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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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schen Heeren zu messen; ihr Material, ihre Zusammenstellung und Auswahl
der Kaliber waren schon im ungarischen Kriege und blieben auch im orienta¬
lischen der Gegenstand unbedingtester Bewunderung aller Sachverstandigen;
an Gewandtheit in der Bewegung und Sicherheit des Schusses mag ihr aller¬
dings noch manches fehlen, um auf gleicher Linie mit der entsprechenden Waffe
anderer Militärstaaten zu stehen. Was endlich die Reiterei anbetrifft, welche
in früheren Kriegen nur durch einige mit schweren niederreitenden Massen er-
ningene Erfolge hervorgetreten ist. so darf man nicht außer Acht lassen, daß
die moderne Kriegführung Massenwirfungcn der Cavaleric überhaupt nicht
mehr gestattet, daß also diese Waffe schwerlich ein entscheidendes Gewicht in
die Wagschale der Kriegserfolge zu werfen haben wird.

Als Rußland in der zweiten Hälfte des Jahres 1855 mit der höchsten
Kraftanstrengung seine Streitkräfte aufgestellt hatte, befanden sich außer der
stehenden Armee nach officiellen Angaben 739,000 Mann Reichswehren. Re-
lervjsten (nach zehnjähriger Dienstzeit ständig Beurlaubte) und Rekruten unter
den Waffen, d. i. ein Zehntel der militärpflichtigen Bevölkerung des Reichs.
Nachdem die Reduction der Armee angeordnet war, behaupteten die Organe
der russischen Politik, die Zahl der aus dem Dienstverband vollkommen Ent-
lassener betrage über 300.000 Mann, dies ist jedoch jedenfalls eine übertrie¬
bene Annahme, man kann die vollständig Ausgeschiedenen höchstens auf 280,000
Mann berechnen. Demnach würden 176,000 Mann Reservisten hinter der
eigentlichen Operationsarmee stehen. Letztere hat durch die Reduction eine
Verringerung von 180 Bataillonen und 198 Schwadronen gegen den höchsten
Svllstand (1855) von 894 Bataillonen und 454 Schwadronen erfahren. Da¬
gegen besitzt die Infanterie 20--24 Schützenbataillone mehr, als bei ihrer
früheren Formation.

Die große Anzahl der Entlassener, Beurlaubten, Invaliden. Untauglicheu
u. s. w.. welche seit dem Beginn der Reduction über das Land verstreut ist
und nebst den aufgelösten Reichswehren aus dem Soldatenleben schwerlich
eine große Neigung zu körperlicher Arbeit mitgebracht hat, dazu die Leibeige-
nen. welche mit der Emancipation von neuem auf das Warten hingewiesen
sind und nach allen Nachrichten sich in einem Zustand fortwährender Gährung
befinden, werden der Regierung nicht wol gestatten, das Innere des Reiches
von Soldaten zu entblößen. Außerdem ist auch bekannt, daß sich in Polen
an die unen politischen Verwicklungen bereits die alten Agitationen für eine
nationale Restauration knüpfen. Um so mehr wird Rußland, so lange es irgend
thunlich, neue Aushebungen vermeiden, welche der Reihenfolge nach jetzt zwar
die westlichen Provinzen treffen müßten, die während des orientalischen Krie-
ges (1854 und 55) bereits 52 Rekruten vom Tausend der Bevölkerung stellen
mußten. In dem ganzen Reiche ist aber auch die 1856 angeordnete Volks-


Greuzbotcn II, 1859. 44

schen Heeren zu messen; ihr Material, ihre Zusammenstellung und Auswahl
der Kaliber waren schon im ungarischen Kriege und blieben auch im orienta¬
lischen der Gegenstand unbedingtester Bewunderung aller Sachverstandigen;
an Gewandtheit in der Bewegung und Sicherheit des Schusses mag ihr aller¬
dings noch manches fehlen, um auf gleicher Linie mit der entsprechenden Waffe
anderer Militärstaaten zu stehen. Was endlich die Reiterei anbetrifft, welche
in früheren Kriegen nur durch einige mit schweren niederreitenden Massen er-
ningene Erfolge hervorgetreten ist. so darf man nicht außer Acht lassen, daß
die moderne Kriegführung Massenwirfungcn der Cavaleric überhaupt nicht
mehr gestattet, daß also diese Waffe schwerlich ein entscheidendes Gewicht in
die Wagschale der Kriegserfolge zu werfen haben wird.

Als Rußland in der zweiten Hälfte des Jahres 1855 mit der höchsten
Kraftanstrengung seine Streitkräfte aufgestellt hatte, befanden sich außer der
stehenden Armee nach officiellen Angaben 739,000 Mann Reichswehren. Re-
lervjsten (nach zehnjähriger Dienstzeit ständig Beurlaubte) und Rekruten unter
den Waffen, d. i. ein Zehntel der militärpflichtigen Bevölkerung des Reichs.
Nachdem die Reduction der Armee angeordnet war, behaupteten die Organe
der russischen Politik, die Zahl der aus dem Dienstverband vollkommen Ent-
lassener betrage über 300.000 Mann, dies ist jedoch jedenfalls eine übertrie¬
bene Annahme, man kann die vollständig Ausgeschiedenen höchstens auf 280,000
Mann berechnen. Demnach würden 176,000 Mann Reservisten hinter der
eigentlichen Operationsarmee stehen. Letztere hat durch die Reduction eine
Verringerung von 180 Bataillonen und 198 Schwadronen gegen den höchsten
Svllstand (1855) von 894 Bataillonen und 454 Schwadronen erfahren. Da¬
gegen besitzt die Infanterie 20—24 Schützenbataillone mehr, als bei ihrer
früheren Formation.

