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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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ganz zugezogenen Augenlider himmlisch in die Höhe hebt, wie wenn Wolken
den Mond wechselsweise verhülle" und entblößen. Sie sind ein sonderbarer
Mensch! Das sagte sie mir dreißigmal. -- Gott sah doch einen überglück¬
lichen Sterblichen auf der Erde, und der war ich." -- Man hat wieder die
"Attentionen". die wir schon kennen: 17. Juni: "Gestern früh war ich mit
der Kalb zur Herzogin Mutter nach Tieffurt geladen." "Die Kalb steht fast
mit allen großen Deutschen im Briefwechsel und mit allen Weimarern in Ver¬
bindung, und ich könnte alles bei ihr sehen, wenn ich wollte, daß sie es
uwitirte. Aber wir beide bleiben jeden Abend ganz allein beisammen. Sie
ist ein Weib wie keines, mit einem allmächtigen Herzen, mit einem Felsen-
Ich, eine Woldemann." Diese Beziehungen waren ihm um so wichtiger, da
er in den Vorstudien zu seinem Titan grade nach dem Modell zu einer Tita¬
nide suchte, das er nnn gesunden zu haben glaubte. An demselben Tage
schreibt sie an ihn: "Alle Welt will ihn haben, bei Gott, alle Welt! Aber
nein! alle sollen ihn nicht haben, oder ich vergehe! Ich will vernichtet sein,
bann können sie ihn haben! wie oft war ich nicht schon vernichtet, wie oft!"
"Meine gute Kalb." schreibt Jean Paul 14. Juni. ..hat für alle meine Bedürf¬
nisse gesorgt." "Sogar in Paris soll nicht so viel Freiheit von Göne sein
als hier." --Nach drei Wochen reiste er wieder von Weimar ab; den 9. Juli
lchreibt er an Fr. v. Kalb: "O ich werde denken, wenn ich dein wundge¬
schältes Herz in der Vergangenheit von einem Felsen auf den andern gewor-
fen erblicke: o gutes Geschick! gib dieser lieben Seele nur jetzt einmal eine
lichte, grüne Seite! greife nur jetzt nicht mehr hart zwischen dieses nur lose
wieder zusammengeknüpfte Zellgewebe!" In ähnlichem Sinn sendet er ihr ein
Gedicht, das Entsagung und Ruhe athmet; sie antwortet, Oct. 1796, in wil¬
der Leidenschaft: "Verschonen Sie die armen Dinger und ängstigen Sie ihr
Herz und Gewissen nicht noch mehr! Die Natur ist schon genug gesteinigt,
^es ändere mich nie in meiner Denkart über diesen Gegenstand. Ich ver¬
stehe diese Tugend nicht und kann um ihretwillen keinen selig sprechen. Die
Religion hier auf Erden ist nichts Anderes als die Entwicklung und Erhaltung
der Kräfte und Anlagen, die unser Wesen erhalten hat. Keinen Zwang soll
das Geschöpf dulden, auch keine ungerechte Resignation. Alle unsere Gesetze
sind Folgen der elendesten Armseligkeit und Bedürfnisse, selten der Klugheit.
Liebe bedürfte keines Gesetzes. Die Natur will, daß wir Mütter werden
sollen; dazu dürfen wir nicht warten, bis ein Seraph kommt, sonst ginge die
^ete unter. Und was sind unsere stillen, armen, gottesfürchtigen Ehen? --
^es sage mit Goethe, und mehr als Goethe: uuter Millionen ist nicht einer,
der nicht in der Umarmung die Braut bestiehlt."

Diese Aeußerungen kamen dem Dichter ganz überraschend; zudem unter¬
es er damals der Leidenschaft einer andern genialen Dame -- Emilie v.


ganz zugezogenen Augenlider himmlisch in die Höhe hebt, wie wenn Wolken
den Mond wechselsweise verhülle» und entblößen. Sie sind ein sonderbarer
Mensch! Das sagte sie mir dreißigmal. — Gott sah doch einen überglück¬
lichen Sterblichen auf der Erde, und der war ich." — Man hat wieder die
„Attentionen". die wir schon kennen: 17. Juni: „Gestern früh war ich mit
der Kalb zur Herzogin Mutter nach Tieffurt geladen." „Die Kalb steht fast
mit allen großen Deutschen im Briefwechsel und mit allen Weimarern in Ver¬
bindung, und ich könnte alles bei ihr sehen, wenn ich wollte, daß sie es
uwitirte. Aber wir beide bleiben jeden Abend ganz allein beisammen. Sie
ist ein Weib wie keines, mit einem allmächtigen Herzen, mit einem Felsen-
Ich, eine Woldemann." Diese Beziehungen waren ihm um so wichtiger, da
er in den Vorstudien zu seinem Titan grade nach dem Modell zu einer Tita¬
nide suchte, das er nnn gesunden zu haben glaubte. An demselben Tage
schreibt sie an ihn: „Alle Welt will ihn haben, bei Gott, alle Welt! Aber
nein! alle sollen ihn nicht haben, oder ich vergehe! Ich will vernichtet sein,
bann können sie ihn haben! wie oft war ich nicht schon vernichtet, wie oft!"
»Meine gute Kalb." schreibt Jean Paul 14. Juni. ..hat für alle meine Bedürf¬
nisse gesorgt." „Sogar in Paris soll nicht so viel Freiheit von Göne sein
als hier." —Nach drei Wochen reiste er wieder von Weimar ab; den 9. Juli
lchreibt er an Fr. v. Kalb: „O ich werde denken, wenn ich dein wundge¬
schältes Herz in der Vergangenheit von einem Felsen auf den andern gewor-
fen erblicke: o gutes Geschick! gib dieser lieben Seele nur jetzt einmal eine
lichte, grüne Seite! greife nur jetzt nicht mehr hart zwischen dieses nur lose
wieder zusammengeknüpfte Zellgewebe!" In ähnlichem Sinn sendet er ihr ein
Gedicht, das Entsagung und Ruhe athmet; sie antwortet, Oct. 1796, in wil¬
der Leidenschaft: „Verschonen Sie die armen Dinger und ängstigen Sie ihr
Herz und Gewissen nicht noch mehr! Die Natur ist schon genug gesteinigt,
^es ändere mich nie in meiner Denkart über diesen Gegenstand. Ich ver¬
stehe diese Tugend nicht und kann um ihretwillen keinen selig sprechen. Die
Religion hier auf Erden ist nichts Anderes als die Entwicklung und Erhaltung
der Kräfte und Anlagen, die unser Wesen erhalten hat. Keinen Zwang soll
das Geschöpf dulden, auch keine ungerechte Resignation. Alle unsere Gesetze
sind Folgen der elendesten Armseligkeit und Bedürfnisse, selten der Klugheit.
Liebe bedürfte keines Gesetzes. Die Natur will, daß wir Mütter werden
sollen; dazu dürfen wir nicht warten, bis ein Seraph kommt, sonst ginge die
^ete unter. Und was sind unsere stillen, armen, gottesfürchtigen Ehen? —
^es sage mit Goethe, und mehr als Goethe: uuter Millionen ist nicht einer,
der nicht in der Umarmung die Braut bestiehlt."

