Parteien entfremdet. Daß
es sich von der westlichen Allianz zurückzog, nachdem seine italienischen
Besitzungen von Preußen auf drei Jahre garantirt waren, und daß es doch
bei den Friedensverhandlungen in der Donau- und Numänenfrage alle Prä-
tentionen eines Siegers erhob, des Siegers, dem die blutigen Erfolge der
beiden Alliirten vorzugsweise zu gut kommen mußten, das empörte den Kaiser
in innerster Seele. Möglich, daß auch sein persönlicher Stolz noch anderweitig
verletzt worden ist. Genug, während er sich Rußland näherte, führte er gegen
Oestreich einen jahrelangen stillen Kampf: in der Numänenfrage, deren Trag¬
weite weit über die Grenzen der Fürstenthümer hinausgeht; dann bei den Serben
und Montenegrinern, wo seine Agenten alles thaten, den östreichischen Einfluß
zu vernichten. Durch solche stille Operationen suchte er nebenbei mit der ihm
eignen Zähigkeit die Lösung der türkischen Frage in seinem Sinn vorzubereiten.
Es ist möglich, daß diese Intriguen vorläufig keine ernsteren Folgen gehabt
hätten, als die östreichische Negierung zu beunruhigen und in der orientalischen
Frage auf die Defensive zurückzuwerfen, aus der sie auf kurze Zeit heraus¬
getreten war.

Aber das Geschick hatte den Kaiser Napoleon mit einem Schlage heim-


nach außen die Macht wiedergegeben, welche zur Zeit Richelieus, Ludwig
des Vierzehnten und Napoleon des Ersten, Europa in Schrecken setzte, nie war
Heer und Flotte so kriegstüchtig und gefahrdrohend; auch der Wohlstand Frank¬
reichs wächst in starker Proportion, selbst die großen Handelskrisen der letzten
Jahre sind dort verhältnißmäßig leicht überstanden worden, aber die Versöh¬
nung mit dem sittlichen Gefühl seines Volkes hat er nicht gefunden; er ver¬
mag die Masse zu blenden, wer Charakter und freie Bildung besitzt, steht in
Opposition gegen sein System. Und dies System, was ist es in seinem letzten
Grunde? Eine engherzige polizeiliche Tyrannei, die mit der Willkür des Schlech¬
ten auch die Ueberzeugungen des Guten gewaltthätig unterdrückt, und in schneiden¬
dem Contrast gegen die Humanität des neunzehnten Jahrhunderts und die
sittlichen Forderungen des modernen Staates steht. Und diesem Despotismus
fehlt nach innen jede Größe, er ist kleinlich, heuchlerisch, oft beschränkt und
barbarisch, und was das Traurigste ist. jedes Hochsinns und alles Idealismus
baar. eine nackte Familienselbstsucht ohne Pietät und ohne Achtung vor dem
Leben der Nation.

Der Kaiser trat aus dem orientalischen Kriege mit der lebhaften Empfin¬
dung des Gegensatzes zu Oestreich. Allerdings hatte das Verhalten dieser
Regierung den Westmächten Ursache zu Unzufriedenheit gegeben und der diplo¬
matische Sieg, den Oestreich ohne Waffen erfochten, war, wie andere Erfolge
dieses Staates seit dem Jahr 1850, das Resultat einer kurzsichtigen Politik ge¬
wesen. Durch vorsichtiges, zurückhaltendes Diplomatisiren, welches nicht frei
von Doppelzüngigkeit war. hatte Oestreich sich alle Parteien entfremdet. Daß
es sich von der westlichen Allianz zurückzog, nachdem seine italienischen
Besitzungen von Preußen auf drei Jahre garantirt waren, und daß es doch
bei den Friedensverhandlungen in der Donau- und Numänenfrage alle Prä-
tentionen eines Siegers erhob, des Siegers, dem die blutigen Erfolge der
beiden Alliirten vorzugsweise zu gut kommen mußten, das empörte den Kaiser
in innerster Seele. Möglich, daß auch sein persönlicher Stolz noch anderweitig
verletzt worden ist. Genug, während er sich Rußland näherte, führte er gegen
Oestreich einen jahrelangen stillen Kampf: in der Numänenfrage, deren Trag¬
weite weit über die Grenzen der Fürstenthümer hinausgeht; dann bei den Serben
und Montenegrinern, wo seine Agenten alles thaten, den östreichischen Einfluß
zu vernichten. Durch solche stille Operationen suchte er nebenbei mit der ihm
eignen Zähigkeit die Lösung der türkischen Frage in seinem Sinn vorzubereiten.
Es ist möglich, daß diese Intriguen vorläufig keine ernsteren Folgen gehabt
hätten, als die östreichische Negierung zu beunruhigen und in der orientalischen
Frage auf die Defensive zurückzuwerfen, aus der sie auf kurze Zeit heraus¬
getreten war.