Die große Anzahl der Entlassener, Beurlaubten, Invaliden. Untauglicheu
u. s. w.. welche seit dem Beginn der Reduction über das Land verstreut ist
und nebst den aufgelösten Reichswehren aus dem Soldatenleben schwerlich
eine große Neigung zu körperlicher Arbeit mitgebracht hat, dazu die Leibeige-
nen. welche mit der Emancipation von neuem auf das Warten hingewiesen
sind und nach allen Nachrichten sich in einem Zustand fortwährender Gährung
befinden, werden der Regierung nicht wol gestatten, das Innere des Reiches
von Soldaten zu entblößen. Außerdem ist auch bekannt, daß sich in Polen
an die unen politischen Verwicklungen bereits die alten Agitationen für eine
nationale Restauration knüpfen. Um so mehr wird Rußland, so lange es irgend
thunlich, neue Aushebungen vermeiden, welche der Reihenfolge nach jetzt zwar
die westlichen Provinzen treffen müßten, die während des orientalischen Krie-
ges (1854 und 55) bereits 52 Rekruten vom Tausend der Bevölkerung stellen
mußten. In dem ganzen Reiche ist aber auch die 1856 angeordnete Volks-


Greuzbotcn II, 1859. 44
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[0355] schen Heeren zu messen; ihr Material, ihre Zusammenstellung und Auswahl der Kaliber waren schon im ungarischen Kriege und blieben auch im orienta¬ lischen der Gegenstand unbedingtester Bewunderung aller Sachverstandigen; an Gewandtheit in der Bewegung und Sicherheit des Schusses mag ihr aller¬ dings noch manches fehlen, um auf gleicher Linie mit der entsprechenden Waffe anderer Militärstaaten zu stehen. Was endlich die Reiterei anbetrifft, welche in früheren Kriegen nur durch einige mit schweren niederreitenden Massen er- ningene Erfolge hervorgetreten ist. so darf man nicht außer Acht lassen, daß die moderne Kriegführung Massenwirfungcn der Cavaleric überhaupt nicht mehr gestattet, daß also diese Waffe schwerlich ein entscheidendes Gewicht in die Wagschale der Kriegserfolge zu werfen haben wird. Als Rußland in der zweiten Hälfte des Jahres 1855 mit der höchsten Kraftanstrengung seine Streitkräfte aufgestellt hatte, befanden sich außer der stehenden Armee nach officiellen Angaben 739,000 Mann Reichswehren. Re- lervjsten (nach zehnjähriger Dienstzeit ständig Beurlaubte) und Rekruten unter den Waffen, d. i. ein Zehntel der militärpflichtigen Bevölkerung des Reichs. Nachdem die Reduction der Armee angeordnet war, behaupteten die Organe der russischen Politik, die Zahl der aus dem Dienstverband vollkommen Ent- lassener betrage über 300.000 Mann, dies ist jedoch jedenfalls eine übertrie¬ bene Annahme, man kann die vollständig Ausgeschiedenen höchstens auf 280,000 Mann berechnen. Demnach würden 176,000 Mann Reservisten hinter der eigentlichen Operationsarmee stehen. Letztere hat durch die Reduction eine Verringerung von 180 Bataillonen und 198 Schwadronen gegen den höchsten Svllstand (1855) von 894 Bataillonen und 454 Schwadronen erfahren. Da¬ gegen besitzt die Infanterie 20—24 Schützenbataillone mehr, als bei ihrer früheren Formation. Die große Anzahl der Entlassener, Beurlaubten, Invaliden. Untauglicheu u. s. w.. welche seit dem Beginn der Reduction über das Land verstreut ist und nebst den aufgelösten Reichswehren aus dem Soldatenleben schwerlich eine große Neigung zu körperlicher Arbeit mitgebracht hat, dazu die Leibeige- nen. welche mit der Emancipation von neuem auf das Warten hingewiesen sind und nach allen Nachrichten sich in einem Zustand fortwährender Gährung befinden, werden der Regierung nicht wol gestatten, das Innere des Reiches von Soldaten zu entblößen. Außerdem ist auch bekannt, daß sich in Polen an die unen politischen Verwicklungen bereits die alten Agitationen für eine nationale Restauration knüpfen. Um so mehr wird Rußland, so lange es irgend thunlich, neue Aushebungen vermeiden, welche der Reihenfolge nach jetzt zwar die westlichen Provinzen treffen müßten, die während des orientalischen Krie- ges (1854 und 55) bereits 52 Rekruten vom Tausend der Bevölkerung stellen mußten. In dem ganzen Reiche ist aber auch die 1856 angeordnete Volks- Greuzbotcn II, 1859. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/355>, abgerufen am 22.12.2024.