Diese Aeußerungen kamen dem Dichter ganz überraschend; zudem unter¬
es er damals der Leidenschaft einer andern genialen Dame — Emilie v.


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[0345] ganz zugezogenen Augenlider himmlisch in die Höhe hebt, wie wenn Wolken den Mond wechselsweise verhülle» und entblößen. Sie sind ein sonderbarer Mensch! Das sagte sie mir dreißigmal. — Gott sah doch einen überglück¬ lichen Sterblichen auf der Erde, und der war ich." — Man hat wieder die „Attentionen". die wir schon kennen: 17. Juni: „Gestern früh war ich mit der Kalb zur Herzogin Mutter nach Tieffurt geladen." „Die Kalb steht fast mit allen großen Deutschen im Briefwechsel und mit allen Weimarern in Ver¬ bindung, und ich könnte alles bei ihr sehen, wenn ich wollte, daß sie es uwitirte. Aber wir beide bleiben jeden Abend ganz allein beisammen. Sie ist ein Weib wie keines, mit einem allmächtigen Herzen, mit einem Felsen- Ich, eine Woldemann." Diese Beziehungen waren ihm um so wichtiger, da er in den Vorstudien zu seinem Titan grade nach dem Modell zu einer Tita¬ nide suchte, das er nnn gesunden zu haben glaubte. An demselben Tage schreibt sie an ihn: „Alle Welt will ihn haben, bei Gott, alle Welt! Aber nein! alle sollen ihn nicht haben, oder ich vergehe! Ich will vernichtet sein, bann können sie ihn haben! wie oft war ich nicht schon vernichtet, wie oft!" »Meine gute Kalb." schreibt Jean Paul 14. Juni. ..hat für alle meine Bedürf¬ nisse gesorgt." „Sogar in Paris soll nicht so viel Freiheit von Göne sein als hier." —Nach drei Wochen reiste er wieder von Weimar ab; den 9. Juli lchreibt er an Fr. v. Kalb: „O ich werde denken, wenn ich dein wundge¬ schältes Herz in der Vergangenheit von einem Felsen auf den andern gewor- fen erblicke: o gutes Geschick! gib dieser lieben Seele nur jetzt einmal eine lichte, grüne Seite! greife nur jetzt nicht mehr hart zwischen dieses nur lose wieder zusammengeknüpfte Zellgewebe!" In ähnlichem Sinn sendet er ihr ein Gedicht, das Entsagung und Ruhe athmet; sie antwortet, Oct. 1796, in wil¬ der Leidenschaft: „Verschonen Sie die armen Dinger und ängstigen Sie ihr Herz und Gewissen nicht noch mehr! Die Natur ist schon genug gesteinigt, ^es ändere mich nie in meiner Denkart über diesen Gegenstand. Ich ver¬ stehe diese Tugend nicht und kann um ihretwillen keinen selig sprechen. Die Religion hier auf Erden ist nichts Anderes als die Entwicklung und Erhaltung der Kräfte und Anlagen, die unser Wesen erhalten hat. Keinen Zwang soll das Geschöpf dulden, auch keine ungerechte Resignation. Alle unsere Gesetze sind Folgen der elendesten Armseligkeit und Bedürfnisse, selten der Klugheit. Liebe bedürfte keines Gesetzes. Die Natur will, daß wir Mütter werden sollen; dazu dürfen wir nicht warten, bis ein Seraph kommt, sonst ginge die ^ete unter. Und was sind unsere stillen, armen, gottesfürchtigen Ehen? — ^es sage mit Goethe, und mehr als Goethe: uuter Millionen ist nicht einer, der nicht in der Umarmung die Braut bestiehlt." Diese Aeußerungen kamen dem Dichter ganz überraschend; zudem unter¬ es er damals der Leidenschaft einer andern genialen Dame — Emilie v.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/345>, abgerufen am 23.12.2024.