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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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wirklich so gewesen zu sein, denn wenn er in allen einzelnen Fällen nachgab,
so kam er doch mit großer Zähigkeit auf seine alten Ideen zurück, und ge¬
wann zuletzt, wie Guizot sich ausdrückt, auf seinen Minister einen wirklichen
Einfluß.

Die politischen Begebenheiten unter diesem Ministerium sind bekannt genug;
statt dessen einige Anekdoten. -- Als einmal in einer Nebenfrage ein Theil
der Majorität ihn im Stich gelassen, ließ P6rier sie vor sich kommen, und rief
ihnen zu, indem er sie mit einem strengen Blick niederschmetterte: ins
moque bien ac rief irmis gu^na j'in raison! e'est yuanä /al tort c^u'it kaut
M'ils me soutienneut. -- Widerspruch mochte er überhaupt nicht hören.
-Nur einer durfte zuweilen ihm gegenüber seine eigne Meinung behaupten:
Bertin, der Besitzer des Journal des Debats, wenn er Abends mit ihm und
Guizot eine Partie Whist spielte. -- Bekanntlich war es Parler, der in der
polnischen Krisis den europäischen Frieden erhielt; mit welchen Schwierigkeiten
er dabei zu kämpfen hatte, zeigt der Brief eines eifrigen Anhängers seiner
Politik an Guizot, 29. Juni 1831, aus dem wir hier einiges mittheilen,
weil er auch für die gegenwärtige Krisis von Interesse ist. Er schildert die
Stimmung des Landes: e'est un mel^nM ä'iri'leg.lion et as clecourageiuent,
6e crainte et as besoin cle mouvement: e'est une nmlaäie et'im^gination
ne xeut in se motiver, ni se tracluire, ma-is ez^ni me varo.it gr-ive. I.es
esprits me semblent tout-A,-es,it a 1'etat revolutionnaire, en co sens M'ils
^svirent ir un eliangement, a une erise, "zu'ils I'attencleut, l^u'ils 1'g.MeIIeut,
sans am'aucun xuisse üirs pour<iuoi . . . Mus ne sommes xas äans un
Moment 6e raison, on les movens tout raisormvs um svsteme revressntatik
sutnsevt. (Und so spricht ein Conservativer! daraus möge man auf die Chan¬
cen des constitutionellen Systems in Frankreich schließen!) ^e suis versuacle
<Z.u'une guerre serait utile (Aderlaß!); je serais Äisvose a 1s. risMer en
exiMimt beaucoup pour 1a Vologne. L'est bien plus xoxulaire parce yue
e'est plus äramatiquo. I^al^arec est, pour 1e inomevt, ckans 1e genre
sentimental bien plus yue ctans 1e genre rs.tiouuel. Uebrigens haben
diese französischen Staatsmänner eine eigne liebenswürdige Art, miteinander
zu correspondiren; wir sind dazu viel zu steif. -- Ja ein so nüchterner Staatsmann
wie Perier kam, um die italienische Frage zu lösen, auf den Knabenstreich
von Ancona, den Professor Guizot als einen Ausdruck vollendeter Stantsklug-
heit verherrlicht, obgleich sich Frankreich damit nur eine Verlegenheit aufbür¬
dete. -- Als die fremden Gesandten zu ihm kamen, um Aufklärung zu for¬
dern, fanden sie ihn sehr leidend; es waren ihm eben Blutegel gesetzt und er
l"g auf dem Sopha; aber als der preußische Gesandte ihn fragte, ob es denn
noch ein Völkerrecht gebe, erhob er sich zornig, ging auf ihn zu und rief:
"das Völkerrecht, mein Herr! Ich bin es, der es vertheidigt! Meinen Sie,


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wirklich so gewesen zu sein, denn wenn er in allen einzelnen Fällen nachgab,
so kam er doch mit großer Zähigkeit auf seine alten Ideen zurück, und ge¬
wann zuletzt, wie Guizot sich ausdrückt, auf seinen Minister einen wirklichen
Einfluß.

Die politischen Begebenheiten unter diesem Ministerium sind bekannt genug;
statt dessen einige Anekdoten. — Als einmal in einer Nebenfrage ein Theil
der Majorität ihn im Stich gelassen, ließ P6rier sie vor sich kommen, und rief
ihnen zu, indem er sie mit einem strengen Blick niederschmetterte: ins
moque bien ac rief irmis gu^na j'in raison! e'est yuanä /al tort c^u'it kaut
M'ils me soutienneut. — Widerspruch mochte er überhaupt nicht hören.
-Nur einer durfte zuweilen ihm gegenüber seine eigne Meinung behaupten:
Bertin, der Besitzer des Journal des Debats, wenn er Abends mit ihm und
Guizot eine Partie Whist spielte. — Bekanntlich war es Parler, der in der
polnischen Krisis den europäischen Frieden erhielt; mit welchen Schwierigkeiten
er dabei zu kämpfen hatte, zeigt der Brief eines eifrigen Anhängers seiner
Politik an Guizot, 29. Juni 1831, aus dem wir hier einiges mittheilen,
weil er auch für die gegenwärtige Krisis von Interesse ist. Er schildert die
Stimmung des Landes: e'est un mel^nM ä'iri'leg.lion et as clecourageiuent,
6e crainte et as besoin cle mouvement: e'est une nmlaäie et'im^gination
ne xeut in se motiver, ni se tracluire, ma-is ez^ni me varo.it gr-ive. I.es
esprits me semblent tout-A,-es,it a 1'etat revolutionnaire, en co sens M'ils
^svirent ir un eliangement, a une erise, «zu'ils I'attencleut, l^u'ils 1'g.MeIIeut,
sans am'aucun xuisse üirs pour<iuoi . . . Mus ne sommes xas äans un
Moment 6e raison, on les movens tout raisormvs um svsteme revressntatik
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cen des constitutionellen Systems in Frankreich schließen!) ^e suis versuacle
<Z.u'une guerre serait utile (Aderlaß!); je serais Äisvose a 1s. risMer en
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e'est plus äramatiquo. I^al^arec est, pour 1e inomevt, ckans 1e genre
sentimental bien plus yue ctans 1e genre rs.tiouuel. Uebrigens haben
diese französischen Staatsmänner eine eigne liebenswürdige Art, miteinander
zu correspondiren; wir sind dazu viel zu steif. — Ja ein so nüchterner Staatsmann
wie Perier kam, um die italienische Frage zu lösen, auf den Knabenstreich
von Ancona, den Professor Guizot als einen Ausdruck vollendeter Stantsklug-
heit verherrlicht, obgleich sich Frankreich damit nur eine Verlegenheit aufbür¬
dete. — Als die fremden Gesandten zu ihm kamen, um Aufklärung zu for¬
dern, fanden sie ihn sehr leidend; es waren ihm eben Blutegel gesetzt und er
l"g auf dem Sopha; aber als der preußische Gesandte ihn fragte, ob es denn
noch ein Völkerrecht gebe, erhob er sich zornig, ging auf ihn zu und rief:
„das Völkerrecht, mein Herr! Ich bin es, der es vertheidigt! Meinen Sie,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/37>, abgerufen am 22.12.2024.