Aber das Geschick hatte den Kaiser Napoleon mit einem Schlage heim-


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[0375] nach außen die Macht wiedergegeben, welche zur Zeit Richelieus, Ludwig des Vierzehnten und Napoleon des Ersten, Europa in Schrecken setzte, nie war Heer und Flotte so kriegstüchtig und gefahrdrohend; auch der Wohlstand Frank¬ reichs wächst in starker Proportion, selbst die großen Handelskrisen der letzten Jahre sind dort verhältnißmäßig leicht überstanden worden, aber die Versöh¬ nung mit dem sittlichen Gefühl seines Volkes hat er nicht gefunden; er ver¬ mag die Masse zu blenden, wer Charakter und freie Bildung besitzt, steht in Opposition gegen sein System. Und dies System, was ist es in seinem letzten Grunde? Eine engherzige polizeiliche Tyrannei, die mit der Willkür des Schlech¬ ten auch die Ueberzeugungen des Guten gewaltthätig unterdrückt, und in schneiden¬ dem Contrast gegen die Humanität des neunzehnten Jahrhunderts und die sittlichen Forderungen des modernen Staates steht. Und diesem Despotismus fehlt nach innen jede Größe, er ist kleinlich, heuchlerisch, oft beschränkt und barbarisch, und was das Traurigste ist. jedes Hochsinns und alles Idealismus baar. eine nackte Familienselbstsucht ohne Pietät und ohne Achtung vor dem Leben der Nation. Der Kaiser trat aus dem orientalischen Kriege mit der lebhaften Empfin¬ dung des Gegensatzes zu Oestreich. Allerdings hatte das Verhalten dieser Regierung den Westmächten Ursache zu Unzufriedenheit gegeben und der diplo¬ matische Sieg, den Oestreich ohne Waffen erfochten, war, wie andere Erfolge dieses Staates seit dem Jahr 1850, das Resultat einer kurzsichtigen Politik ge¬ wesen. Durch vorsichtiges, zurückhaltendes Diplomatisiren, welches nicht frei von Doppelzüngigkeit war. hatte Oestreich sich alle Parteien entfremdet. Daß es sich von der westlichen Allianz zurückzog, nachdem seine italienischen Besitzungen von Preußen auf drei Jahre garantirt waren, und daß es doch bei den Friedensverhandlungen in der Donau- und Numänenfrage alle Prä- tentionen eines Siegers erhob, des Siegers, dem die blutigen Erfolge der beiden Alliirten vorzugsweise zu gut kommen mußten, das empörte den Kaiser in innerster Seele. Möglich, daß auch sein persönlicher Stolz noch anderweitig verletzt worden ist. Genug, während er sich Rußland näherte, führte er gegen Oestreich einen jahrelangen stillen Kampf: in der Numänenfrage, deren Trag¬ weite weit über die Grenzen der Fürstenthümer hinausgeht; dann bei den Serben und Montenegrinern, wo seine Agenten alles thaten, den östreichischen Einfluß zu vernichten. Durch solche stille Operationen suchte er nebenbei mit der ihm eignen Zähigkeit die Lösung der türkischen Frage in seinem Sinn vorzubereiten. Es ist möglich, daß diese Intriguen vorläufig keine ernsteren Folgen gehabt hätten, als die östreichische Negierung zu beunruhigen und in der orientalischen Frage auf die Defensive zurückzuwerfen, aus der sie auf kurze Zeit heraus¬ getreten war. Aber das Geschick hatte den Kaiser Napoleon mit einem Schlage heim-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/375>, abgerufen am 23.12.2024.